Verfolgung von Roma in Serbien: Nirgends willkommen

Nach seiner Abschiebung aus Deutschland hielt Lutfi R.* es nur wenige Tage in Serbien aus: Als Roma werde er von der Polizei misshandelt, sagt er.

Rücken eines Mannes, er wendet sein Gesicht ab

Die Eltern von Lufti R. sind beide schwer krank. Einen Abschiebebescheid bekamen sie trotzdem Anfang des Jahres Foto: Jean-Philipp Baeck

WINSEN taz | Lutfi R.* ist zurück in Deutschland. Erst Ende September war die Polizei in seine Wohnung gestürmt, und hatte ihn samt Frau und fünf Kindern aus dem Landkreis Harburg abgeschoben. Doch Lutfi R., der zur Minderheit der Roma gehört, hielt es in Serbien nicht aus.

Als er nach seiner Abschiebung bei einem Cousin in einem kleinen nordserbischen Ort unterkommt, klopfen zwei Polizisten. Er soll auf die Wache kommen. Dort wird er geschlagen, bespuckt und getreten. Die Uniformierten beschimpfen ihn wegen seines muslimischen Namens: Moslems seien in Serbien nicht erwünscht. Sie beschimpfen ihn als „Zigeuner“ und sagen, er habe durch seine Flucht sein Land verraten.

Einen Tag später klopfen wieder zwei Polizisten, diesmal in Zivil. Wieder muss er mit auf die Wache, wieder wird er geschlagen. Nachdem er drei Tage später erneut auf der Wache misshandelt wird, hat Lutfi R. genug. Er versteckt seine Familie und haut ab. Es fällt ihm schwer darüber zu reden, dass er Frau und Kinder in Serbien zurückließ.

Rassismus gegen Roma ist in Serbien verbreitet

Wenn er von den Polizeiübergriffen erzählt, wirkt Lutfi R. mitgenommen, aber klar und aufgeräumt. Seine Rippen täten ihm bis heute weh, von einem Tritt in die Seite. Er benutzt eine Schmerzcreme. Beweise für die Misshandlungen hat er nicht.

Sein Fall scheint jedoch nicht aus der Luft gegriffen, denn Rassismus gegen Roma ist in Serbien verbreitet (siehe Kasten). Es kommt immer wieder zu Übergriffen, Roma-feindliche Beschimpfungen sind alltäglich. Die Minderheit wird unter anderem auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert. „Das ist das Problem“, sagt auch Lutfi R.: „Ich bin Zigeuner. Wenn sie das sehen, bekommst du in Serbien keine Arbeit.“

Roma leiden in Serbien unter Vorurteilen und Ausgrenzung – etwa auf dem Arbeitsmarkt oder beim Besuch von Ärzten.

Die Arbeitslosenquote für Roma war 2013 laut einem Bericht der Vereinten Nationen mit 49 Prozent fast doppelt so hoch wie beim Rest der serbischen Bevölkerung.

Die Lebenserwartungfür Roma-Frauen ist 20 Jahre kürzer als die der Mehrheitsbevölkerung.

Unterernährung gibt es in 67 Prozent aller Roma-Familien.

Gewalttätige Übergriffe kommen hinzu. Deren Dokumentation ist häufig schwierig.

Viele, die aus Deutschland abgeschoben werden, stehen in Serbien vor dem Nichts. In Belgrad und am Rande der Stadt leben Roma in informellen Siedlungen, in Hütten aus Sperrmüll.

Von den deutschen Behörden wird das ignoriert. Seit 2014 gilt Serbien aus migrationspolitischen Gründen als „sicheres Herkunftsland“ – angeblich auch für Roma.

Jovana Vuković vom Regional Center for Minorities, einer Menschenrechtsorganisation in Belgrad, sagte der taz, den konkreten Fall von Lutfi R. könne sie nicht kommentieren. Allerdings bestätigte sie, dass sie von Fällen aus anderen Regionen Serbiens wisse, in denen es zu Übergriffen durch die serbische Polizei nach der Abschiebung aus Deutschland kam.

„Das ganze Leben ist voller Trauer.“

Fünf Tage hat Lutfi R. von der serbischen Grenze zurück bis nach Harburg gebraucht. In dem Zaun, mit dem Ungarn mittlerweile die EU-Grenze abschottet, habe er irgendwo ein Loch entdeckt und sei durchgeschlüpft. Er habe kaum geschlafen, sagt er, lief einfach immer weiter. Bis er in Budapest eine günstige Zugverbindung nach Hamburg erwischte, dauerte es weitere zwei Tage, in denen er sich durchschlagen musste. „Ich habe mich gefühlt wie ein Penner“, sagt Lutfi R.

Am Montag sitzt er auf einer kleinen Couch bei seinen Eltern, in einer Sozialunterkunft in Winsen. Ein großer Fernseher läuft, das Zimmer ist kärglich eingerichtet: ein Sofatisch, ein Hocker, Sperrholzschränke.

Auf drei Matratzen übereinander liegt Lutfi R.s Vater an der Wand. Sein Gesicht ist bleich und eingefallen, er ist schwer krank. Am Dienstag hat er einen Termin im Universitätskrankenhaus in Hamburg-Eppendorf (UKE). Auch Lutfi R.s Mutter ist nicht gesund. Sie zittert und kann sich nur mit Krücken auf den Beinen halten. Beide bräuchten tägliche Pflege und Hilfe im Alltag. Im Frühjahr kam auch für sie ein Brief von der Ausländerbehörde, der ihre Abschiebung ankündigt.

Als sie Lutfi R. zuhört, wie er seine Geschichte erzählt, weint seine Mutter. „Er ist hier aufgewachsen“, sagt sie. „Das ganze Leben ist voller Trauer.“

1991, als auf dem Balkan mit dem Kroatienkrieg im ehemaligen Jugoslawien eine Zeit der Gewalt anbrach, kamen Lutfi R. und seine Eltern das erste Mal nach Deutschland. Sechs Jahre lebten sie hier, bis sie von den Behörden zu einer „freiwilligen Ausreise“ gedrängt wurden. Ein Jahr später war die Familie wieder in Berlin, im Dezember 2002 wird sie wieder abgeschoben. Dann kamen sie wieder, wurden erneut abgeschoben.

Die Biografie von Lutfi R., seinen Eltern, seiner Frau und seinen Kindern, von denen zwei in Deutschland geboren sind, erinnert an die vieler Roma-Familien aus Ex-Jugoslawien: Ein jahrelanges Hin und Her. Mehrfache Abschiebungen, kein Ankommen, nirgends willkommen.

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