Werbemaßnahme in China: Die gefälschte Warteschlange

Vor einem neuen Teeladen warten immer Menschen, egal ob morgens, mittags oder abends. Das macht neugierig. Ein Freund lüftet das Geheimnis.

Teedosen aneinandergereiht

Marketing ist alles, aufgereihte Teedosen alleine sind wenig – in einem Teeladen in Peking Foto: move/photocase

PEKING taz | Bei mir um die Ecke, im beliebten Pekinger Vergnügungsviertel Sanlitun, hat vor einigen Monaten im Einkaufszentrum ein neuer Teeladen aufgemacht. Keiner dieser traditionellen Läden, in denen eine gelangweilte Verkäuferin im Rentenalter sitzt, die lustlos Grünteeblätter abwiegt und in braune Papiertüten wickelt. Das Geschäft ist quietschgrün. Vor allem die Theke hat mich nachhaltig beeindruckt: Sie ist aus gebürstetem Edelstahl und wird mit lila Licht angeleuchtet. Barhocker stehen herum, dazu gibt es Drum ’n’ Bass und gut gelaunte Verkäuferinnen und Verkäufer.

Was mich an dem Geschäft aber vor allem überrascht: Egal ob morgens, mittags oder abends, immer wenn ich an dem Laden vorbeikomme, hat sich bereits eine lange Schlange gebildet. Sie ging manche Male mehrfach um den Häuserblock.

Diese lange Warteschlange hat natürlich auch meine Neugier geweckt. Neulich, als es draußen mal wieder besonders kalt war, zog ich mir meine dickste Daunenjacke an und stellte mich an der wegen des Wetters nicht ganz so langen Schlange an. Ich wollte wissen, was so besonders an dem Tee ist, den dieser Laden anbietet. Als ich dann drankam, durfte ich wählen zwischen Schwarztee kalt, Schwarztee warm, mit oder ohne Zitrone. Das gleiche Angebot gab es für Grüntee. Was ich dann bekam, schmeckte auch genauso: nach heißem Tee mit Zitrone.

Ich erzählte einem Freund von meinem Erlebnis. Der lachte mich aus. Ob ich nicht wisse, dass die Warteschlange Fake, also nicht echt ist? Bei den Wartenden handele es sich um angeheuerte Studenten und Wanderarbeiter, erklärte er. Und tatsächlich: Als ich das nächste Mal an dem Laden vorbeiging, fiel mir auf, dass es nur zwei Gruppen von Wartenden gab: gelangweilte junge Leute, die in ihr Smartphone starrten oder in einem Lehrbuch lasen. Und Arbeiter mit wettergegerbten Gesichtern und zerschlissenen Bauarbeiterklamotten. Andere Bevölkerungsgruppen gab es nicht.

Der Teeladen ist denn auch nicht das einzige Geschäft, das so vorgeht. Bei dem südkoreanischen Bäcker ein paar Straßen weiter, dessen Backwaren wahrlich keinen Gourmetpreis verdient haben, stehen ähnliche Leute an. Und neulich habe ich sogar vor einem Fachgeschäft für Hörgeräte eine lange Schlange gesehen.

Auch das sei alles Fake, informierte mich mein Bekannter. Er kenne sogar die Agentur, die Warteschlangen organisiert. 30 Yuan gebe es die Stunde, umgerechnet 3,85 Euro. Woher er das denn so genau wisse, frage ich. Er habe da schon mal angeheuert. Mein Bekannter studiert.

Diese Schlangen sind ein Zeichen unserer Zeit. Marketing ist alles; kaum noch etwas ist echt. Die Anfänge der Werbung mögen darin gelegen haben, die tatsächlichen Vorzüge eines Produkts herauszustellen; inzwischen hat der schöne Schein gesiegt: Es geht nur mehr um die Kontrolle der Botschaft. Es geht vor allem darum, welches Gefühl eine Ware vermittelt, für welchen Lebensstil sie steht. Deshalb ist es wichtig, lange Schlangen zu erzeugen. Tee kann jeder. Doch der Kunde von heute will Teil von etwas Besonderem sein. Will etwas, wofür man anstehen muss. Er will Teil der Gruppe der Gewinner werden, die diesen besonderen Tee trinken darf.

Als ich neulich wieder an dem Einkaufszen­trum in der Nähe meiner Wohnung vorbeikam, wollte ich einen neuen Versuch mit dem Teeladen machen. Er hatte geschlossen. Die Glastüren waren abgeklebt, die Theke war weg. Der Laden hatte pleitegemacht. Offenbar waren die Warteschlangen zu teuer.

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war von 2012 bis 2019 China-Korrespondent der taz in Peking. Nun ist er in der taz-Zentrale für Weltwirtschaft zuständig. 2011 ist sein erstes Buch erschienen: „Der Gewinner der Krise – was der Westen von China lernen kann“, 2014 sein zweites: "Macht und Moderne. Chinas großer Reformer Deng Xiao-ping. Eine Biographie" - beide erschienen im Rotbuch Verlag.

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