Videobeweis bei der Fußball-WM: Unter Druck

Bei der WM kommen Videoassistenten zum Einsatz. Die Fifa verspricht Transparenz, doch ein Problem werden die Schiris so schnell nicht los.

Ein Stadion wird blau angestrahlt

Das auf einer Newa-Insel erbaute Sankt-Petersburg-Stadion Foto: dpa

Wie ein finsterer Keller, in dem irgendeine Willkürherrschaft über Sieg und Niederlage entscheidet, sieht der Arbeitsplatz der Videoassistenten im Moskauer Strogino-Distrikt wahrlich nicht aus. Ein freundliches Rot-Blau dominiert das TV-Studio, in dem die Unparteiischen während der Weltmeisterschaft strittige Szenen untersuchen werden, hier herrscht eine ruhige, konzentrierte Arbeitsatmosphäre.

In großen Teilen des Bundesligapublikums hat sich ja das Bild von einer zwielichtigen Gruft, in der unsichtbare Menschen auf schwer durchschaubare Art und Weise den Ausgang von Fußballspielen beeinflussen, verfestigt. Bei der Weltmeisterschaft soll nun alles anders werden, viel besser. „Ich bin zwar etwas angespannt, aber ich bin auch guter Dinge, dass die Arbeit, die in den vergangenen Monaten in den Videobeweis gesteckt wurde, sich auszahlen wird“, sagt Lukas Brud wenige Tage vorm ersten WM-Einsatz der Technologie.

Brud ist Geschäftsführer des International Football Association Board (IFAB), das über die Fußballregeln wacht und in dieser Rolle mitverantwortlich für die Neuerungen, die den Videobeweis in Russland zu einer weniger heftig umstrittenen Hilfe für die Schiedsrichter auf dem Platz machen sollen. Es ist mächtig aufgerüstet worden.

In Deutschland hatten die Videoassistenten je einen beratenden Helfer neben sich, bei der Weltmeisterschaft werden es drei sein. Damit begutachten insgesamt vier Regelexperten die Bilder von 33 Fernseh- und zwei nur zu diesem Zweck installierten Abseitskameras, um am Ende zu einer gemeinsamen Entscheidung zu finden.

Bekämpfung der Orientierungslosigkeit

Wobei die neuen Kräfte noch andere Aufgaben erledigen als die bloße Interpretation von Wiederholungen und Zeitlupen. Der Weltverband hat sich zu einem Wagnis entschieden, zu dem den deutschen Unparteiischen bisher der Mut fehlt.

Die Orientierungslosigkeit, die oft herrscht, wenn wieder mal niemand weiß, was nun überprüft wird, und warum ein Tor doch nicht gilt, soll durch eine neue Kommunikationsstrategie bekämpft werden. Einer der Assistenten setzt Textbausteine zusammen, in Form von standardisierten Informationsseiten, die auf die Stadionleinwände und an die TV-Stationen übermittelt werden können. So sollen die Hintergründe der Entscheidungen nachvollziehbar werden: „Bei der WM will die Fifa sicherstellen, dass alle wissen, was passiert“, sagt Brud.

Strittige Situationen werden auf der Videowand zu sehen sein, überdies gibt es Textinfos für Zuschauer

Transparenz ist ein zentrales Motiv, deshalb werden auch die „Situationen, die die Videoassistenten dem Schiedsrichter in der Review-Area zeigen, auf der Videowand zu sehen sein“, beschreibt Bastian Dankert eine weitere Neuerung. Der Rostocker ist neben Felix Zwayer einer von zwei deutschen Videoassistenten, die in Russland im Einsatz sein werden. Dankert sagt: „Es ist dreimal besser, dass die Fans über diese Situation kontrovers diskutieren, als wenn sie gar keine Wahrnehmung zu einem Entscheidungsprozess haben.“

Die vielleicht wichtigste Verbesserung wird es aber an anderer Stelle geben, sofern die Technik nicht versagt: Es soll ein Tool geben, um Abseitssituationen zweifelsfrei nachweisen zu können. Und zwar nicht nur mit ins Bild montierten Linien, verwendet wird ein „3-D-Abseitsliniensystem“, das anhand der Daten mehrerer Kameras berechnet wird. So lässt sich darstellen, ob beispielsweise ein Kopf oberhalb des Rasens die Abseitsstellung einer Fußspitze am Boden aufhebt, was im Gegensatz zu den per Hand von den TV-Anstalten erstellten Abseitslinien tatsächlich zu einer schlüssigen Bewertung solcher Szenen taugen könnte.

Jede Menge Diskussionen

„Noch ist nicht alles perfekt, aber wir werden sicherlich keine wirklich schlimmen Fehler erleben wie beispielsweise ein übersehenes Abseits von drei Metern oder eine Elfmeterentscheidung nach einem Foul außerhalb des Strafraums“, sagt Fifa-Präsident Gianni Infantino. Jede Menge Diskussionen über dies und das wird es aber natürlich trotzdem geben.

Die 13 Videoassistententeams verfügen zwar über Erfahrungen mit der Technik aus ihren heimischen Ligen, aber die Schiedsrichter auf dem Rasen kommen mehrheitlich aus Ländern, wo der Videobeweis noch nicht zum Einsatz kommt. Und für alle Unparteiischen wird die Last, in einem wichtigen WM Spiel vor einem aufgepeitschten Publikum zur Außenlinie zu laufen, um dort in der sogenannten Review-Area eine Szene zu bewerten, erdrückend sein.

Die Unparteiischen entscheiden nicht mehr über ein paar Punkte im Ligaalltag, sondern müssen anhand von oftmals mehrdeutigen Bildern Urteile fällen, die ganze Nationen in tiefe Trauer stürzen können. Es wird spannend, ob unter diesem Druck schlüssige Bewertungen möglich sind. Und wenn Gastgeber Russland, dessen Ruf als faire Sportnation ohnehin beschädigt ist, von einer zweifelhaften Entscheidung der Videoassistenten profitiert, könnten sogar massive Schäden an der Glaubwürdigkeit des gesamten Wettbewerbs entstehen.

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