Unterirdische Tunnel von Gaza: Jetzt sind die Tunnel verschüttet

Schmuggler hielten die Wirtschaft im Gazastreifen am Laufen. Doch nun hat Ägypten die Versorgung gekappt – wichtige Güter werden knapp.

Ein junger Palästinenser wird in einen Tunnel hinabgelassen – 150 solcher Tunnel sollen gesprengt worden sein. Bild: dpa

RAFAH taz | Seit drei Monaten ist Mohammed Kutkut arbeitslos. Bis dahin hatte der zartgliedrige 23-Jährige, der kaum 60 Kilo auf die Waage bringen dürfte, in den Tunneln gearbeitet, die den Gazastreifen und Ägypten miteinander verbinden. Manchmal zwölf Stunden am Tag räumte er den Schutt aus den Schächten. Doch „jetzt werden keine Tunnel mehr gebaut“, sagt Kutkut.

Der Grund: Die unterirdischen Gänge dienten Schmugglern als Nachschubwege. Nach Ansicht der ägyptischen Generäle wurden sie von ägyptischen Islamisten genutzt, die mithilfe gleichgesinnter Palästinenser ihren Kampf gegen die Übergangsregierung in Kairo und das Militär ausfechten.

Mehr als 150 Tunnel will die ägyptische Armee in den vergangenen Wochen deshalb aus Sicherheitsgründen gesprengt haben.

Den ägyptischen Soldaten gelingt offenbar, woran Israel über Jahre scheiterte: Immer wieder bombardierte die israelische Luftwaffe die Tunnel, durch die auch Waffen in den Gazastreifen geschmuggelt wurden. Trotzdem ließen sich die Tunnelbetreiber nicht in die Knie zwingen und hoben immer neue Schächte aus.

Seit 2007 ist Palästina nicht nur geografisch zweigeteilt, sondern auch politisch: Präsident Mahmud Abbas von der Fatah und seine Autonomiebehörde regieren über das Westjordanland, die Hamas über den Gazastreifen.

1,7 Millionen Palästinenser leben im Gazastreifen auf einem Gebiet, das kleiner ist als das Bundesland Bremen. Alle 15 Minuten wird ein Kind geboren. Gut die Hälfte der Bevölkerung sind Flüchtlinge, die 1948 vor allem aus Jaffa und der Umgebung geflohen sind, und ihre Nachfahren. Der 45 Kilometer lange und knapp 10 Kilometer breite Landstreifen zieht sich entlang der Mittelmeerküste, im Norden und Osten grenzt der Gazastreifen an Israel, im Süden liegt das benachbarte Ägypten.

Israel besetzte den Gazastreifen 1967 und räumte nach knapp 40-jähriger Besatzung im Sommer 2005 unilateral alle israelischen Siedlungen. Seit der Machtergreifung der Hamas, die Anfang 2006 die Wahlen für sich entschied und im Sommer des Folgejahres die Fatah endgültig aus dem Regierungs- und Sicherheitsapparat im Gazastreifen vertrieb, hält Israel die Grenzen nahezu hermetisch geschlossen. Die Ein- und Ausreise nach Israel ist nur noch mit Sondergenehmigung möglich. Der Grenzübergang in Rafah nach Ägypten ist praktisch die einzige Verbindung für den Personenverkehr zur Außenwelt. (s.k.)

Das ist nun vorbei. Seit dem Sturz von Präsident Mohammed Mursi in Kairo Anfang Juli gerät die Hamas im Gazastreifen – einst eine Art palästinensischer Ableger der Muslimbrüder – zunehmend ins Visier der ägyptischen Soldaten. Die Armee behauptet, sie habe bei Regimegegnern Handgranaten sichergestellt, die aus Gaza stammten.

Nie zuvor stand es um die Beziehungen zwischen Kairo und Gaza so schlecht. Dabei weist die Hamas-Regierung jedes Zutun von sich: „Wir mischen uns in die ägyptischen Angelegenheiten nicht ein“, versichert Ghazi Hamad, amtierender Hamas-Außenminister in Gaza. Er bezeichnet Berichte, wonach rebellische Anhänger Mursis zum Kampftraining nach Gaza kommen, als „Lüge“.

Nur noch wenige Verbündete

Die Hamas fühlt sich zu Unrecht bestraft, wenn Kairo die für den Gazastreifen lebenswichtigen Tunnel sprengen lässt und den Grenzübergang für den Personenverkehr in Rafah schließt. Aus Sicht der Führung im Gazastreifen würde es auch wenig Sinn machen, die Beziehungen zu dem starken Nachbarn zu gefährden, da ihr ohnehin ein Verbündeter nach dem anderen wegbricht.

Erst vor eineinhalb Jahren musste das Politbüro in Damaskus das langjährige Exil Syrien räumen. Das Letzte, was die palästinensischen Islamisten nun brauchten, ist ein Konflikt mit Ägypten.

Unter Mursis Führung war zwar auch nicht alles perfekt, doch der Chef der islamistischen Freiheits- und Gerechtigkeitspartei sorgte für mehr oder weniger regelmäßige Öffnungszeiten an der Grenze.

Für die Menschen im Gazastreifen wird die Zerstörung der Tunnel schon jetzt schmerzlich spürbar. Zwar liefert Israel sämtliche lebensnotwendigen Güter, doch die israelische Ware ist teurer. Öl und Benzin aus Israel kosten gut doppelt so viel wie ägyptisches.

