Verfassungsreferendum in der Türkei: Schlapper Start für AKP-Kampagne

Beobachter sehen Indizien für eine starke Verunsicherung in der Führung der AKP. Erdoğan muss nun auch mit einem „Nein“ rechnen.

Viele Frauen verschiedenen Alters mit türkischen Fahnen

Pflichtgemäßer Applaus, aber keine Beifallsstürme: AKP-Anhängerinnen beim Kampagnenauftakt in Ankara Foto: dpa

ISTANBUL taz | Mit einer Großveranstaltung in Ankara hat Ministerpräsident Binali Yıldırım am Wochenende offiziell die Kampagne der Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung, AKP, für ein Ja bei der Volksabstimmung über eine Präsidialverfassung eröffnet. Vorgestellt wurden ein Lied und ein paar Slogans, die zwar pflichtgemäß beklatscht wurden, aber keine Beifallsstürme auslösten. Wer fehlte, war Präsident Recep Tayyip Erdoğan, für den die ganze Veranstaltung inszeniert wurde. Die Menge musste sich mit dem rhetorisch mäßig begabten Yıldırım zufriedengeben, der seit Tagen zwischen aggressiven und mäßigenden Tönen schwankt.

Nachdem die AKP zunächst alle Wähler, die zur Präsidialdiktatur Nein sagen wollen, als „Terroristen“ verunglimpft hatte, ruderte Yıldırım zeitweilig zurück, weil die AKP-Führung bemerkte, dass diese Denunziation bei dem größten Teil der Bevölkerung nicht gut ankommt. Vor ein paar Tagen sagte er in einem Interview, man dürfe natürlich auch mit Nein stimmen – aber es sei nun aber einmal so, dass sowohl die „Terrororganisation PKK“ wie auch die „Terroristen der Gülen-Bewegung“ für das Nein stehen.

Erdoğans Abwesenheit in Ankara und das Lavieren Yıldırıms sind Indizien dafür, dass die AKP-Führung stark verunsichert ist. „Erstmals“, sagte ein Beobachter der der oppositionellen Demokratischen Volkspartei HDP nahesteht, „hat die AKP keine eigene Botschaft, sondern beschimpft nur die politischen Gegner. Sie schaffen es nicht, der Bevölkerung Erdoğans Allmachtansprüche positiv zu verkaufen.“

Die prokurdische und linke HDP, die kurzfristig wegen der Haft ihrer Parteiführer erwogen hatte, beim Referendum zum Boykott aufzurufen, will nun doch eine aktive Nein-Kampagne unterstützen. Kemal Kılıçdaroğlu von der sozialdemokratisch-nationalistischen Republikanischen Volkspartei CHP kündigte an, seine Partei bei der Nein-Kampagne ganz in den Dienst der Bevölkerung zu stellen und auf eigene Kundgebungen zu verzichten. „Wir werden stattdessen direkt zu Leuten gehen, um über die Konsequenzen der angestrebten Verfassungsreform möglichst sachlich aufzuklären“, so Kılıçdaroğlu zur Marschrichtung der CHP.

Trotz Repression wird Werbung für „Nein“ gemacht

Auch innerhalb der rechtsnationalistischen Nationalen Volkspartei MHP gibt es viele Vorbehalte gegen Erdoğans Präsidialverfassung. Zwar hat Parteichef Devlet Bahçeli dem Präsidenten seine Unterstützung zugesagt, doch relevante Teile der Partei stellen sich dagegen, MHP-Politiker organisieren eine eigene Nein-Kampagne.

Hinzu kommen in vielen Städten überparteiliche Bürgerplattformen, die auf kommunaler Ebene Aufklärungsarbeit betreiben, die die von der Regierung gelenkten TV-Anstalten den Leuten vorenthalten. Die sozialen Medien sind voll davon, und trotz der staatlichen Repression tauchen auch überall Transparente und Plakate auf, die für ein Nein beim Referendum werben.

Entsprechend nervös sind die AKP-nahen Medien. In Yeni Şafak beklagen Kolumnisten, dass Erdoğans Partei beim Referendum ganz allein gegen alle anderen Parteien stehen würde. Andere Kommentatoren sorgen sich, dass die tatsächliche Stimmung noch viel schlechter sei als die Umfragen, die derzeit ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Nein und Ja voraussagen. „Viele geben bei Umfragen an, mit Ja zu stimmen, obwohl sie eigentlich für Nein sind, weil sie Angst haben, sich öffentlich zu einem Nein zu bekennen“, beklagt der regierungsnahe Kolumnist Akif Beki.

Für Verstimmung bei Erdoğans Anhängern sorgt auch, dass sich Ilham Alijew, der totalitär regierende Staatschef Aserbaidschans, just vor wenigen Tagen in einem ganz ähnlichen Referendum zum allein regierenden Präsidenten hat wählen lassen und, nachdem er in einer Wahlfarce 87 Prozent bekommen hatte, gleich seine Ehefrau zur Vizepräsidentin ernannte. „Bisher sah sich die Türkei immer als Vorbild für den kleinen Bruderstaat im Kaukasus, nun sieht es so aus, als wolle die Türkei Aserbeidschan nacheifern“, beklagte Akif Beki. Viele Erdoğan-Gegner machen sich schon Sorgen, was passieren wird, falls der Präsident sein Referendum verliert. Der stellvertretende AKP-Vorsitzende der Provinzstadt Manisa hatte öffentlich gedroht, dann gebe es einen Bürgerkrieg. Der Mann müsste zwar zurücktreten – die Drohung aber ist damit nicht aus der Welt.

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