Was beim Tanzen passiert: Extrem außer und ganz bei sich

Über das beglückende Gefühl, am richtigen Ort zur richtigen Zeit und das Zentrum der Welt zu sein. Eine Reflexion über den Zustand, wenn das Denken aufhört.

Eine Verschmelzung von Menschen, von denen sich jeder einzelne auf höchst individuelle Weise bewegt. Oder kurz: Tanzen. Bild: Janski/Photocase

Für mich beginnt das Tanzen (und ich meine damit das Tanzen zu Popmusik auf Partys oder in Clubs) meistens mit einer Art innerem Sprung: So, jetzt tanzt du! Ein Phänomen von Sperre und Überwindung, mal stärker, mal kaum zu registrieren, ist mit dieser Entscheidung verbunden; oft hilft Alkohol. Jedenfalls ist es nie so, dass ich im Sinne eines gleitenden Übergangs zunächst ein bisschen tanze, mich vielleicht schon einmal in den Hüften wiege oder mit einem Bein zucke oder auch nur mitsinge. Ich tanze. Oder ich tanze nicht. Das sind zwei deutlich voneinander geschiedene Seinsmodi.

Aber der Entscheidung zum Tanzen geht meistens schon ein sich langsam aufbauender innerer Übergang voraus. Ich beginne, die Tanzfläche zu beobachten, das Interesse an den Gesprächen in der Umgebung lässt nach, die Musik wird wichtiger, lauter im Kopf. Äußerlich noch unbewegt, bereitet sich in mir also das Tanzen vor. Wie und wann genau der Sprung einsetzt, vermag ich nicht zu sagen; nur, dass das Tanzen dann nicht so gut wird, wenn dieser Vorgang zu sehr von mir forciert wurde. Sondern eher so ähnlich, wie man sich im Meer von einer nicht zu hohen Welle emportragen lässt.

Am schönsten ist das alles, wenn es sich als ein unvermeidliches Schicksal des jeweiligen Abends vollzieht, als ein kleines Spannungsdrama, als dessen Ende und Auflösung dann selbstverständlich und auch beglückend das Tanzen steht.

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Natürlich spielen auch äußere Umstände eine Rolle. Wie ist die Musik? Wer tanzt noch? Wie ist die Tanzfläche? Besonders großartig ist es immer, wenn mit dem eigenen Übergang, manchmal geradezu wie magisch durch imaginäre Kanäle verbunden, auch die Umgebung zu tanzen anfängt.

Dieser magische Moment, wenn der oder die Erste zur Musikanlage geht und den Lautstärkeregler aufdreht! Wenn in genau diesem Moment der richtige Song läuft – entweder verlockend und mit dem richtigen Groove ums Tanzen werbend oder aber schon ein Hit, der wie mit Geisterhand die Atmosphäre im Raum ändert –, dann ist alles klar, dann wird das eine gute Tanzparty.

Gern erinnere ich mich an eine Nacht in der Hamburger Bar „Hasenschaukel“, auf St. Pauli. Unter dem schönen Motto „Ob homo, hetero, bi oder a – Hauptsache sexuell“ legten zwei DJs soulige Sachen auf. Erst saßen alle Gäste noch an den Tischen. Dann tanzten erst zwei, drei Paare, die sich zunächst noch gegenseitig selbst bestärken mussten, auf der kleinen Tanzfläche.

Dann waren die Tänzer irgendwann in der Überzahl. Und am Schluss tanzte der ganze Laden in einem Nichttanzlokal, auch auf, zwischen, neben den Tischen, egal. Gesteigerte Intensität. Eine Eroberung der Schönheit des Augenblicks, des Glücks durch das Tanzen. Die Tische wurden schließlich, um Platz zu schaffen, ganz an den Rand geschoben.

So ein unverhofftes Ausrasten der Anwesenden, diese Form der erlaubten Übertretung der normalen Bewegungs- und Kommunikationsrasters, gibt einem das beglückende Gefühl, an genau der richtigen Stelle zu genau der richtigen Zeit zu sein, wie im Zentrum der Welt. Nein, nicht wie im Zentrum der Welt, man ist da schon narzisstisch geflashter, man ist das Zentrum der Welt. Und das Schöne ist, dass es ziemlich egal ist, was man dabei macht und wie nun genau man sich bewegt. Hauptsache, man fühlt sich erkennbar gut dabei.

