Unterbringung von Flüchtlingen: Das neue Zwischenwohnen

Viele neu gebaute Häuser für Flüchtlinge sind durch eine Ausnahme im Baurecht entstanden. Ganz selbstbestimmt können Flüchtlinge hier nicht wohnen.

Eine Familie steht in der Dämmerung am Fenster ihrer unbeleuchteten Wohnung und schaut in die Ferne

Wieviel Familie passt in eine Zweizimmerwohnung? Foto: Thomas Kretsch/kairospress/Sächsisches Pressefoto des Jahres/dpa

BERLIN/HAMBURG/MÜNSTER taz | Es ist eine schlichte Zweizimmerwohnung mit Küche, Bad und Balkon, doch am Eingang stapeln sich die Turnschuhe und Schlappen von vier jungen Männern und in den beiden Zimmern stehen jeweils zwei Betten.

„Auf jeden Fall besser als im Heim“, sagt der 19-jährige Mohammad Janat. „Ich finde es nicht schlimm, zu zweit in einem Zimmer zu leben.“ Die Wohnung ist für ihn ein wichtiger Schritt, als nächstes möchte er eine Ausbildung anfangen. Sein Mitbewohner Mohammad Alokleh stimmt nur halbherzig zu. „Für mich ist es schwierig“, sagt der 23-Jährige, der sich eher nach einer eigenen Familie als einer WG sehnt. „Ich brauche etwas mehr Ruhe zum Lesen und Lernen.“

Das zweite Zimmer bewohnen zwei Brüder. Seit fünf Monaten leben die vier Männer aus Syrien zusammen, in der dritten Etage eines Neubaus in Hamburg-Jenfeld. Dort hat die Stadt 2016 zwölf baugleiche, dreistöckige Gebäude mit großen Balkonen fertiggestellt, mit Fahrradstellplätzen vor den Eingängen und Grill- und Spielplätzen dazwischen. Platz für rund 800 Flüchtlinge. Die Wohnungen entsprechen dem Standard des sozialen Wohnungsbaus, allerdings mit höherer Belegung. Möglich ist dies, weil die Anlage von dem städtischen Träger „Fördern und Wohnen“ (F&W) betrieben wird und damit unter die Regeln öffentlicher Unterbringung fällt.

Wie Hamburg haben auch viele andere Städte im letzten Jahr neue Unterkünfte gebaut, für Flüchtlinge, die das Asylverfahren bereits hinter sich, aber noch keine eigene Wohnung gefunden haben. Eine Ausnahme im Baurecht erlaubt schnelleres Bauen wenn es um Wohnraum für Flüchtlinge geht. Die Grundvoraussetzungen dafür setzen die Städte unterschiedlich um: als lockere Beratungsangebote, aber auch als strikte Kontrolle der BewohnerInnen. Die Gemeinschaftsunterkünfte, die so entstanden sind liegen vom Bau oder von der Belegung her unterhalb des üblichen Standards.

Mehr Kontrolle, mehr Konflikte

In Hamburg heißt das Programm „Unterkunft mit Perspektive Wohnen“ (UPW), die Betreiber sollen Flüchtlinge dabei unterstützen, das „selbstständige Wohnen“ zu lernen. Alokleh und Janat wissen, dass sie sich bei Fragen zu Telefonrechnungen, Anträgen oder Mietverträgen an die Mitarbeiter wenden können, haben sonst aber kaum Kontakt zu den Betreibern. Das Gelände ist von allen Seiten frei zugänglich, der Zaun soll laut der F&W-Sprecherin vor allem „verhindern, dass mal ein Ball wegrollt“. Die Frage, ob es einen Sicherheitsdienst gibt, stößt bei ihr auf Unverständnis. Dazu gäbe es keinen Anlass.

Berlin baut derzeit rund 30 Wohnblöcke für jeweils 450 Menschen in Modulbauweise, die über die ganze Stadt verteilt werden sollen, weitere 30 sind geplant. Eine der fünfstöckigen Anlage in Marzahn ist seit Februar bewohnt. Das Gelände ist rund um die Uhr bewacht, das Landeskriminalamt hält dies für notwendig. Es gibt Kontrollgänge und im flachen Eingangsgebäude sitzen Sicherheitsdienstmitarbeiter. Rein kommt nur, wer einen Heimausweis vorzeigen kann.

