V-Mann-Affäre dauert an: Senator erleidet Sturmschäden

Sicherheitsexperten sind überzeugt: Auch wenn Innensenator Henkel die V-Mann-Affäre übersteht: Blessuren werden bleiben.

Es wird nicht besser: Henkel weiter unter Druck. Bild: dpa

Den ersten Sturm hat Frank Henkel überstanden. Nachdem er sich über den langjährigen Berliner V-Mann und mutmaßlichen NSU-Helfer Thomas S. fast um Kopf und Kragen redete und ein medialer und oppositioneller Tsunami über ihn rollte. Klar aber ist: Der CDU-Innensenator wird Blessuren davontragen – ebenso wie seine Interimspolizeichefin Margarete Koppers, die sich weiterhin um die Stelle der Behördenspitze beworben hat.

Denn noch immer hat sich das Patt zwischen der Bundesanwaltschaft und Henkel nicht aufgelöst. Der Senator und die oberste Polizistin bleiben dabei, dass sie das Abgeordnetenhaus und den NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestags über den V-Mann nicht informierten, weil sie dessen Identität und die Ermittlungen schützen wollten. Und dass es darüber es eine „Geheimhaltungsvereinbarung“ mit der Bundesanwaltschaft gegeben habe. Die widerspricht weiter – und das ungewöhnlich vehement: Bei „keiner Gelegenheit“ habe es „eine Anweisung, Aufforderung oder Bitte“ gegeben, die Info nicht an den Ausschuss weiterzuleiten.

Dass sich zwei Behörden öffentlich so beharken, ist bemerkenswert. „Das ist stümperhaft“, sagen Sicherheitsexperten, die namentlich nicht genannt werden wollen. Dass eine von beiden Seiten „lügt“, wird indes bezweifelt. Vermutet wird eher ein Missverständnis oder ein Kommunikationsproblem – und Empfindlichkeiten.

Am Montag wird sich der Innenausschuss wieder mit Thomas S. beschäftigen. S. war von 2000 bis 2011 V-Mann des Berliner LKA, lieferte auch fünf Hinweise zur NSU.

Nach taz-Informationen sind die LKA-Akten über S., zwei Ordner mit insgesamt 550 Seiten, äußerst sporadisch geführt. Fast die Hälfte besteht aus Kostenabrechnungen. 3.000 Euro erhielt S. über die Jahre für seine Spesen und Aussagen, von denen viele nur oberflächlich über die rechte Szene berichten.

Auch der Grüne Benedikt Lux spricht von einer "äußert lückenhaften" Aktenführung. Warum S. überhaupt angeworben worden sei, bleibe "völlig unklar". Die Bundesanwaltschaft beklagt nach taz-Informationen ebenso die Arbeit mit S. Laut einem internen Vermekr hat se von 2000 bis 2003 gar "keine Aktenhaltung" des Berliner LKA zu S. gegeben.

Den entscheidenden Hinweis gab Thomas S. 2002: Er sagte, ein Bekannter kenne drei Untergetauchte, die wegen Waffendelikten gesucht würden. Nach taz-Informationen wurde das Gespräch von V-Mann-Führern protokolliert und weitergegeben - ohne den Hinweis zur NSU. Warum, bleibt offen. "Sollte sich das bewahrheiten, wäre das ein weitaus größerer Skandal als das Verhalten Henkels", sagt Sebastian Edathy, Chef des NSU-Untersuchungsausschusses.

Zur Aufklärung des Falls soll in den Bundestagsausschuss Henkel vorgeladen werden, ebenso wie Koppers und die beiden V-Mann-Führer, die S. 2002 betreuten, und Exinnensenator Ehrhart Körting (SPD). Der soll auch am 22. Oktober zum Rapport in den Berliner Innenausschuss. (ko)

Am 20. März war Koppers zusammen mit ihrem LKA-Leiter Christian Steiof und dem Abteilungsleiter Oliver Stepien eigens nach Karlsruhe geflogen. Dort berichtete sie Vizegeneralbundesanwalt Rainer Griesbaum und anderen Bundesanwälten über ihren V-Mann Thomas S., der 2002 auch einen Kontaktmann des NSU-Trios benannte. Laut Koppers wurde bei diesem Gespräch die Geheimhaltung vereinbart – einen schriftlichen Vermerk gibt es allerdings nicht.