Man lässt es geschehen

Was genau mit einem beim Tanzen geschieht, ist schwer zu sagen. Im Idealfall ermöglicht es ein größtmögliches Außer-einem-selbst-Sein und ein gesteigertes Bei-sich-Sein zugleich. Dass es einen Kontrollverlust darstellt, wie oft gesagt wird, stimmt so ja gar nicht. Man kontrolliert sich ja schon, nur mit anderen, erweiterten, gnädigeren Regeln; wobei die Grenzen unter den Tanzenden nonverbal in vielen kleinen Minibewegungen ausgehandelt werden.

Pogo tanzen in einem Soulstück funktioniert zum Beispiel gar nicht; höchstens ist es als Aufforderung an den DJ zu verstehen, komplett die Musikrichtung zu wechseln, was von den anderen Tanzenden entweder zustimmend (man fällt in die Pogobewegungen ein) oder ablehnend (man tanzt einfach weiter und hofft, dass der Anfall vorübergeht) kommentiert werden kann.

Was das Verhältnis von Individualisierung und Gruppenbildung betrifft, schafft das Tanzen vielleicht sogar das größtmögliche Paradox: eine Verschmelzung von Menschen, von denen sich jeder einzelne auf höchst individuelle Weise bewegt. Insofern empfinde ich jedenfalls es immer als defizitär, wenn die Einheit auf der Tanzfläche über gemeinsam mitgesungene (später in der Nacht auch gegrölte) Refrains vorgenommen wird oder durch ein gegenseitiges Sichversichern durch Gesten oder Sprüche, dass man diesen Hit ganz toll findet. Viel schöner ist es, wenn sich alles von selbst versteht und man gar nichts erklären muss. Wobei diese Einheit natürlich immer nur auf Zeit besteht, solange die Musik spielt.

Wenn man Glück hat und alles richtig läuft, tanzt man sich so innerhalb einer Gruppe in einen anderen Zustand hinein. In der Bewegungskoordination hat sich etwas gelockert, zum Teil sogar verselbstständigt; man lässt es geschehen, eher dass man es selbst willentlich vorantreibt. Es gibt dieses Wort „Flow“, das diesen Zustand immerhin benennt, das aber, finde ich, auf das Tanzen dennoch nicht richtig zutrifft. Es ist ja kein ruhiges Fließen, in das man sich eingliedert auf der Tanzfläche, zumindest hat die Szenerie wirbelnde, teilweise auch zuckende Elemente. Die Vielzahl von Eindrücken, die auf einen einströmt, kann man gar nicht so schnell auflösen, wie sie geschehen.

Verbunden ist das mit intensiven Wahrnehmungserlebnissen, die sich aber nicht mehr zu sinnvollen Verbindungen zusammenfinden müssen. So hört man die Musik nicht mehr im eigentlichen Sinn des Wortes, vielmehr tritt man in sie ein, man nimmt an ihr teil; sie ist das eigentliche Medium, in dem man sich bewegt, so als sei die Welt mit Tönen geflutet. Hinzu kommen blitzartige Erkenntnisse, glasklare Einsichten, die man aber zuverlässig im nächsten Augenblick wieder vergessen hat.

Bleibt der Übergang zurück vom Tanzen zum Nichttanzen. Der ist anders kompliziert. Im Idealfall funktioniert er gerade nicht mit einem Sprung oder als Entschluss, sondern fließend. Schön ist es, wenn der andere Zustand, die bei gelungenen Tanznächten verwandelte Welt, noch eine Weile mit einem mitschwingt. Man hat noch Musikfetzen im Kopf, man ist benommen von der Vielzahl der Eindrücke, die in einem noch nachtanzen, man hat ein leichtes Dröhnen im Ohr, man sieht Sterne am Nachthimmel. Und morgen ist ein anderer Tag. Dann war es gutes Tanzen.

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