Unterhauswahl in Großbritannien: Vorfreude in Edinburgh

Der Wahlkampf geht weiter. Ein Tory und eine Liberaldemokratin wollen in Edinburgh den schottischen Nationalisten den Sitz abknöpfen.

Schon den Wahlsieg in Edinburgh West in der Tasche? Die Liberaldemokratin Christine Jardine hofft auf einen Sitz im Unterhaus Foto: dpa

EDINBURGH taz | Diesmal will es Christine Jardine schaffen. Ihre Chancen stehen gut, findet sie. Die Kandidatin der Liberaldemokraten will bei den britischen Unterhauswahlen am 8. Juni den Sitz für Edinburgh West gewinnen. Seit dem Wochenende ist der Wahlkampf, der wegen des Anschlags in Manchester ausgesetzt war, wieder voll im Gange. „Der Anschlag verdeutlicht uns, wie wichtig die Sicherheit ist“, sagt Jardine. „Aber die Wähler nähmen es nicht hin, wenn eine Partei daraus ein Wahlkampfthema machen würde.“

Vor zwei Jahren ist Jardine im Wahlkreis Gordon im Nordosten Schottlands an Alex Salmond gescheitert, dem charismatischen Exchef der separatistischen Scottish National Party (SNP). Auch in Edinburgh West gewann damals die SNP-Kandidatin Michelle Thomson. Doch voriges Jahr nahm die Polizei wegen Betrugsverdachts Ermittlungen gegen deren Immobilienunternehmen auf. Thomson trat daraufhin aus der SNP-Fraktion aus und kandidiert nicht mehr.

Der Wahlkreis reicht vom Flughafen bis fast in die Innenstadt, er umfasst einige der vornehmsten Viertel Schottlands, aber auch Sozialbausiedlungen wie Muirhouse. 65 Jahre lang war der Sitz in der Hand der Tories, bis er 1997 endlich an die Liberaldemokraten fiel. Jardine will ihn nun für die Liberalen zurückerobern. Sie trägt schulterlange schwarze Haare, am Revers ihrer Jacke steckt der gelbe Button der Liberalen. Die Sonnenbrille hat sie hochgeschoben. Sie lebt „an der Grenze des Wahlkreises“, räumt Jardine ein, doch sie suche ein Haus in Edinburgh West. „Die Suche wurde durch die plötzlich anberaumte Wahl unterbrochen. Damit hat ja keiner gerechnet.“

Ihr Wahlkampfbüro liegt an der St. John’s Road, der Hauptstraße des Vororts Corstorphine. Es ist ein großer, kahler Raum mit zwei Schreibtischen, an der Wand hängt eine Karte des Wahlkreises. „Die Leute haben die Wahl zwischen Toni Giugliano und mir“, ist sich Jardine sicher.

Ein europäischer Nationalist

Toni Giugliano, 31 Jahre alt, ist ein schlanker Mann mit hoher Stirn und millimeterkurzen Haaren. Als er sieben Jahre alt war, zogen seine Eltern aus La Spezia in Italien nach Schottland. „Ich bin ein EU-Migrant“, sagt er, „und die britische Premierministerin Theresa May von den Tories straft EU-Mi­granten mit Verachtung.“ Giugliano hat Europäische Politik und Französisch an der Universität Edinburgh studiert.

Die Unterhauswahl: Am 8. Juni wird in Großbritannien ein neues Parlament gewählt. In Umfragen führten die regierenden Konservativen lange Zeit deutlich vor der Labour-Opposi­tion mit durchschnittlich 45 gegen 35 Prozent. In einer aktuellen Erhebung, die am Donnerstag veröffentlicht wurde, liegt Labour hingegen nur noch 3 Prozentpunkte hinter den Konservativen; diese würden damit ihre absolute Mehrheit einbüßen.