Die Bundesanwaltschaft sei die höchste deutsche Ermittlungsbehörde und somit Herr des Verfahrens, betonen Sicherheitskreise. Und über Absprachen mit dem Herrn des Verfahrens spreche man nicht, ohne diesen vorher zu konsultieren. Soll heißen: Henkel und Koppers hätten sich vor der Sitzung des Innenausschusses am Dienstag grünes Licht aus Karlruhe holen müssen. Andere Stimmen glauben, die Bundesanwaltschaft müsse dementieren, um nicht selbst in den Verdacht zu geraten, die Arbeit des NSU-Ausschusses zu behindern.

Denn: Auch Karlsruhe hatte erst am 24. Juli den Ermittlungsbeauftragten des NSU-Ausschusses, den Anwalt Bernd von Heintschel-Heinegg, über Thomas S. informiert. Zu diesem Zeitpunkt, so heißt es in einer Mitteilung, sei eine „Gefährdung laufender Ermittlungen“ nicht mehr zu befürchten gewesen. Natürlich sollten die NSU-Ermittlungen nicht an die breite Öffentlichkeit dringen, ist außerhalb Berlins zu vernehmen. Der Untersuchungsausschuss sei aber nicht gemeint gewesen.

„Die Bundesanwaltschaft hat stets für umfassende Offenlegung gesorgt“, beteuert auch deren Sprecher Marcus Köhler. Nun werde seine Behörde in eine Diskussion verwickelt, die man nicht gesucht habe. "Inzwischen ist alles gesagt", so Köhler. Alle Beteiligten sollten sich wieder aufs Wesentliche, „die bestmögliche Aufklärung des NSU-Komplexes konzentrieren“.

Sebastian Edathy, Leiter des Untersuchungsausschusses, stellt sich hinter die Bundesanwaltschaft: Er habe „keinen Grund“, an deren Darstellung zu zweifeln. Berlin hätte seinen Ausschuss zumindest abstrakt informieren müssen. „Dieser Pflicht ist das Land nicht nachgekommen.“ Auch die Berliner Opposition stellt sich auf Karlsruhes Seite. „Da sich Herr Henkel als nicht vertrauenswürdig erwiesen hat, halte ich die Darstellung des Generalbundesanwalts für plausibler“, so Pirat Christopher Lauer. CDU-Innenexperte Robbin Juhnke versuchte dagegen Henkel aus der Schusslinie zu nehmen: Letztlich gehe es nicht darum, wie der angebliche Widerspruch der Aussagen aufzulösen sei, sondern um die Aufklärung der Vorgänge der Vergangenheit.

In Sicherheitskreisen geht man weniger glimpflich mit Henkel um. Sein Verteidigungsdebakel wird auch mit seiner Isolation in der Innenverwaltung erklärt. Der Nichtjurist sei in seiner Behörde ein Fremdkörper geblieben. Das liege auch an seiner Doppelrolle. Als Parteivorsitzender muss sich Henkel auch um die CDU kümmern und den Kontakt zum Koalitionspartner SPD halten. Auch der Kreis von Henkels Vertrauten habe es nicht geschafft, einen richtigen Zugang zur Innenbehörde zu bekommen. Die Verantwortung laste vor allem auf Innenstaatssekretär Bernd Krömer (CDU).

Und der Fauxpas vom vorletzten Donnerstag, als Henkel sich im Abgeordnetenhaus über V-Mann Thomas S. überrascht gab, obwohl er seit März davon wusste – der bleibt. Was darauf folgte, ist das beste Bespiel dafür, wie schnell Verschwörungstherorien entstehen und sich ein Thema verselbstständigt. Mit der Frage, wie der Staatsschutz mit den Informationen von Thomas S. umging, hat die derzeitige Debatte nichts mehr zu tun.

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