Weihnachtssingen bei Union Berlin: Der Exportschlager mit Potenzial

Das Weihnachtssingen am Sonntag im Stadion An der Alten Försterei hat sich zum Exportschlager gemausert. Ließe sich daraus nicht noch mehr machen?

Menschen stehen im Stadion von Union und singen

Weihnachtssingen beim 1. FC Union 2016 Foto: dpa

Bush senior, formerly known as Mister President, hat vor seinem Tod jahrelang einen philippinischen Jungen anonym gesponsert, wie posthum zu hören war. Schön, wirklich. Als ich das las, dachte ich: Jo, is denn heut scho Weihnachten?

Diese andächtige Frage stammt übrigens von einer deutschen Ex-Lichtgestalt, Fußballkaiser Franz. Jo, is denn heut scho Weihnachten?, hat er uns als Reklame-Franzl vor vielen Jahren mit bayerisch-schneeflockigem Besinnlichkeitsschmelz in der Stimme zugeraunt. Das war in der guten alten Zeit, als von CDU-Staatsministerinnen noch keine Weihnachtskarten ohne das Wort Weihnachten verschickt wurden, dafür mit der Aufschrift „Egal woran Sie glauben … wir wünschen Ihnen eine besinnliche Zeit“.

„Danke, wern wa habn“, werden sich viele Berliner sagen, spätestens ab diesem Wochenende, an dem ja quasi heut scho Weihnachten ist. Also jedenfalls eine Art Brückentagsweihnachten, weshalb überall Vorglühen angesagt ist. Das größte Vorglühen mit einem ganz großen Schuss Besinnlichkeit gibt’s mal wieder in Köpenick bei einem Weihnachtsevent, das vor 15 Jahren als kleine, spontane Singerei fröhliche Urständ feierte.

Um sich in Zeiten der Abstiegsnot des 1. FC Union das Herz zu erwärmen, hatten sich 2003 ganze 89 Union-Fans heimlich ins marode Stadion An der Alten Försterei geschlichen, wo sie ein paar Weihnachtslieder anstimmten. Alles Weitere ist bekannt, denn die Köpenicker Weihnachtsgeschichte ist längst im dicken Berlin-Mythen-Buch verewigt.

Besinnliche Massenparty

Jedes Jahr am Tag vor Heiligabend tippelten mehr Leute ins Stadion, um sich mit Glühwein, Kerze und Liederbuch zum Massenchor zu vereinen, ohne prominente Vorsänger. Stattdessen stimmt traditionell der Chor des Emmy-Noether-Gymnasiums die Lieder an, ein Pfarrer liest die Weihnachtsgeschichte, und hin und wieder erinnern ein paar Choräle aus dem Repertoire der Eisernen daran, dass diese Ecke Ostberlins von einer Rechristianisierung trotz allem ziemlich weit entfernt ist.

Leider waren die 28.500 Eintrittskarten – die man wegen des Andrangs vor einiger Zeit eingeführt hat, um mit dem Erlös dem Nachwuchs Gutes zu tun – wieder innerhalb weniger Stunden verkauft.

Die Köpenicker Weihnachtsgeschichte ist längst im dicken Berlin-Mythen-Buch verewigt

Klar, es ist das perfekte Ritual für alle, die fröhlich sein und singen gern mit Tradition, weihnachtlicher Besinnlichkeit und Massenpartytum verbinden. Und so wundert es kaum mehr, dass das weihnachtliche Köpenicker Stadionsingen mittlerweile Nachahmer im ganzen Land gefunden hat. Ob in Köln, Magdeburg, Dresden, Gelsenkirchen, Dortmund, Nürnberg oder Babelsberg – überall fanden oder finden in diesen Tagen Mitsingveranstaltungen statt. Hätten sich die Union-Fans beizeiten ihre Idee schützen lassen, wären sie heute möglicherweise reich. Oder die Nachwuchsabteilung des 1. FC Union bekäme jedes Jahr einen noch größeren Spendensegen.

Kommerzielle Hintergedanken standen jedoch nie zur Debatte. Man ist ja nicht in Düsseldorf, wo der Stadionchef das Berliner Konzept jetzt übernahm, weil man so das Stadion mit einem weiteren Event hübsch voll bekäme.

Warum nicht Beckenbauer?

Womit wir beim Olympiastadion wären, das ja auch immer Events braucht, weil ansonsten fast nur die Hertha-Spiele Mieteinnahmen in die öffentliche Kasse spült. Aber Hertha-Weihnachtssingen im Olympiastadion, das dürfte bei den meisten blau-weißen Fans ungefähr so gut ankommen wie eine neue Hertha-Hymne von Nina Hagen.

Dabei wäre die Sache natürlich ein Knaller, wenn man sie auf die Spitze triebe. Etwa als Fern-Battle zwischen Alte Försterei, wo Union-Pressesprecher Christian Arbeit traditionell Trompete spielt, und Olympiastadion, wo die Berliner Gropiuslerchen mit Frank Zander singen könnten, wie auf dessen vor 18 Jahren erschienener Weihnachts-CD. Der RBB, der bisher schon live überträgt, könnte zwischen Köpenick und Charlottenburg hin- und herschalten.

Und die Touristen, die aus aller Welt zur Silvesterparty am Brandenburger Tor kommen, würden dann vielleicht schon früher anreisen zur deutschen Weihnachtsschunkelei im Olympiastadion – mit „O Tannenbaum“-La Ola und, wieso nicht, Franz Beckenbauer, der die Weihnachtsgeschichte liest.

Und warum nicht auch mit einem Weihnachtschor aus jenen früheren Bayern-Spielern, die 1984 eine Weihnachts-LP einsangen und sogar im ZDF-Sportstudio auftraten (Ex-Hertha-Manager Dieter Hoeneß war auch dabei)? Berlin würde zur Welthauptstadt des Weihnachtssingens werden, 30 Jahre nach Techno und Love Parade mal wieder was Neues.

Wer für die Alte Försterei keine Karten bekommen hat, auf Weihnachtslieder aber nicht verzichten will, kann übrigens am Tag nach dem Union-Singen, Heiligabend also, direkt um die Ecke des Union-Stadions in die Christus-Kirche in Oberschöneweide gehen, wo der Kammerchor Vocantare um 22.30 Uhr zur Night of Silence lädt. Dort kann man dann hören, wie die Weihnachtslieder in schön klingen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.