Hohe Benzinsteuer

Schon seit Tagen ist kaum noch Betrieb an den Tankstellen. „Wir beziehen unser Benzin aus Israel“, sagt der 60-jährige Tankwart Mohammed Hamaida, „aber das können sich nur Wenige leisten.“

Der Tankwart schimpft auf die Hamas, die hohe Steuern kassiere – und übersieht dabei, dass die Steuern des israelischen Benzins nicht an die Hamas, sondern an die Autonomiebehörde in Ramallah fließen. Auch Zement und anderes Baumaterial ist seit Wochen wieder Mangelware.

Nur die UNO bekommt Zement, der für die normale Bevölkerung binnen wenigen Wochen auf den dreifachen Preis stieg und praktisch nur noch auf dem Schwarzmarkt erhältlich ist. Die hoch besteuerten Zigaretten aus Israel reißen ein Loch in die Geldbörsen der Raucher. In den Geschäften, die bevorzugt ägyptische Ware führen, leeren sich die Regale.

Palästinensische Frauen schleppen Gasflaschen zum Kochen nach Hause. Bild: reuters

Frische Ware aus Israel

Vorläufig ist das City Center, so heißt der Supermarkt der Familie Astall in Khan Younis, noch ganz gut bestückt: Die frische Ware kommt täglich aus Israel. Filialchef Tarik Astall hat in weiser Voraussicht die in Gaza beliebten Chips aus Ägypten auf Vorrat gelagert.

Noch führt er ägyptische Bohnen, Fertigkuchen und das begehrte Sunshine-Shampoo für besonderen Glanz schwarzer Haare. Aber: „In ein paar Tagen ist es vorbei mit ägyptischen Produkten“, sagt Tarik, der schon jetzt die Preise hochsetzt. Astall bekommt die zerstörten Tunnel vor allem bei den Kosten für den Lkw zu spüren, der die israelische Ware vom Kontrollpunkt herbeischafft, und bei der Ölrechnung für seine Stromgeneratoren.

Trotz alledem zeigt der arbeitslose Tunnelbauer Mohammed Kutkut Verständnis für die Haltung der Regierung in Kairo: „Ägypten hat richtig entschieden“, sagt er. Dahinter steckt weniger Solidarität mit dem ägyptischen Übergangsregime als Zorn auf die Tunnelbetreiber, von denen viele mit der Hamas verbunden sind und die seinen Lohn nicht gezahlt haben. „Sie schulden mir über 10.000 Dollar“, schimpft Kutkut. Er traue „keinem von denen“ mehr über den Weg.

Gefährliche Arbeit

Kutkut weiß, wovon er spricht. Er war sieben Jahre dabei. Gleich nach Abschluss der Mittelschule, damals war er gerade 16 Jahre alt, musste er das Geld für die Familie verdienen, sein Vater war krank. Das Graben der Tunnel sei besser gewesen, als die Waren zu transportieren, sagt er, „aber gefährlich war es überall“.

Der junge Mann gibt zu, auch erleichtert zu sein, dass er nicht länger sein Leben riskieren muss. Er habe Freunde verloren, einmal als ein Tunnel schon beim Bau eingestürzte und ein andermal bei Bombardierungen durch die israelische Luftwaffe.

Zwischen 15 und 21 Euro täglich brachte er an guten Tagen nach Hause. Manchmal aber auch nichts. Zur Polizei will er nicht, „die können auch nichts tun“. Seine Onkel helfen den Kutkuts finanziell über die Runden.

„Tausende haben ihre Jobs verloren“, sagt Mohammed. Das Ende der Schmugglertunnel ist katastrophal für den Arbeitsmarkt und für die gesamte Wirtschaft. Das Ausbleiben der Rohstoffe lähmt den Baubetrieb. „Eine Tonne Zement kostet normalerweise 72 Euro, jetzt müssen wir über 212 Euro dafür bezahlen“, sorgt sich Sobhi Redwan, Bürgermeister von Rafah, um die Zukunft seiner Stadt.

Schon jetzt „sind 60 Prozent ohne Arbeit“, sagt er und fürchtet, dass „es jetzt noch schlimmer werden wird“. Wie viele Palästinenser im Tunnelgewerbe tätig waren, will Redwan nicht sagen. „Die Männer sind nicht registriert, denn die Tunnelarbeit ist illegal“, räumt er ein.

Billiger Treibstoff

Überhaupt sei der indirekte Effekt der schlimmere, auch für das Rathaus. „Wir sind auf den billigen Treibstoff angewiesen, um unsere Generatoren für die Wasserpumpen der Brunnen zu betreiben.“

Die Ausgaben steigen, gleichzeitig fallen Einnahmen weg. Schon jetzt hingen viele Verbraucher mit ihren Rechnungen für Strom und Wasser hinterher. Nur mit zwei Wochen Verspätung zahlte die Stadt die Gehälter für ihre Mitarbeiter.

Ginge es nach Bürgermeister Redwan, dann würden die Schmugglertunnel endgültig der Vergangenheit angehören. „Wir wollen legal über Land die Ware importieren“, sagt er. Ägypten müsse die Grenzen öffnen und den Transport auf sicherem Weg ermöglichen.

Was im Moment passiert, ist genau das Gegenteil: Seit gut einer Woche ist auch der Grenzübergang für den Personenverkehr von und nach Ägypten fast komplett versperrt. 4.500 Reisende, so berichtete das palästinensische Pressebüro am Dienstag, darunter „Patienten, Studenten und Reisende mit ausländischem Pass, sitzen auf palästinensischer Seite der Grenze fest“.

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