Was kostet das Berliner Flughafenchaos?: Blackbox BER

Der Flughafen gilt als Milliardengrab – aber was die Baustelle wirklich verschlingt, ist unklar. Die Frage ist: Fließt irgendwann Geld zurück ans Land?

Schöne Scheiße: Das einzige, was am BER regelmäßig landet, sind die Tauben Foto: Claudius Prößer

BERLIN taz | Am Eingang zur unteren Ebene des BER-Terminals sitzt ein Wachmann auf einem Plastikstuhl. Auf dem Tisch mit der elektronischen Stechuhr liegen eine Stulle und ein Sudokuheft, daneben ist ein Foto des neuen Flughafengeschäftsführers Engelbert Lütke Daldrup in Klarsichtfolie an die rohe Wand gepinnt. Damit er den neuen Chef erkennt, wenn der reinkommt? „Ick war det nich“, sagt der Flughafenhüter und zuckt mit den Schultern.

In dem Gebäude, das er bewacht, an den Check-in-Schaltern unter dem Flachdach des Terminals, in den Gängen der Piers und im unterirdischen Bahnhof, passiert kaum noch etwas. Das berüchtigte Entrauchungssystem ist in beherrschbare Segmente zerschlagen, die automatischen Türen sollen mittlerweile ihren Dienst tun.

Jetzt muss noch der Wasserdruck in der unzählige Male veränderten Sprinkleranlage Rohr für Rohr, Windung für Windung nachgerechnet werden, manchmal wird eine Justierung fällig. Das dauert. Bei öffentlich-rechtlichen Bauprojekten nähmen es die Aufsichtsbehörden eben ausgesprochen genau, sagt Lütke Daldrup, seit März Geschäftsführer der Flughafengesellschaft Berlin Brandenburg (FBB) in leicht leidendem Ton. Die Inbetriebnahme im kommenden Jahr kippelt längst.

Von Hartmut Mehdorn, Lütke Daldrups Vorvorgänger, stammte die Behauptung, jeder Monat Nichteröffnung verschlinge 34 Millionen Euro: 20 Millionen für die Instandhaltung – wer hat nicht schon von den Bahnen gehört, die regelmäßig in den Bahnhof fahren müssen, um Schimmelbildung zu vermeiden? – und 14 Millionen durch entgangene Mieteinnahmen.

Betriebsgeheimnis!

Kann sein, dass die Zahlen stimmten, kann sein, dass nicht. Heute teilt FBB-Sprecher Lars Wagner mit, die Instandhaltung des leeren Airports koste monatlich „zehn bis 13 Millionen Euro“, für entgangene Mieten gelte das Betriebsgeheimnis. Was im Einzelnen wie viel Geld verschlingt, ist für Außenstehende oft eine Blackbox.

Aber was kostet der BER eigentlich unterm Strich? Was kosten uns BerlinerInnen die Verschiebung der Eröffnung, die Umbauten, der jahrelange Leerlauf? Je genauer man hinsieht, umso komplexer werden die Fragen, umso schwammiger die Auskünfte.

2006: Der erste Spatenstich für den BER findet am 5. September in Schönefeld statt, Eröffnung soll am 30. Oktober 2011 sein. Der Geschäftsführer der Flughafengesellschaft Berlin Brandenburg (FBB) ist Rainer Schwarz.

2010: Die Eröffnung wird auf den 3. Juni 2012 verschoben, unter anderem wegen der Pleite einer Planungsfirma.

2012: Am 8. Mai müssen Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit und Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck die Eröffnung überraschend absagen, unter anderem wegen Problemen mit der Brandschutzanlage. Erst wird der 17. März 2013 als neues Datum genannt, dann der 27. Oktober 2013. Die Kosten lagen schon vorher bei etwa drei Milliarden Euro – neben einem Paket von Bankenkrediten in Höhe von 2,4 Milliarden hatte die FBB eigene Mittel eingesetzt. Weil das Geld jetzt nicht mehr reicht, schießen die drei Gesellschafter (Berlin, Brandenburg, Bund) 1,2 Milliarden Euro an Eigenkapital zu. Macht rund 4,3 Milliarden.

2013: Im Januar platzt der Oktobertermin – die Baumängelliste ist viel zu lang. Später wird März 2016 anvisiert. Neuer Geschäftsführer: Hartmut Mehdorn (seit März 2013).

