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Wege aus dem Gastro-Sterben Prost Mahlzeit!

Ein Restaurant in Hamburg verlangt neuerdings 35 Euro Eintritt. Die Empörung darüber ist groß. Zu Recht?

Nobel geht die Welt zu zugrunde? Jay Wennington/unsplash

taz FUTURZWEI | Können Sie sich vorstellen, Eintritt zu bezahlen, bevor Sie ein Restaurant betreten? Sicher nicht! Man zahlt schließlich beim Gehen für seinen Konsum. Und genau: Das Restaurant, noch mehr das Gasthaus oder die Kneipe, empfinden wir bei aller Kommerzialisierung der Innenstädte als halböffentliche Räume, die zugänglich zu sein haben. Sie strahlen die Möglichkeit aus, dass man sich für wenig Euro ein Glas Wasser bestellen kann, die Gaststube warm ist und die WCs am Ende sauber.

Auf dem Land ist das Lokal als soziale Anlaufstelle sogar noch wichtiger. Von der ursprünglichen Infrastruktur ist an so manchen Orten oft nur ein Zigarettenautomat und ein öffentlicher Mülleimer übrig. Hinter vielen Gasthausfenstern ist es dunkel geworden. Doch brennt in einer alten Herberge auch nur in irgendeinem Zimmer Licht, hat das auf Menschen eine magische Wirkung. Ich erlebe das regelmäßig: Auch wenn die Gasthaustür abgesperrt ist, an Ruhetagen oder tief in der Nacht, geht die Klingel. Im Gasthaus wird man schon wissen, wie Abhilfe organisiert werden kann, weil das Auto liegen geblieben ist, man sich den Fuß verknackst hat, die Trinkflasche am E-Bike leer ist oder sich der Hund beim Spazieren im Wald selbstständig gemacht hat. Und wenn nicht, besteht vielleicht die Chance, sich ein paar Minuten hinzusetzen.

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Marktwirtschaft und Subventionen

In Hamburg verlangt nun ein Restaurant Eintritt. Es heißt »100/200«, der Chefkoch Thomas Imbusch hat zwei Michelin-Sterne. Setzt man sich bei ihm an einen Tisch, fallen 35 Euro an, Gedeckpauschale nennt sich das. Dafür steht das Geschirr auf dem Tisch, der Brotkorb ist auch abgegolten. Jetzt ist die Aufregung groß, auf Google hagelte es Ein-Sterne-Bewertungen (also die schlechteste Einstufung), obwohl es für das Preismodell Vorbilder gibt. In Frankreich und Italien sind Service-Pauschalen im Restaurant der Normalfall. »15 Prozent service compris« (15 Prozent für den Service inbegriffen) heißt es üblicherweise auf französischen Restaurantrechnungen. 35 Euro sind in einem Restaurant, in dem man pro Person 220 Euro zahlt, prozentual auch nicht mehr. Doch nicht einmal der Branchenverband, der Hotel- und Gaststättenverband DEHOGA, will Imbusch und seiner Partnerin zur Seite springen. Ein Vertreter nannte die Preiserhöhung »sportlich« und ergänzte lapidar: »Wir haben ja eine freie Marktwirtschaft.«

Wie die »freie« Marktwirtschaft das regeln wird, da hat die DEHOGA dann aber mächtig die Finger mit drin. Im Moment mit einer Kampagne, die fordert, dass der ermäßigte Umsatzsteuersatz von 7 Prozent der Branche bleibt. Die Ermäßigung war eine Zuwendung der Politik zu Zeiten der Pandemie, um die Branche zu unterstützen, die von den Corona-Maßnahmen besonders betroffen war. 2022 ist die Steuererleichterung um ein weiteres Jahr verlängert worden, wegen der Auswirkungen des russischen Angriffs auf die Ukraine, der Inflation, den hohen Energie- und Lohnkosten, die auch die Gastronomie plagen. Jetzt möchte der Lobbyverband die Subvention ganz entfristet sehen, sonst sei der Preisanstieg enorm und den werde kein Gast mittragen. Damit sei das Gastrosterben endgültig besiegelt.

