Vor dem EU-Flüchtlingsgipfel: Einsatz für Rettungsmissionen

EU-Parlamentarier wollen eine Neuauflage von „Mare Nostrum“ erzwingen. Die Bundeswehr zeigt sich bereit, Schiffe ins Mittelmeer zu schicken.

Mare-Nostrum-Rettungsaktion im Jahr 2014. Bild: dpa

BERLIN/BRÜSSEL dpa/afp | EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) hat die Staats- und Regierungschefs der EU aufgefordert, bei ihrem Sondergipfel am Donnerstag konkrete Entscheidungen zur Bekämpfung des Flüchtlingselends im Mittelmeer zu fällen. „Erstmal müssen alle verfügbaren Schiffe dorthin, wo die Lage derzeit am schlimmsten ist – ins Seegebiet vor Libyen“, sagte Schulz der Bild. Außerdem müssten die Mitgliedstaaten „sich endlich darauf verständigen, mehr Flüchtlinge aufzunehmen und diese gerechter in der EU zu verteilen“.

Schulz hob hervor, derzeit nähmen drei Länder – Deutschland, Frankreich und Schweden – rund 50 Prozent der Flüchtlinge auf. „Das kann nicht so bleiben“. Die Neuauflage eines Rettungsprogramms nach dem Vorbild des ausgelaufenen Einsatzes „Mare Nostrum“ bezeichnete Schulz als „einen der notwendigen Schritte“. Parallel dazu müsse die EU „versuchen, in Libyen selbst Strukturen aufzubauen mit denen wir gegen die kriminellen Machenschaften der Schleuser vorgehen können“.

Nach den jüngsten Flüchtlingstragödien im Mittelmeer kommen die EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstag zu einem Sondergipfel in Brüssel zusammen. Sie wollen über ein Zehn-Punkte-Programm von EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos beraten. Das Treffen war angesetzt worden, nachdem in der Nacht zum Sonntag vor der Küste Libyens rund 800 Flüchtlinge ums Leben gekommen waren.

EU-Parlamentarier wollen Rettungsprogramm erzwingen

Eine Gruppe von EU-Parlamentariern machte derweil deutlich, dass sie eine Neuauflage des Seenotrettungsprogramms „Mare Nostrum“ notfalls erzwingen will. „Wir haben ein Vetorecht“, heißt es in dem Schreiben an EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD), das Spiegel Online am Donnerstag vorlag. „Wir werden gegen jedes EU-Budget stimmen, das kein mit ‚Mare Nostrum‘ vergleichbares oder besseres Rettungsprogramm vorsieht.“

Der Brief der Gruppe um den österreichischen Grünen Michel Reimon hatte dem Bericht zufolge am Mittwochabend bereits Dutzende Unterzeichner aus mehreren Fraktionen, darunter auch Sozialdemokraten und Vertreter der konservativen EVP. Für eine Blockade-Mehrheit sind 376 EU-Abgeordnete erforderlich. Der nächste EU-Haushalt soll noch vor dem Sommer beschlossen werden.

Die italienische Hilfsmission „Mare Nostrum“ war vergangenes Jahr eingestellt worden. Hintergrund war ein Streit in der EU, ob solche Missionen ungewollt noch mehr Flüchtlinge zur Überfahrt über das Mittelmeer ermutigen. Nach dem Unglück vom Wochenende mit etwa 800 Toten wurden Rufe nach einer Neuauflage des Rettungsprogramms laut.

Bundeswehr bietet Hilfe bei Seenotrettung an

Mehr als 600 deutsche Marinesoldaten könnten sich in Kürze an der Rettung beteiligen. Wie die Deutsche Presse-Agentur am Donnerstag aus Bundeswehrkreisen erfuhr, gibt es das Angebot, den Einsatzgruppenversorger „Berlin“ sowie die Fregatten „Karlsruhe" und „Hessen“ auf den Weg in Richtung Italien zu schicken. Die Schiffe sind derzeit im Rahmen der Anti-Piraterie-Operation „Atalanta“ am Horn von Afrika unterwegs. Sie könnten innerhalb von fünf Tagen am Ort des Geschehens sein, hieß es.

Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums bestätige auf Nachfrage die Bereitschaft der Bundeswehr, sich am Ausbau der aktuellen EU-Operation im Mittelmeer zu beteiligen. Auf Details wollte er allerdings nicht eingehen. „Die Frage, ob und in welcher Weise ein Verband zum Einsatz kommt, muss politisch entschieden werden“, hieß es. Grundsätzlich verfüge die Marine über sehr gute Fähigkeiten zur Seenotrettung, insbesondere mit dem Einsatz- und Ausbildungsverband.

Der Einsatzgruppenversorger „Berlin“ sowie die Fregatten „Karlsruhe“ und „Hessen“ sind derzeit Teil dieses Verbandes. Sollte es einen Einsatzbefehl geben, könnte die „Berlin“ sogar als schwimmendes Krankenhaus dienen. Sie hat ein aus mehr als zwei Dutzend Spezialcontainern bestehendes Rettungszentrum an Bord. Medizinisches Personal könnte kurzfristig eingeflogen werden, hieß es aus Bundeswehrkreisen.

Amnesty International kritisiert Abschottungspolitik

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat die Vorhaben der EU in der Flüchtlingspolitik heftig kritisiert. Die Pläne der Europäischen Union seien „allein motiviert von Sicherheitspolitik und Kriminalitätsbekämpfung und nicht von Menschenrechtspolitik“, sagte die geschäftsführende Direktorin des EU-Büros von Amnesty, Iverna McGowan. Die EU brauche aber „ein umfassendes Flüchtlings- und Zuwanderungskonzept“. „Sonst werden sich solche Tragödien im Mittelmeer immer wieder ereignen“, warnte McGowan.

Das Zehn-Punkte-Programm sieht unter anderem einen verstärkten Kampf gegen Schlepperorganisationen vor. Dies sei „ein rein militärischer Ansatz und kein Ersatz für eine angemessene Flüchtlingspolitik“, kritisierte McGowan und forderte von der Staatengemeinschaft „ein angemessenes Seenotrettungsprogramm“.

„Europa hat seine Landgrenzen für Flüchtlinge geschlossen, sie zwingt Migranten geradezu zur gefährlichen Fahrt über das Mittelmeer“, kritisierte die Amnesty-Vertreterin. Auch vor der angedachten Einführung von Asylzentren in Nordafrika warnte sie. „Mir ist nicht klar, wie die EU in solchen Zentren ein rechtstaatliches Verfahren garantieren will, noch nach welchem Recht dort über Asylanträge entschieden werden soll“, sagte McGowan.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.