Virtuelles „Museum der 1000 Orte“: Verborgene Kunstsammlung

Ein grandioses Museum wächst im Internet. Es zeigt die Kunstwerke, die als Kunst am Bau oft dort entstanden, wo Minister ein- und ausgehen.

Eine Wolkenskulptur an einem Haus

Thorsten Goldberg, „Cumulus Berlin“, am Berliner Dienstsitz des Bundesministeriums für Ernährung Foto: Thorsten Goldberg

Seit 5 Jahren residiert das UN–Klimasekretariat im ehemaligen Bonner Abgeordnetenhochhaus „langer Eugen“. An der Stirnwand des Gebäudes zeigt ein überdimensionales Rundthermometer von 3,40 Meter Durchmesser die aktuelle Temperatur an. Es erinnert an Klimawandel und ist Kunst.

Das Thermometer von Michael Sailstorfer ist eines von etwa 10.000 Kunst-am-Bau-Projekten, die der Bund in den vergangenen 70 Jahren in Auftrag gegeben hat. Für Ministerien, Behörden, Dienststellen im In- und Ausland, von der deutschen Botschaft in Kabul bis zum Stasimuseum in Berlin.

Ein Prozent der jeweiligen Bausumme, so die Formel seit 1950, werden für Werke bildender Kunst ausgegeben. Damit sollen die jeweiligen Bauwerke ästhetisch veredelt, kreative Assoziation zu den profanen Aufgaben befördert und bei Bediensteten wie Besuchern emotionale Bindungen hergestellt werden. Hohe Ansprüche.

Kunst am Bau ist Auftragskunst. Für Künstler, die sich darauf einlassen, nicht ohne Risiko. Ihre Arbeiten müssen den durch Ort und Funktion gegebenen Kontext akzeptieren, sich dabei gleichzeitig als eigenständige Werke behaupten.

Wie das gelingen kann, zeigt sich exemplarisch im Bundesaußenministerium: Trak Wendischs Skulptur eines doppelten Seiltänzers überspannt in schwindelnder Höhe einen Innenhof, unabweisbar der Gedanke an riskante Drahtseilakte internationaler Diplomatie. Zu Gesicht bekommen das allerdings nur Menschen mit Hausausweis.

1000 Orte? 58. Noch

Trotz renommierter Namen von Emil Schumacher bis Rebecca Horn führt Kunst am Bau oft eine Existenz im Halbschatten reduzierter Aufmerksamkeit. Aber das ändert sich gerade. Das Bundesbauministerium und das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung haben sich entschlossen, diese zahlenmäßig wohl größte Kunstsammlung im Bundesbesitz öffentlich zu zeigen im eigens dafür geschaffenen „Museum der 1000 Orte“. Das kann nur ein virtuelles Museum sein. Eine Website.

Diese ist den Machern gut gelungen. Man kommt gar nicht auf den Gedanken, hier würde ein Surrogat geliefert, ein elektronisches Bilderbuch als verlegener Ersatz. Jedes einzelne Kunstobjekt wird in einer Serie von Fotos präsentiert, sie zeigen Werk und Bauwerk im visuellen Kontext. Dazu Texte, die Werk, Künstler, Bau, Historie in durchweg gelungener Mischung aus Sachkenntnis, Engagement und Lesbarkeit verbinden. Suchfunktionen nach Künstlern, Kunstwerken, Bauten, Zugänglichkeit, Entstehungsjahren, lokaler Verortung erschließen sich – endlich einmal stimmt dieser Begriff – intuitiv. Der virtuelle ­Museumsbesuch ist ein Vergnügen.

Die versprochenen „1000 Orte“ werden allerdings nicht erreicht. Tatsächlich verzeichnet die Datenbank gerade 58 Orte mit 121 Arbeiten. Das sind überschaubare Zahlen, angesichts der seit 1950 realisierten 10.000 Kunst-am-Bau-Werke. Aber der Titel ist wohl weniger Hochstapelei als ehrgeizige Absichtserklärung, das virtuelle Museum soll kontinuierlich ausgebaut werden.

Doch schon die erste Auswahl zeigt historische Entwicklungen: Der Mut zur künstlerischen Brechung von Amtsfunktionen wuchs mit der Zeit – ein überdimensionales Spielzeugboot wäre vor 70 Jahren an einem Militärstützpunkt kaum denkbar gewesen. 2003 wurde die Skulptur „Im selben Boot“ von der Künstlergruppe Inges Idee der Marineschule bei Stralsund vor die Tür gelegt.

Brechungen durch ihre Vorgeschichten

Kunst an Bonner Regierungsbauten der 1960er bis 1980er Jahre ließ Anschluss an die internationale Moderne erkennen, aber blieb doch zurückhaltender als die oft auftrumpfenden Gesten an und in späteren Amtsgebäuden der Berliner Republik. Von denen zeigen manche mehrfache Brechungen, auch künstlerisch, durch ihre Vorgeschichten.

Das Bundesfinanzministerium, nicht unbedingt ein Ort sozialistischer Haushaltspolitik, wird von einem 24 Meter langen realsozialistischem Wandbild geschmückt, Titel: „Aufbau der Republik“. Diese monumentale Arbeit schuf in der frühen DDR der kommunistische Künstler Max Lingner, als politisch-ästhetisches Signal gegen einen heroisierenden Soldatenfries, den zuvor die Nationalsozialisten für das ursprüngliche Reichsluftfahrtministerium Hermann Görings geordert hatten. Hier ist die besondere Geste, Lingners Bild als Kunst am Bau und als Zeugnis deutscher Zeitgeschichte zu erhalten.

Eine besondere Pointe setzt die Installation „Pure Moore“ des Berliner Bildhauers Fritz Balthaus. 221 Bronzebarren im Gesamtgewicht von 2,1 Tonnen. So viel wog die 2005 in England verschwundene „Reclining Figure“ von Henry Moore. Sie wurde mutmaßlich wegen des Materialwerts geklaut und eingeschmolzen. Diese Erinnerung an einen nie aufgeklärten Kunstraub hat ihren Platz im Innenhof des Bundeskriminalamts. Ironische Brechung und Reflexion von Kunstwert zugleich. Allein diese Geschichte lohnt einen Besuch im virtuellen „Museum der 1000 Orte“.

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