Schottland: Dort dürfte die regierende Schottische Nationalpartei (SNP) Sitze verlieren, nachdem sie vor zwei Jahren spektakulär 56 der 59 Wahlkreise gewann. Die Umfragen sehen die SNP derzeit bei 43 Prozent, gefolgt von den Konservativen und Labour bei je 25 Prozent.

Im vorigen Jahr führte Toni Giugliano, der dem SNP-Vorstand angehört, von dem Büro aus, in dem heute Christine Jardine Optimismus verbreitet, den Wahlkampf für das schottische Parlament. Er unterlag Jardines Parteikollegen. Gui­glia­no hat seitdem noch kein neues Büro. „Die Liberalen haben eine Kandidatin aufgestellt, die schon überall in Schottland kandidiert hat und nie eine Verbindung zu irgendeinem Wahlkreis hatte“, moniert er. „Das kommt bei den Wählern nicht gut an.“ Wer die Liberalen wähle, bekomme die Tories, behauptet er. Das habe die Vergangenheit bewiesen.

Toni Giugliano, der Europäer, will, dass Schottland in der EU bleibt. „Die SNP ist die einzige Partei, die Schottland vor einem harten Brexit schützt“, sagt er. Wodurch? Durch ein neues Unabhängigkeitsreferendum, sagt Giugliano. „Die Wähler müssen davon überzeugt werden, dass es eine Rechtfertigung für die Unabhängigkeit gibt.“ Und die Rechtfertigung lautet: Man will Schottland aus dem größten Markt der Welt zerren und gefährdet damit 80.000 schottische Jobs.

Keine Lust auf Volksabstimmung

Die Liberale Christine Jardine denkt da anders. „Die Menschen haben keine Lust auf eine neuerliche Volksabstimmung zu diesem Thema“, sagt sie in ihrem Büro. „Die wirtschaftlichen Voraussetzungen sind schlechter als 2014, als die Unabhängigkeit abgelehnt wurde.“ Sie möchte lieber ein anderes Referendum. „Ich hoffe, dass es einen neuen Volksentscheid gibt, wenn der Deal zwischen Großbritannien und der EU ausgehandelt ist.“ Sie glaubt, dass dann eine Mehrheit für einen Verbleib in der EU stimmen werde. In Edinburgh West kamen die Brexit-Gegner auf 74 Prozent.

Schräg gegenüber von ihrem Wahlkampfbüro steht ein Meilenstein aus dem 19. Jahrhundert, etwas versteckt im Hauseingang einer Stiftung für Kinder. Auf der einen Seite des Steins steht „Glasgow 39 Meilen“, auf der anderen „Edinburgh 3 Meilen“. Die St. John’s Road ist Teil der Verbindungsstraße zwischen den beiden ungleichen Städten, dem vornehmen und reichen Edinburgh und dem etwas schmuddligen, aber pulsierenden Glasgow.

Die Labour Party, die einst die schottische Politik dominierte, hat ihre Zentrale in Glasgow. Der einzige Unterhaussitz, der ihr geblieben ist, liegt allerdings in Edinburgh South. Den könnte sie aktuellen Umfragen zufolge verteidigen. Im Westen der Stadt kandidiert für Labour die frühere Präsidentin der schottischen Studentengewerkschaft. Doch für den Wahlausgang spielt sie keine Rolle. Edinburgh West hatte noch nie etwas mit Labour im Sinn.

Ein Tory mischt mit

Sandy Batho war früher auch Chef der ­Studentengewerkschaft. Batho steht am Nashorngehege des Zoos von Edinburgh, er ist einer seiner Direktoren. Batho tritt als Kandidat der Tories an und ist für den 8. Juni zuversichtlich. Er glaubt jedenfalls nicht, dass die Wahl hier zwischen der Libe­ralen Jardine und dem Nationalisten Giugliano entschieden wird. Er, Batho, habe ein gewichtiges Wort mitzureden.

