Wahlforscher mit neuem Buch: Manfred Güllners Wirklichkeit

Der Forsa-Chef hat ein Buch über den „vergessenen Wähler“ geschrieben. Peter Altmaier hält es für ein „Wunderwerk“.

Peter Altmaier (li.) und Wolfgang Güllner sitzen an einem Tisch

Hemdsärmlige Buchvorstellung Foto: taz

BERLIN taz | Der Kanzleramtschef übte sich in Höflichkeit. Forsa-Chef ­Manfred Güllner habe mit seinem Meinungsforschungsinstitut „die Szene ganz schön aufgemischt“ und sei „Teil des Inventars dieser Republik geworden“, sagte Peter Altmaier. Der neben ihm sitzende Güllner fühlte sich sichtlich geschmeichelt.

Der Bundesminister für besondere Aufgaben hatte am Donnerstag die besondere Aufgabe übernommen, im noblen Berliner Restaurant Borchardt das neue Buch Güllners vorzustellen. Am Tag zuvor habe er es auf einer Fahrt nach Aachen „in einem Rutsch“ und „mit Gewinn“ gelesen, schwärmt Altmaier. Es sei „ein kleines Wunderwerk“ – genauso wie das Bundestagswahlprogramm von CDU und CSU. Es helfe „uns allen bei der Orientierung“.

„Der vergessene Wähler“ lautet der Titel des Werks, das Güllner zeitlich geschickt wenige Wochen vor der Bundestagswahl auf den Meinungsmarkt wirft. „Vom Aufstieg und Fall der Volksparteien“ soll es laut Unterzeile handeln. Das allerdings ist etwas geflunkert. Tatsächlich handelt es vor allem von der Weltsicht des 75-jährigen Wahlforschers, in die er die Geschichte der Bundesrepublik presst. Seine Botschaft: Wenn Union und SPD ihren Anspruch, Volkspartei zu sein, aufrechterhalten wollen, dürften sie „nicht mehr in dem Maße wie in der Vergangenheit ­Modetorheiten nachgeben oder einem vermeintlichen Zeitgeist hinterherlaufen“ – wozu er beispielsweise die Kehrtwende in der Energiepolitik nach Fukushima zählt.

Diese „Anbiederung an einen vorgeblichen grünen Zeitgeist“ habe weder der SPD noch der CDU zu mehr Vertrauen verholfen, sondern ausschließlich den Grünen genutzt“, schreibt er. Und wie schlimm, ja gar demokratiegefährdend die Grünen aus seiner Sicht sind, darüber hat Güllner bereits vor der vergangenen Bundestagswahl ein eigenes Buch veröffentlicht.

Hassliebe mit der SPD

Den Volksparteien schade die „zu starke Berücksichtigung von Interessen sich lautstark artikulierender Minderheiten“, ist er überzeugt. Gänzlich unverständlich ist Güllner, dass die SPD „immer wieder mit Umverteilungsfragen“ Wahlen gewinnen wolle. Da leidet der rechte Sozialdemokrat. Bis heute ist er auch der festen Überzeugung, die drastischen Wählerverluste der SPD hätten nichts mit Schröders Agenda 2010 zu tun: „Nicht die ‚Agenda 2010‘ war für den Wählerschwund der SPD verantwortlich, sondern die mangelnde Unterstützung Schröders durch die eigene Partei.“ So wie schon Helmut Schmidt nicht an seiner eigenen Politik, sondern an der SPD-Linken gescheitert sei. Auf die beiden rechtssozialdemokratischen Säulenheiligen lässt Güllner nichts kommen.

Seit rund 50 Jahren ist er nun schon Mitglied der SPD, inzwischen in Reinickendorf. Es ist eine Art Hassliebe. Als Juso noch kräftig links blinkend, wird er seit Langem dem rechten Parteiflügel zugerechnet. Von 1969 bis 1978 saß Güllner für seine Partei im Rat von Köln, dann wechselte er als Direktor ins Statistische Amt der Stadt. In der Kölner Stadtverwaltung war er auch für das Einwohnermelde- und das Wahlamt verantwortlich. Seiner Partei habe er „wirklich viel zu verdanken“, sagte er einmal. „Ohne Mitglied der SPD zu sein, wäre ich nie Amtsleiter geworden.“ 1984 gründete er Forsa.

Der SPD-Wählerschwund habe nichts mit der Agenda 2010 zu tun, meint Güllner

Einige würden ihm immer wieder vorwerfen, Politik machen zu wollen, beklagt sich Güllner. „Das ist falsch, das will ich nicht“, beteuerte er am Donnerstag. Aber genau das macht er. So virtuos wie seit der seligen Elisabeth Noelle-Neumann, Gründerin des Allensbach-Demoskopie-Instituts, kein anderer jongliert er mit den demoskopischen Daten. Dass bei Forsa bisweilen auch ein politischer Opportunitätsfaktor in die Berechnung einfließen könnte, hat Güllner selbstverständlich stets ebenso heftig dementiert wie die böse Unterstellung, er betreibe Demoskopie nach dem Prinzip der self-fulfilling prophecy.

So lobend sich Peter Altmaier auch äußert: Auf dessen Zahlen will er sich nicht verlassen. Sicherlich müsse man sich auch um demoskopische Befunde „kümmern“, sagt er. „Aber sie sind auch nicht die Weisheit der Welt.“ Schließlich sei die Wirklichkeit „nicht immer ganz einfach zu ermitteln“. Außerdem könnten auch Demoskopen sich irren. Da schaut Güllner etwas säuerlich. Sicherlich hat Forsa noch ein paar Zahlen parat, die das Gegenteil beweisen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bei wieviel Prozent liegen die Parteien? Wer hat welche Wahlkreise geholt?

▶ Alle Zahlen auf einen Blick

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.