Wechsel in Mecklenburg-Vorpommern: Von Sellering zu Schwesig

Alles richtig gemacht: Erwin Sellering kam als Wessi an die Spitze eines ostdeutschen Bundeslandes, machte sich beliebt und förderte seine Nachfolgerin.

Manuela Schwesig und Erwin Sellering sitzen eng beieinander und diskutieren

Er erklärte ihr die Politik, jetzt wird Schwesig Sellerings Nachfolgerin Foto: dpa

BERLIN taz | Als Erwin Sellering 2008 Regierungschef in Mecklenburg-Vorpommern wurde, war das etwas Neues. Sellering, 67, geboren in Sprockhövel im Ruhrgebiet, rückte nämlich als erster Wessi an die Spitze des ostdeutschen Bundeslandes auf. „Nein, ein Landeskind ist Erwin Sellering nicht“, schrieb die Schweriner Volkszeitung damals. Doch er gelte als „durchsetzungsfähig, pragmatisch, teamorientiert und eloquent.“

Sellering, der im Moment eine Große Koalition führt, wurde vom West-Import schnell zum Ossi-Versteher. Er betonte im Amt, dass man die Lebensleistung von Menschen, die in der DDR lebten, nicht gering schätzen dürfe. Überregionale Aufmerksamkeit bescherte ihm 2009 ein Interview, in dem er sagte, dass die DDR nicht als totaler Unrechtsstaat zu verdammen sei, „in dem es nicht das kleinste bisschen Gutes gab“. Die DDR als Unrechtsstaat, das ist ein Lieblingsthema der Konservativen. Sellering sammelte mit solchen Ansagen im Land Sympathien ein, gleichzeitig machte er die Räume für die Landes-CDU eng.

Nun ist die Ära Sellering, die neun Jahre währte, in Schwerin beendet. Überraschend kündigte er in der Kabinettssitzung am Dienstag seinen Rückzug an – und begründete ihn mit einer Lymphdrüsen-Krebserkrankung. Jene sei vor einigen Tagen festgestellt worden und erfordere umgehend eine massive Therapie, heißt es in einem schriftlichen Statement des Ministerpräsidenten. „Ich werde deshalb nicht mehr in der Lage sein, das Amt des Ministerpräsidenten so auszufüllen, wie das objektiv notwendig ist und meinem Anspruch an mich selbst entspricht.“

In der SPD wurde seine Ankündigung mit Bestürzung aufgenommen, es hagelte Wünsche für eine baldige Genesung. SPD-Chef Martin Schulz schrieb auf Twitter: „In diesen schweren Stunden wünsche ich Erwin Sellering und seiner Familie von ganzem Herzen Kraft.“ Auf Sellering folgt Manuela Schwesig. Für die Noch-Familienministerin ist das wie eine Rückkehr in die Heimat. Schwesig lernte in Schwerin, wie Politik funktioniert. Hier machte sie erste Schritte als Fraktionschefin in der Stadtvertretung und wurde Sozialministerin – mit gerade mal 34 Jahren.

Schwesig empfahl sich für Höheres

Sellering, der eine gute Nase für Personal hat, förderte die junge Frau nach Kräften. Schon wenig später spielte Schwesig eine Rolle in der Bundespolitik. Die SPD brachte sie als Gegenspielerin zur damaligen Arbeitsministerin Ursula von der Leyen in Stellung. Von der Leyen wilderte munter in sozialdemokratischen Themen, Schwesig sollte sie kontern. Die Frauen fochten 2011 harte Kämpfe um die Erhöhung der Hartz IV-Sätze aus. Schwesig bestand in Talkshows kalt lächelnd gegen die präzise argumentierende von der Leyen – und empfahl sich für Höheres.

Und nun Schwerin? Mecklenburg-Vorpommern ist ein Land mit viel Platz, schöner Landschaft und wenig Menschen. Gerade mal 1,6 Millionen Einwohner, die Landwirtschaft und der Tourismus sind wichtige Wirtschaftsbereiche. Die politische Landschaft ist übersichtlich, aber nicht einfach für eine Sozialdemokratin. Neben SPD und CDU gibt es eine starke Linkspartei und, als neuen starken Player, die AfD. Der Platz 1 im Parteienspektrum ist wacklig, Mehrheiten sind es auch.

Die Rechtspopulisten zogen bei der Wahl im September 2016 mit knapp 21 Prozent in den Landtag ein, ein Rekordergebnis, das bundesweit Aufmerksamkeit bekam. Sellering hatte sich in dem Wahlkampf, der von der Angst vor muslimischen Flüchtlingen geprägt war, hart gegen die AfD positioniert, von der „nur Hass und Hetze, aber keine Lösungen zu erwarten“ sei. In Ostvorpommern gibt es Landstriche, in denen sich Rechtsextreme gezielt ansiedeln – hier fuhr die NPD Rekordergebnisse ein. Jene wurde im Landtag aber von der AfD verdrängt.

Schwesig hat sich als Familienministerin stets stark gegen Rechts engagiert, indem sie zum Beispiel einen besseren Schutz von Jugendlichen vor rechter Propaganda im Netz forderte. So gesehen gibt es in Mecklenburg-Vorpommern viel zu erledigen. Ihr Wechsel ist kein Rückzug in die Provinz, sondern ein logischer Karriereschritt. Wer einmal erfolgreich ein Land gemanagt hat, kann später Ansprüche in Berlin anmelden. Das wäre neu in der SPD. Plötzlich hätte sie wieder eine Ministerpräsidentin, der irgendwann einmal eine Kanzlerkandidatur zuzutrauen wäre.

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