„Die Liberalen setzen alle Hoffnungen auf taktisches Wahlverhalten“, glaubt Batho. So wollten sie die SNP ausbooten. „Aber warum sollten potenzielle Tory-Wähler für Jardine stimmen?“, fragt Batho und blickt auf die Nashörner. „Das sind meine Lieblingstiere“, sagt er. „Sie sind majestätisch, und sie erinnern uns daran, wie unverantwortlich wir Menschen mit der Natur umgehen, sodass die Nashörner vom Aussterben bedroht sind.“

Doch schnell ist Batho wieder bei der Politik. „Ich war mein Leben lang Tory, und das war in Schottland wahrlich nicht leicht in den vergangenen zwanzig Jahren.“ Batho ist 57 Jahre alt, sieht aber zehn Jahre jünger aus. 1997 gewann die Partei in Schottland keinen einzigen Unterhaussitz. Seitdem ist es gerade mal einer. „Mit Ruth Davidson kam die Wende. Sie wurde 2011 zur Parteichefin gewählt“, sagt Batho. „Ich hatte sie nominiert.“ Bei den Wahlen zum schottischen Regionalparlament vor einem Jahr kamen die Tories dann schon mit knapp 23 Prozent auf den zweiten Platz – vor Labour und den Liberalen. Auch bei den Kommunalwahlen Anfang Mai schnitten sie gut ab.

Wozu ein Referendum?

„Wozu will Christine Jardine ein neues Referendum am Ende der Brexit-Verhandlungen?“, fragt Batho. „Ich habe auch für den Verbleib in der EU gestimmt, aber die Mehrheit war für den Brexit. Das müssen wir respektieren.“ Vielmehr müsse sich die EU fragen, warum die Briten für den Brexit gestimmt haben.

„Aber das ist gar nicht das Thema“, sagt er. „Im Wahlkampf werde ich viel öfter auf das neue Unabhängigkeitsreferendum angesprochen, das die SNP in Aussicht stellt. Die meisten Menschen wollen das nicht, und laut Umfragen hat es auch keine Chance.“ Nach wie vor seien 55 Prozent für den Verbleib in der Union. Der Terroranschlag von Manchester habe dagegen keinen Einfluss auf die Wahlen, glaubt Batho. „Ich bin jedenfalls von niemandem im Wahlkreis darauf angesprochen worden.“

Nach den letzten Umfragen werden sich die Tories in Schottland nach einem Vierteljahrhundert im Abseits die Sitze in ihren früheren Hochburgen zurückholen. Die SNP wird zwar stärkste Partei bleiben, dürfte aber 9 ihrer 56 Sitze verlieren. Immerhin 8 davon würden an die Tories gehen, einer an die Liberalen. Das wird das Mandat in Edinburgh West sein, glaubt Christine Jardine.

Eine typische Tory-Hochburg

Jardine ist inzwischen zum Haustürwahlkampf in Murrayfield aufgebrochen, das zwischen dem Zoo und der Innenstadt liegt. Es gehört zu den wohlhabendsten Vierteln Edinburghs, ja Schottlands. Die Doppelhäuser sind groß, die Vorgärten gepflegt, die Hecken akkurat. Alle Häuser haben Alarmanlagen, eigentlich eine typische Tory-Hochburg.

„Ich bin die Einzige, die gegen die SNP gewinnen kann“, sagt Jardine, „und daher bitten wir die Wähler, ihre Parteiloyalität hintanzustellen.“ Das scheint zu funktionieren, jedenfalls bei den Bewohnern, die sich von ihr in ein Gespräch verwickeln lassen. Die Reaktionen an den Haustüren seien viel positiver als vor zwei Jahren, sagt Jardine. „Bei den Buchmachern liege ich vorn.“

Es fällt auf, dass nirgendwo in Edinburgh Wahlplakate hängen. „Früher durften sie an Lampenmasten gehängt werden“, sagt Jardine, „doch dann verbot das die Stadtverwaltung.“ In den Highlands sei das anders. „Dort lieben sie Wahlplakate.“ Dort wählen sie SNP. In Edinburgh soll es diesmal anders kommen.

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