Eine Zahl, die immer wieder genannt wird, ist die des ­Gesamtfinanzierungsrahmens: 6,5 Milliarden Euro. Aber kostet der BER tatsächlich diese Summe? Die Flughafengesellschaft antwortet auf Nachfrage wie folgt: „Der Finanzierungsrahmen des BER beträgt 5,34 Milliarden EUR. Dies entspricht der aktuellen Kostenprognose. Die Angabe von 6,5 Milliarden EUR stammt nicht von der FBB.“

Aber die Gesellschafter der FBB – Berlin, Brandenburg und Bund – haben doch 2015 bei der EU-Kommission die Erlaubnis neuer öffentlicher Zuschüsse beantragt, die sich mit den bisherigen Summen auf 6,5 Milliarden addieren? Gibt es einen Puffer von 1,1 Milliarden, der möglicherweise nie abgerufen wird?

„Die 5,34 Milliarden sind die Summe, die es kostet, den planfestgestellten BER fertig zu bauen“, erklärt FBB-Sprecher Lars Wagner auf Nachfrage. Aber es müsse ja schon zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme in erste Erweiterungsbauten investiert werden – geplant sind der Umbau der Anlagen von Schönefeld (Alt) und der Neubau des Satellitenterminals T1-E. Dafür habe der Aufsichtsrat bereits 700 Millionen Euro bewilligt.

Hat jede Menge Schulden geerbt: Flughafen-Geschäftsführer Engelbert Lütke Daldrup Foto: Claudius Prößer

So ganz geht die Rechnung auch damit noch nicht auf. Vor zwei Jahren hatte Hartmut Mehdorn in einem Rundfunkinterview von „Netto-“ und „Bruttokosten“ gesprochen und angedeutet, in der Differenz seien außer den Mitteln für Erweiterungsbauten auch der Finanzierungsaufwand – also Schuldendienst für die Kredite – enthalten. Genauer wollten es damals einige grüne Bundestagsabgeordnete wissen, aber auch die Bundesregierung konnte ihnen nicht helfen: Diese Zahlen unterlägen mal wieder „dem Betriebs- und Geschäftsgeheimnis der FBB“, hieß es in Beantwortung der Kleinen Anfrage.

Teure Verschiebung

Und was hat der massive Planungspfusch gekostet, der am Ende in einer sieben oder sogar acht Jahre verspäteten Inbetriebnahme enden wird? Schwer zu sagen. Als nach der geplatzten Eröffnung von 2012 die Trias Berlin-Brandenburg-Bund 1,2 Milliarden Euro Gesellschafterkapital zuschoss, machte der Tagesspiegel ohne Verweis auf Quellen folgende Rechnung auf: „343 Millionen Euro zusätzliche Baukosten, davon verschiebungsbedingt 67 Millionen Euro. Weitere 230 Millionen Euro Belastungen aus dem (nicht) laufenden Betrieb, ebenfalls durch die Verschiebung verursacht. Dann noch 305 Millionen Euro für einen verbesserten Schallschutz und eine Risikovorsorge von 322 Millionen Euro.“ 2015 mussten die Gesellschafter noch einmal 1,1 Milliarden Euro nachschießen, diesmal allerdings in Form eines Darlehens, das innerhalb von 20 Jahren von der Flughafengesellschaft zurückzuzahlen ist.

Natürlich steht den gestiegenen Kosten teilweise ein materieller Nutzen gegenüber. Flughafenchef Lütke Daldrup hat sich längst ein Argument seiner schillernden Vorgänger zu eigen gemacht: Ja, der neue Airport habe einmal lediglich 2,4 Milliarden Euro kosten sollen – „aber damals waren auch nur 200.000 Quadratmeter Gebäudefläche geplant. Heute sind es 360.000 Quadratmeter.“ Manches wie die Erweiterung der Check-in-Bereiche war aufgrund gestiegener Sicherheitsanforderungen unumgänglich geworden. Auch die auf rund 700 Millionen Euro angewachsenen Schallschutzkosten kann man in keinem Fall als herausgeworfenes Geld betrachten.

Ob diese Milliardenkosten am Ende „uns“, also den Steuerzahlern, auf die Füße fallen, ist eine knifflige Frage. Es ist ja nicht einfach so, dass „wir“ jeden Euro, der in Schönefeld verbaut wird, in ein großes BER-Fass ohne Boden stecken. Erstens: Die Hälfte des Geldes stammt aus Bankkrediten. Zwar bürgen die Gesellschafter zu 100 Prozent für diesen Betrag, aber solange der BER irgendwann abhebt, wird der Haftungsfall nicht eintreten. Zweitens: Der mit 1,63 Milliarden Euro sehr hohe Eigenkapitalanteil aus Steuermitteln von Berlin, Brandenburg und dem Bund ist kein Geschenk, sondern eine Investition in ein Unternehmen, das damit Erträge erwirtschaftet und dieses Kapital verzinst.

