Währungsunion und Griechenland: Angst ist stärker als Utopie

Als die Währungsunion den Ossis die D-Mark brachte, wollten viele ihr Geld retten. Das ist menschlich und in Griechenland kaum anders.

Jeder darf täglich maximal 60 Euro abheben. Foto: dpa

BERLIN taz | Die Schlange reichte kilometerweit. Von der Filiale 1 der Berliner Sparkasse quer über den Alexanderplatz bis zum Centrum Warenhaus, das heute Galeria Kaufhof ist.

Wochenlang standen im Frühsommer 1990 die Menschen bei der Bank an. Wie überall damals in der DDR. Freunde und Verwandte wechselten sich gegenseitig ab, brachten Essen und Trinken mit, manche hatten Campinghocker dabei. Die Menschen wollten ihre Ersparnisse retten, am 1. Juli 1990 sollte die DDR-Mark auf die D-Mark umgestellt werden. Eine Währungsunion unglaublichen Ausmaßes: Jeder Erwachsene durfte 4.000 Ostmark zum Kurs von eins zu eins umtauschen, Rentner 6.000 und Kinder 2.000. Der Rest wurde eins zu zwei gewechselt.

Das große Handeln begann: Eltern schoben ihren Kindern mit leeren Konten Geld zu. So viel Geld wie möglich sollte eins zu eins gerettet werden.

Auch Wessis witterten das große Geschäft. Sie tauschten auf dem Schwarzmarkt West- gegen Ostmark, Kurs eins zu sieben. Sie lagerten das Geld auf Konten von Ostfreunden, um sich ihre „Einlage“ nach dem 1. Juli in West auszahlen zu lassen. Ein bisschen was davon durften die Ostfreunde behalten, den Rest strichen sie ein. Ein Reibach für alle Seiten.

Uns selbst am nächsten

Wenn es ums eigene Geld geht, sind die meisten Menschen sich selbst am nächsten. Das waren die Ossis vor 25 Jahren. Und das sind die Griechen heute. Wer wie sie zur Zeit täglich nur 60 Euro am Automaten abheben darf und nicht weiß, ob er morgen noch was kriegt, der denkt zuerst sicher nicht: Am Sonntag werde ich beim Referendum über das Sparpaket mit Nein stimmen, so wie das Präsident Alexis Tsipras bewirbt. Schließlich geht es um uns, die „stolzen Griechen“, und darum, dass die EU mit uns nicht machen kann, was sie will.

Viele werden anders denken: Die Abstimmung ist mir völlig wurscht, solange ich nicht an mein Geld komme. Wenn die Regierung mir aber versichert, dass ich wieder über mein Konto verfügen kann, so wie ich es will, dann stimme ich allem zu, was Tsipras und Konsorten von mir verlangen. Notfalls auch mit Ja. Und dann sehen wir mal weiter.

Zugegeben, dieses Szenarium ist spekulativ. Aber wäre es den Griechen zu verübeln, so zu denken und so zu handeln? Wäre es nicht rein menschlich?

Vor 25 Jahren erlebte die DDR eine ähnliche Situation. Mit der Währungsunion entschieden sich die Ossis eindeutig fürs Geld. So stark, wie die BürgerrechtlerInnen im Wendeherbst Freiheit, Demokratie und Bürgerrechte forderten, so stark wählte das Volk 1990 die D-Mark. Plötzlich ging es nicht mehr um Presse- und Meinungsfreiheit und um den sogenannten dritten Weg, den die DDR hätte gehen können: irgendwas zwischen Planwirtschaft und Marktwirtschaft.

Nutella statt Vision

Die BürgerrechtlerInnen und ihre AnhängerInnen wollten keine DDR mehr. Sie wollten aber auch keine BRD. Doch schon bald nach der Wende waren die BürgerrechtlerInnen nicht mehr gefragt, ihre Gesellschaftsentwürfe wurden weggewischt wie lästige Krümel. Bald ging es nicht mehr um Visionen, sondern um Mallorca, Golf GTI und Nutella.

Das haben viele heute vergessen. Auch das ist menschlich. Jüngere Erinnerungen überdecken die älteren. Aber es gibt starke Gefühle, die man nicht so leicht wieder los wird: die erste Liebe, die Geburt eines Kindes, den Tod eines nahen Menschen, Angst.

Die meisten Menschen in der DDR hatten 1990 Angst, durch die Währungsunion ihr Geld zu verlieren. Viele hatten schon keinen Job mehr, jetzt wollten sie wenigstens ihre Ersparnisse retten. In Griechenland ist das heute kaum anders.

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