Wahlkampf in Hamburg: Ein bisschen Schulkrieg

Die CDU lässt mit der Debatte um das Turbo-Abitur den alten Streit um die Schulstruktur aufleben. Die SPD sieht die Dringlichkeit des Themas nicht.

Ein Mann und eine Frau stellen ein Schild der Initiative "G9-Jetzt-HH" auf.

Thema aus der Mottenkiste: Aktivist*innen der Initiative „G9-Jetzt-HH“ im August 2014 Foto: dpa

HAMBURG taz | Mit einer Debatte über den „Wunsch nach längerem Lernen am Gymnasium“ hat Hamburgs CDU-Fraktions-Chef André Trepoll in der Bürgerschaft am Mittwoch den Vorwahlkampf eröffnet. Bereits seit Dezember ist bekannt, dass die Partei, die bei 14 Prozent dümpelt, mit dem Thema Turbo-Abitur in den Wahlkampf ziehen will. Groß ist die Hoffnung, das Wunder von Schleswig-Holstein zu wiederholen: Dort hatte im Frühjahr 2017 CDU-Mann Daniel Günther auf die Meinungsforscher vertraut, die Abschaffung des Turbo-Abiturs versprochen – und die Wahl gewonnen.

Trepoll, von anderen Parteien und auch aus eigenen Reihen für seinen Vorstoß kritisiert, landete nun seinerseits einen Coup dank Meinungsforschung: Laut einer Abendblatt-Umfrage von dieser Woche sind 76 Prozent der Hamburger dafür, zum Abitur nach neun Jahren (G9) am Gymnasium zurückzukehren. Drum meldete er das Thema zur aktuellen Stunde an.

„Die Frage nach längerem Lernen, nach weniger Lernstress, auch die beschäftigt die Menschen in unserer Stadt“, sagte der CDU-Mann und hielt ein Pappschild mit „76 %“ hoch. Das sei eine bemerkenswerte Zahl. Die G9-Frage sei keine Struktur- sondern eine Qualitätsfrage. „Diese Diskussion wollen wir mit der Stadt führen.“ Der Bürgermeister wolle Bildung aus dem Wahlkampf halten. Ihm selbst dagegen werde gesagt, er wolle einen „neuen Schulkrieg“ auslösen. Doch „so geht es nicht“, sagte Trepoll. Debatten müssten sein.

SPD-Fraktions-Chef Dirk Kienscherf konterte auch mit Umfragen: Das Thema Bildungspolitik sähen die Hamburger im Wahlkampf gar nicht als dringend an, „weil die gespürt haben, dass wir viel in Bildung investiert haben“. Die CDU suche nach einem „Strohhalm“, um von den 14 Prozent wegzukommen. Auch Schulsenator Ties Rabe (SPD) fragte: „Ist denn G8 wirklich so schlimm?“ Er habe den Eindruck, es sei wie beim Brexit: „Man zündelt halt gern.“

Für eine Rückkehr zum Abitur nach neun Jahren an Gymnasien sind 76 Prozent der Hamburger. Das ergab eine Forsa-Umfrage im Auftrag des Hamburger Abendblatts.

Die höchste Zustimmung gibt es bei Linke-Wählern mit 82 Prozent, gefolgt von denen der CDU und AfD mit je 80 Prozent. 75 Prozent der SPD-Wähler und 74 Prozent der Grünen-Wähler sind dafür. Am wenigsten stimmen FDP-Wähler zu mit 66 Prozent.

Das Turbo-Abiwurde vor 17 Jahren eingeführt. Unter den 18- bis 29-Jährigen, die es selbst erlebt hat, sind 74 Prozent für G9.

Trepoll musste sich anhören, er bringe den vor zehn Jahren beschlossenen „Schulfrieden“ in Gefahr. Denn das Abitur nach neun Jahren gibt es ja an den 58 Stadtteilschulen der Stadt. Diese Verabredung hatte auch die CDU mit auf den Weg gebracht und unterstützt. Beim CDU-Parteitag im Dezember, hatte Schul-Fachfrau Birgit Stöver eindringlich gewarnt, eine Rückkehr zu G9 am Gymnasium würde zu einem „Run“ führen, der dieses zu „einer Art Gesamtschule“ mache und „der Einheitsschule Vorschub“ leiste.

In der Hoffnung, aus dem Umfragetief rauszukommen, „kapern Sie mal eben das eigene Bildungsressort“, hielt Linken-Fraktions-Chefin Sabine Boeddinghaus Trepoll vor.

In der Tat kam Stöver erst ganz am Ende zu Wort. Sie reihte sich aber in die Linie ihres Fraktionschefs ein. „So wie es ist, kann es nicht bleiben.“ Viele Eltern beklagten am Gymnasium eine zu hohe Belastung für ihre Kinder und sähen „die Stadtteilschule leider noch nicht als Alternative“.

Grund für eine Attacke der Linken auf die CDU. „Warum stellen Sie sich nicht hinter die Stadtteilschule und werben für diese Schulformen“, fragte Boeddinghaus. „Sie macht ’ne super Arbeit und führt genauso zum Abitur.“

Boeddinghaus kündigte an, sie werde 2019 ein ganz neues Schulgesetz vorstellen, für ein inklusives Schulwesen in Hamburg, das die Zeit bis zum Abitur flexibler gestaltet. Denn auch das jetzige Zwei-Säulen-Modell sei „hoch selektiv“, weil jährlich hunderte Schüler das Gymnasium verlassen müssen. Die segensreiche Wirkung des Schulfriedens sei „eine Mär“. Wenn SPD und Grüne nun mit CDU und FDP über eine Verlängerung des Schulfriedens verhandelten, sollten sie daran denken, “wie sozial ungerecht dieses System ist“.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.