Verfassungsschutzbericht für 2014: Das Amt mit dem 360-Grad-Blick

Die Zahl rechtsextremer Gewalttaten in Deutschland ist im vergangenen Jahr stark gestiegen. Gegenstrategien fehlen, doch die Behörde ist mit sich zufrieden.

Ein Feuerwehrmann schaut aus einem ausgebranntem Fenster

„Besonders besorgniserregend“: Angriffe auf Flüchtlingsheime wie kürzlich in Meißen. Foto: dpa

BERLIN taz | Seit Einführung der statistischen Erfassung der „politisch motivierten Kriminalität“ im Jahr 2001 wurden noch nie so viele fremdenfeindliche Gewalttaten gezählt wie im vergangenen Jahr. Das geht aus dem am Dienstag vorgestellten Verfassungsschutzbericht hervor. Der hohe Wert von 2013 (473) wurde 2014 mit 512 Übergriffen noch einmal deutlich übertroffen. Zusammengerechnet mit den übrigen rechtsextremen Gewalttaten, etwa gegen politische Gegner, ergeben sich 990 Gewaltdelikte – eine Steigerung zum Vorjahr um 23 Prozent.

Besonders im Fokus der Rechtsextremen stehen Unterkünfte für Flüchtlinge. Bei der Vorstellung des Berichts nannte Bundesinnenminister Thomas de Maizière die Zahlen „mehr als erschreckend“. 170 Angriffe im vergangenen Jahr und bereits 150 in der ersten Jahreshälfte 2015 – nicht mitberechnet Attacken, denen kein fremdenfeindliches Motiv zugeordnet wurde. Körperliche Angriffe auf Flüchtlinge listet der Bericht nicht auf. Die Amadeu Antonio Stiftung spricht jedoch von 81 Attacken im vorigen Jahr.

De Maizière appellierte, es dürfe „kein stilles Verständnis für Gewalt gegen Flüchtlinge geben“ – konkrete Ideen, wie die Entwicklung zu stoppen ist, konnten allerdings weder der Minister noch Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen präsentieren. Als Erfolg des Bundesamts bezeichneten beide die Aufdeckung der mutmaßlich rechtsterroristischen Vereinigung „Oldschool Society“ im Mai. Hierfür sei eine „Whatsapp-Gruppe aufgeklärt“ worden, erklärte Maaßen stolz.

Bei der Aufklärung von „elektronischen Angriffen“ gelte de Maizière zufolge der neue „360-Grad-Bilck“. Das bedeutet: Auch die Spionage befreundeter Staaten solle vom Verfassungsschutz geprüft werden. Im aktuellen Bericht schlägt sich diese Offenheit noch nicht nieder. Der Spionage bezichtigt werden hier namentlich China, Iran und Russland. Für eine Überwachung durch die NSA gebe es hingegen „keine Anhaltspunkte“, so BfV-Präsident Maaßen.

Bedrohlicher Islamismus

Die größte Bedrohung für Deutschland bleibe der Islamismus, ist sich Maaßen sicher. Sorgen bereiten demnach die deutlich steigenden Zahlen von Personen mit „salafistischen Bestrebungen“ und die etwa 700 Personen, die bislang nach Syrien ausgereist seien und von denen sich ein Drittel wieder in der BRD befinde.

Wenig Aufregendes hat das Amt im Bereich Linksextremismus festgestellt. Die Erkentnisse: Straf- und Gewalttaten sanken um 1,5 beziehungsweise 10,4 Prozent, Blockupy sei schlimm, Elmau gut gewesen.

Vor dem Haus der Bundespresekonferenz, wo der Bericht vorgestellt wurde, demonstrierten Mitglieder der Gruppe „Naturfreunde Berlin“ gegen den Verfassungsschutz. Erschienen waren sie in szenetypischem Outfitt, mit Lodenmantel, Schlapphut und Sonnenbrille. In einer kleinen Performance brachen sie einen mit Ketten gesicherten Panzerschrank auf, aus dem sie das “dunkle Kapitel“ der Behörde hervorholten: eine Akte über die Verwicklung des Inlandsgeheimdienstes in die NSU-Mordserie.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Mit der taz Bewegung bleibst Du auf dem Laufenden über Demos, Diskussionen und Aktionen gegen rechts.

Hier erfährst du mehr

Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.