Verführung im Museum: Kleine Gemeinheiten, große Gefühle

Die Kieler Kunsthalle beschäftigt sich in ihrer aktuellen Ausstellung mit den Sinnen. Einen pädagogischen Apparat braucht es dazu nicht.

Eine Million Fotos aus dem Internet: Installation des holländischen Künstlers Erik Kessels. Bild: dpa

KIEL taz | Oh doch, das gibt es: Besucher, die mit einem Lächeln auf den Lippen gemächlich durch eine Kunsthalle schlendern. Die es so gar nicht eilig haben, die geradezu extrem entspannt wirken, wenn sie einen Schritt zurück treten, um ein Kunstwerk in aller Ruhe zu betrachten. Die plötzlich aus einem Raum treten, die Tür sofort wieder hinter sich schließen, dabei tief ausatmen und sagen: „Ach, schade, dass es schon vorbei ist. Davon hätte ich gern mehr haben können.“

Nicht nur Frauen sind es, auch Männer. Wo ihnen doch sonst oft eine gewisse nörgelige Unlust ins Gesicht geschrieben steht, müssen sie Kunst betrachten, vorzugsweise im Sommer, bei Städtereisen, wo vormittags ein Besuch im örtlichen Kunsttempel dazu gehört. Auch sie sind erfasst von einer gewissen wohligen Begeisterung.

Zu erleben ist dies derzeit in der Kieler Kunsthalle. „Von Sinnen – Wahrnehmung in der zeitgenössischen Kunst“ heißt die dortige Ausstellung, die von zwei Seiten aus operiert: Sie versammelt einerseits Kunstwerke, die sich mit unseren Sinnen beschäftigen, die deren jeweilige Eigensinnigkeit feinfühlig analysieren und die Fragen nach der Zuverlässigkeit, der Unbestechlichkeit oder auch dem Wankelmut unserer Sinnesorgane und der daraus folgenden Sinneseindrücke stellen.

Und sie rückt Kunstwerke in den Fokus, die ihrerseits eine sinnliche Qualität haben. Ohne – und das ist wichtig – dass eine kunstpädagogisch justierte Maschinerie in Gang gesetzt wird, die einem mit allzu viel Erklärendem auf die Nerven fällt. Und ohne dass Künstler antreten, die allzu offensichtlich auf Lärm und Effekt setzen.

Kein Bällchenbad

„Wir wollten hier nun kein Bällchenbad aufbauen; wir wollen den Besucher nicht vordergründig bespielen“, sagt Natascha Driever, neben ihrer Kollegin Susanne Petersen und Kunsthallenchefin Anette Hüsch eine der drei hauseigenen Kuratorinnen. Auch gehe es nicht darum, sich von Kunstrichtungen wie der Konzeptkunst oder der Minimalart zu distanzieren, die oft für eine unsinnliche Kunst stünden, die entschlüsselt werden müsse.

Die Ausstellung beginnt mit einer leichthändige Einführung im Eingangsbereich: Rechts hängt das älteste Werk der Schau, die „Allegorie der fünf Sinne“, ein Gemälde von Herman van Aldewereld aus dem fernen Jahre 1651. Es erzählt auch von der sexuellen Verführungskraft, die man seinerzeit den Sinnen des Tastens und Riechens andichtete.

Flankiert ist das Bild linker Hand von einigen Vitrinen: in ihnen ein Riechfläschchen (1750), ein Hörgerät (Ende 19. Jahrhundert), ein Kochbuch (1836). Besonders eindrucksvoll eine Tierhaut mit diversen Nahtmustern für den angehenden Chirurgen (18. Jahrhundert), die wohl nur bei besonders hartgesottenen Besuchern kein Kribbeln auf der eigenen Körperhaut auslösen dürfte.

Fotos aus dem Internet

Das reicht auch schon, um den Besucher zu orientieren, und los geht die Reise mit einer Installation des Niederländers Erik Kessels. Er hat für „24 hrs in photos“ einen Tag lang sehr fleißig Fotos aus dem Internet heruntergeladen und vor allem ausgedruckt, die Menschen aller Couleur, Kulturen und Altersgruppen zuvor einen Tag lang auf die Plattform Flickr heraufgeladen haben, damit die Welt sehe, was sie zu zeigen haben.

Gut eine Million Bilder sind so zusammen gekommen, die sich nun zu einem Berg erheben, der in ein kleines Tal ausläuft, durch das der Besucher in den nächsten Raum gelangt. Allerweltsbilder sind es, die ein jeder macht: von sich, von der Frau oder dem Mann oder dem Hund oder der Katze. Von den Kindern, von der Essenstafel plus gebannte Alltagsszenen, von denen man vermutet, das einem irgendwie lustig zumute wird, betrachtet man sie nach dem Entwickeln.

So ist diese Arbeit ein kluger Kommentar zur anhaltenden Bilderflut, aber auch ein Verweis auf unseren Wunsch, immer wieder das sehen zu wollen, was wir sowieso schon sehen. Und nebenbei: Bilder mal mit Füßen zu treten, hat was.

Mit einer gewissen Ehrfurcht dürften die meisten die kniende, lebensnahe Männerskulptur „The smell of art“ von Eugenio Merino betrachten. Er hat die berühmten „Artist’s Shit“-Dosen von Piero Manzoni vom Anfang der 1960er aufgegriffen. Nur, dass der Mann – drapiert mit weißem Kittel und Schlips könnte es ein Apotheker oder ein Parfümeur sein – diesmal eine der Dosen geöffnet hat.

Die Britin Sam Taylor-Wood zeigt uns in einer kleinen Videoinstallation über eine Obstschale im Wandel der Zeit, wie irritierend es sein kann, wenn man etwas sieht, was man eigentlich eher riechen müsste. Auch Klaus-Peter Feldmann hat sich mit Obst beschäftigt: mit der Erdbeere. Genau ein Kilo dieser schmackhaften Früchte führt er uns lockend vor – und verweigert uns den eigentlichen Genuss.

Geheime Seitengemächer

Wunderbar auch der Beitrag von Erwin Wurm, der, so viel sei verraten, einem den Hals zuschnürt, oder der von Sonja Alhäuser – angereichert mit allerlei Kunstzitaten und essbar. Dazwischen sind einzelne Räume gestreut, deren geschlossene Türen einen zunächst abzuweisen scheinen – und an dieser Stelle auch nicht betreten werden. Sonst wäre manch’ hübscher Effekt verloren!

Denn weiß der Kopf des Besuchers erstmal Bescheid, fällt es den Sinnen schwer, sich überraschen zu lassen. Daher nur so viel: Via Lewandowsky (Abteilung Hörsinn) und Vadim Fishkin (Abteilung Fühlsinn) haben klasse, raumgreifende Arbeiten abgeliefert. Trefflich auch der eben nur fast leere Raum, den Heribert Friedl gestaltet hat (Abteilung Geruchssinn). So steckt diese Ausstellung voller Überraschungen, voller Irritationen, kleiner Gemeinheiten und großer Gefühle – so wie es sein sollte, bei einer Hymne an die Sinne und also an die Kunst.

bis 21. Oktober, Kiel, Kunsthalle
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