Familien sind im Erdgeschoss unter­gebracht, in rund 46qm mit zwei Zimmern, Küche und Bad

Alleinstehende Männer teilen sich auch hier zu zweit ein Zimmer, 16 Quadratmeter groß, mit Gemeinschaftsküche und -bad auf dem Flur. Auch dadurch sind sie stärker der Kontrolle durch die Betreiber ausgesetzt. Bewohner berichten von regelmäßigen Konflikten. Wasserkocher und andere elektronische Geräte sind in den Zimmern verboten. Die Einrichtung ist auch heute noch mangelhaft: Vor den Duschen baumeln zwar Ringe an einer Stange, doch die Duschvorhänge fehlen, ebenso die Handtuchhaken, Toilettenpapierhalter und Ablagen für Kleidung oder Zahnbürsten. Auf dem unbehandeltem Beton im Treppenhaus hinterlässt jeder nasse Schuh dauerhafte Spuren, sodass es inzwischen verdreckt und ungepflegt aussieht.

Familien sind im Erdgeschoss untergebracht, in rund 46qm großen Wohnungen mit zwei Zimmern, Küche und Bad. Auch sieben- oder achtköpfige Familien leben auf zwei Zimmern. Walid Sleman und seine Frau haben die drei Betten nebeneinander geschoben, um Wohnfläche zu sparen. „Mein Mann schläft am Rand, daneben das Baby und ich, und unsere große Tochter quer am Fußende“, erklärt Sleman. Kinderbetten gibt es nicht. Die drei Söhne schlafen im Nebenzimmer. In der Wohnküche ist Platz für einen Esstisch und Regale, allerdings hat der Raum keine Fenster.

In Hamburg hofft man auf eine gute Mischung

Eng ist es auch bei der Familie des 16-jährigen Ali, der mit seiner Mutter und fünf Geschwistern in einer Unterkunft in Münster lebt. Sie haben zwei Wohneinheiten zugewiesen bekommen, beide sind knapp 40 Quadratmeter groß, in einem zweistöckigem Gebäude, in dem insgesamt 100 Menschen leben. Die Unterkunft wirkt hell und offen, Ehrenamtliche und BesucherInnen gehen ein und aus, SozialarbeiterInnen und eine Jobberatung sind vor Ort.

Security sei nicht nötig. Man wolle nicht das Signal senden, dass die Nachbarn vor den Flüchtlingen oder die Flüchtlinge vor den Nachbarn geschützt werden müssten, sagt Karsten Berndt, Fachbereichsleiter für Flüchtlingshilfe des Arbeiter-Samariter-Bundes Münsterland, der die Unterkunft betreibt.

Ali zeigt die Zimmer. „Wir haben die Betten auf die Küchen und Wohnzimmer verteilt, sodass nur zwei Personen in einem Raum schlafen.“ Die Unterkunft sei in Ordnung, zwei Mal pro Woche gehe er hier zur Hausaufgabenhilfe. Trotzdem hoffe er, dass sie bald umziehen können, sie stünden auf der Warteliste einer Wohnungsbaugesellschaft.

Langfristig, so haben es die meisten Städte bereits angekündigt, sollen die neuen Unterkünfte auch anderen MieterInnen zur Verfügung stehen – Studenten, Obdachlosen oder anderen Gruppen, die besonders unter Wohnungsmangel und steigenden Mieten leiden. In Hamburg verspricht man sich davon eine soziale Mischung denn die Stadt hat hier sehr große Anlagen gebaut: in Billwerder ist mit knapp 2.500 Plätzen die größte Folgeunterkunft für Flüchtlinge in Deutschland entstanden, und auch andere Standorte sind für mehrere hundert Menschen ausgelegt.

Lieber früher weg als später

Doch bislang ist nicht absehbar, dass die Flüchtlinge schnell ausziehen werden. Auch in der Frage, unter welchen Bedingungen Nicht-Flüchtlinge dort wohnen werden, möchte sich niemand festlegen. Der Mietvertrag von Alokleh und Janat läuft jedenfalls für drei Jahre. Noch hoffen sie, schon früher ausziehen zu können. Doch bisher war ihre Suche nach einer Wohnung oder einem WG-Zimmer erfolglos.

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