Fragt sich nur: Kommt bei den schwindelerregend angestiegenen Gesamtkosten irgendwann etwas zurück? Oder bleibt die Flughafengesellschaft ewig ein Verlustgeschäft? Das hatte der Chemnitzer Finanzwissenschaftlers Friedrich Thießen 2014 in einer von den Grünen in Auftrag gegebenen Studie zur Wirtschaftlichkeit prognostiziert – bei einem damaligen Kostenrahmen von 4,7 Milliarden Euro. Die könnten durch den Betrieb nie verdient werden, so sein Ergebnis, es sei denn, die Flughafengesellschaft erhöhe ihre Start- und Landegebühren deutlich.

2015: Im August teilt die Flughafengesellschaft mit, die Inbetriebnahme werde nicht wie geplant 2016 gelingen. Grund sei die Insolvenz des Gebäudetechnikausrüsters Imtech Deutschland. Als Termin wird Ende 2017 genannt. Neuer Geschäftsführer: Karsten Mühlenfeld (seit März 2015).

2016: Die EU genehmigt letztmalig öffentliche Förderungen für den BER in Höhe von 2,2 Milliarden Euro. Dabei fließt die Hälfte in Form eines Gesellschafterdarlehens in die Fertigstellung des BER, dessen Gesamtkosten damit auf 5,34 Milliarden Euro klettern. Dieses Geld muss die FBB den Gesellschaftern innerhalb von 20 Jahren zurückzahlen – zu einem vernachlässigbaren Zinssatz. Die anderen 1,1 Milliarden nimmt die FBB als Bankkredit auf. Sie sollen insbesondere dem Ausbau des BER dienen und werden durch eine 100-prozentige Bürgschaft der Gesellschafter abgesichert.

2017: Am 21. Januar heißt es ganz offiziell: In diesem Jahr klappt es auch nicht mehr. Irgendwann im Sommer will der neue Geschäftsführer Engelbert Lütke Daldrup (seit März 2017) mitteilen, ob der BER noch im Jahr 2018 abhebt. (clp)

Zugute kommen der Flughafengesellschaft nun allerdings die in den vergangenen Jahren stark gewachsenen Passagierzahlen: Jeder zusätzliche Fluggast spült zusätzliches Geld in die FBB-Kasse. Gegenüber der taz sagt Thießen nun auch, der Schuldendienst werde nicht zum eigentlichen Problem. „Wenn der Betrieb erst einmal losgeht, schwimmt so ein Flughafen quasi im Geld.“

Das liege am kapitalintensiven Betrieb: Die Anlagen sind da und halten ein paar Jahrzehnte, die Personalkosten fallen vergleichsweise wenig in Gewicht. Auch Vorgängerchef Karsten Mühlenfeld hatte schon prophezeit: „Ab 2020 können wir uns selber finanzieren, und ab Mitte der 20er Jahre werden wir in der Lage sein, unsere Schulden zurückzuzahlen.“

Die 1,63 Milliarden, die direkt aus den öffentlichen Haushalten in das Projekt gesteckt wurden, werden dadurch aber noch nicht gemehrt. „Beim Eigenkapital kann die Politik dem Steuerzahler verschleiern, ob es noch werthaltig ist“, erklärt Thießen, „sie muss weder eine erhaltene Dividende nachweisen noch einen Wertbeweis erbringen.“

Eigentlich sollte sich eine Investition wie die in den BER mit jährlich 6 oder 7 Prozent verzinsen, rechnet der Finanzwissenschaftler vor, „bei drei Milliarden Euro müssten also rund 200 Millionen im Jahr herauskommen. Das wird aber wahrscheinlich nicht der Fall sein. Es wird wohl keine adäquate Rendite geben, und das ist der Betrug am Steuerzahler.“ Berlins 37-prozentiger Anteil am Eigenkapital – rund 600 Millionen Euro – wäre damit komplett unrentabel angelegt. Aber immerhin gäbe es einen Flughafen.

Den Grünen-Abgeordneten Andreas Otto, der Obmann seiner Fraktion im BER-Untersuchungsausschuss war, ärgert das. „Allein aus den laufenden Einnahmen aus Tegel könnte man jedes Jahr ein paar Schulen finanzieren – und jetzt pumpen wir das in den BER.“ Die Gretchenfrage „Wann geht’s los am BER?“, die mit der Frage „Wird das Ding noch teurer?“ untrennbar verbunden ist, kann er genauso wenig beantworten wie die anderen Beobachter. Ist er wenigstens optimistisch? „Ich bin immer optimistisch“, knurrt Otto.

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