Wirte geben reihenweise auf

Ach ja, allein wegen 7 oder 19 Prozent Mehrwertsteuer soll es in noch mehr Gasthäusern dunkel werden? Die DEHOGA rechnet vor, schon in den vergangenen vier Jahren habe es historische Einbrüche gegeben, 16 Prozent aller Hotels und Gaststätten hätten für immer geschlossen. Nur: In dieser Zeit hat der ermäßigte Steuersatz bereits gegolten. Die meisten Wirte haben einfach aufgegeben. Gleichzeitig war die Zahl der Insolvenzen verblüffend niedrig.

Die Umsatzsteuer ist nach der Lohnsteuer die wichtigste Einnahmequelle von Bund, Ländern und Gemeinden. Seit 40 Jahren wird der Satz in Ausnahmefällen immer wieder ermäßigt, zum Beispiel für Dinge des täglichen Bedarfs, für Grundnahrungsmittel, für alles, was der einfachen Daseinsvorsorge dient. Und was ist da nicht schon alles darunter gefasst, auch in der Gastronomie. Seitdem die FDP 2010 die Hotelsteuer von 19 auf 7 Prozent senkte, hat man ständig mit irgendwelchen Vorschlägen für Ermäßigungen oder Erhöhungen zu tun. Nun ist es so: Mit 7 Prozent ist der Besuch in einem Restaurant dem Kauf eines Pfundes Butter gleichgestellt.

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Hauptsache billig?

Wenn das der Wertschätzung der Gäste für die Gastronomie und auch der DEHOGA für ihre Branche entspricht, dann allerdings ist das Gastrosterben tatsächlich nicht mehr zu bremsen. Dann sollten wir mal grundsätzlich reden. Stimmt das? Hauptsache billig! Geht es nur darum, Hunger und Durst zu stillen, wenn man eine Gaststätte betritt? Dann können wir bei 7 Prozent bleiben. Oder ist es nicht noch viel mehr: Ein Restaurant liefert, anders als der Kühlschrank, anders als der Supermarkt doch ein bestimmtes Setting für mehr Genuss, für Unterhaltung und Geselligkeit. Und das im Übrigen noch ganz analog, mit einem hohen Aufwand von Personal. Das ist immer schwerer zu finden, dafür geben Gastronomen Geld aus, sie schulen Mitarbeiter, immer mehr verstehen, dass sie besser bezahlen müssen.

Ich finde es wirklich traurig, dass eine Branche und ihr Dachverband sich nicht mehr Mühe machen, der Gästeschaft zu vermitteln, welchen Mehrwert es bedeutet, in einem Restaurant zu essen. Schauen wir noch einmal nach Frankreich, wo die Leute insgesamt im Durchschnitt mehr fürs Essen ausgeben, wenn sie ein Restaurant besuchen. Es sind – uups – ziemlich genau 15 Prozent mehr als in Deutschland.

Ja, wäre es nicht eine schöne Aussicht, wenn es wieder mehr Lokale gäbe? Wenn sie auch wieder flächendeckend als soziale Anlaufstelle funktionieren und niemand daran denkt, Eintritt zu verlangen. Das wird mit staatlichen Subventionen aber nicht funktionieren. Mit einer Gastronomie, die selbstbewusst kommuniziert, warum das Essen auf dem Teller kostet, was es kostet, und welche Arbeit dahintersteckt, aber schon. Und vor allem Gästen, die sich nicht einfach abspeisen lassen, sondern wertschätzen, wenn sie das Lokal nicht nur satt verlassen, sondern beschwingt.

Dieser Beitrag ist im Dezember 2023 in unserem Magazin taz FUTURZWEI N°27 erschienen. Lesen Sie weiter, die aktuelle Ausgabe von taz FUTURZWEI gibt es jetzt im taz Shop.