Widerstand gegen das Asylpaket II: „Zum Fremdschämen“

Menschenrechtsorganisationen und Opposition lehnen die von Schwarz-Rot vereinbarten Verschärfungen des Asylrechts ab.

Flüchtlinge halten ein sTück Pappe hoch, auf dem steht: "We want peace".

Flüchtlinge protestieren für ihre Rechte Foto: AP

BERLIN taz | Angela Merkel findet, „dass wir sehr viel auf den Weg bringen“. Horst Seehofer ist „hochzufrieden“. Und Sigmar Gabriel versichert: „Die Stimmung ist gut.“ Nach der Einigung auf weitere Verschärfungen des Asylrechts zeigt sich die Koalition so wohl gelaunt wie lange nicht mehr. Menschenrechtsorganisationen, Flüchtlingshilfeinitiativen, Sozialverbände und die Opposition sind hingegen entrüstet.

Die am Donnerstag von der Regierungskoalition vereinbarte zweijährige Aussetzung des Familiennachzugs für Flüchtlinge, die nur einen so genannten subsidiären Schutzstatus haben, sei „inhuman und herzlos“, kritisierte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätische Wohlfahrtsverbands. Es sei „zum Fremdschämen, wie hier in Kauf genommen wird, dass sich noch mehr Frauen und Kinder in die Hände von skrupellosen Schleppern auf den gefährlichen Fluchtweg über das Mittelmeer begeben.“

Die Einschränkung des Familiennachzugs für Flüchtlinge, die nicht unter das deutsche Grundrecht auf Asyl oder die Genfer Flüchtlingskonvention fallen, ist ein zentraler Punkt des Asylpakets II, auf das sich Union und SPD im Grundsatz schon im vergangenen November verständigt hatten. Umstritten war jedoch, ob von dieser Regelung auch Geflüchtete aus Syrien betroffen sei sollen.

Die Sozialdemokraten wollten die syrischen Flüchtlinge generell ausnehmen – auch wenn sie allein wegen des Bürgerkrieges ihr Land verlassen haben und deshalb nur einen eingeschränkten Schutzstatus erhalten. Doch damit biss die SPD bei der CDU und der CSU auf Granit. Jetzt hat sie klein beigegeben.

Im Februar schon im Bundestag

„Beim Familiennachzug war sich die Union einig, nur bei der SPD musste etwas Überzeugungsarbeit geleistet werden“, sagte CDU-Generalsekretär Peter Tauber der taz. Nach Angaben der Regierung soll das Asylpaket II bereits kommende Woche ins Kabinett und noch im Februar vom Bundestag beschlossen werden.

Als „schäbig“ kritisierte die Linksfraktion die Einigung. „Die SPD knickt vor der Union ein, die vor der AfD einknickt“, sagte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Jan Korte. Die Folgen des Koalitionsbeschlusses werde man „nur im Mittelmeer spüren, wo noch mehr Frauen und Kinder ihr Leben auf der Flucht aufs Spiel setzen müssen“. Von einem „Förderprogramm für Schlepper“ sprach die Linkspartei-Chefin Katja Kipping. „Da werden die Daumenschrauben in der Asylpolitik weiter angezogen“, sagte die Grünen-Vorsitzende Simone Peter.

Jan Korte, Linkspartei

„Die SPD knickt vor der Union ein, die vor der AfD einknickt.“

Die Amnesty International-Generalsekretärin Selmin Çalışkan warf der Regierung vor: „Anstatt über die Familienzusammenführung sicher einreisen zu können, werden Schutzsuchende auf gefährliche Fluchtrouten gezwungen.“ Çalışkan kritisierte zudem, das die Große Koalition in einem nächsten Schritt Tunesien, Marokko und Algerien als „sichere Herkunftsländer“ einstufen lassen wollen. Es sei „unwahrscheinlich, dass die tatsächliche Menschenrechtssituation in den Maghreb-Staaten bei den Überlegungen überhaupt eine Rolle gespielt hat“. Das Konzept der „sicheren Herkunftsländer“ lehne Amnesty „grundsätzlich ab, weil es nicht mit dem Recht auf ein individuelles Asylverfahren vereinbar ist“.

Unsichere „sichere Herkunftsstaaten“

Der innenpolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Volker Beck, zeigte sich ebenfalls empört. „Diese Entscheidung der Koalition ist grotesk und brandgefährlich“, sagte Beck der taz. Gerade Marokko sei „kein sicheres Herkunftsland, sondern ein Regime, das die Rechte von Frauen und LGBT mit Füßen tritt und die Sahauris brutal unterdrückt“. Außerdem seien Journalisten, die die Besetzung und Annektion der Westsahara kritisieren, Repressalien ausgesetzt.

Ziel der Grünen bleibe, „das Konstrukt der vermeintlich ‚sicheren Herkunftsstaaten‘ abzuschaffen“, sagte Beck. Gleichwohl passierte die letzte Ausweitung der Liste um Albanien, Kosovo und Montenegro im September auch mit den Stimmen jener Landesregierungen, an denen die Grünen beteiligt sind, den Bundesrat.

Anders als das Asylpaket II muss die vereinbarte Erweiterung der Staatenliste auch diesmal durch den Bundesrat. Wie sich die Grünen bei der nächsten Abstimmung verhalten werden, ist zur Zeit noch unklar. „Ich glaube, dass Kretschmann dem zustimmen wird“, zeigte sich CSU-Chef Seehofer am Freitag zuversichtlich, dass erneut die Pläne der Großen Koalition nicht an den Grünen scheitern werden.

Für Bayern ist auch Mali sicher

Die Einstufung als „sicherer Herkunftsstaat“ bedeutet, dass Asylverfahren für Antragsteller aus diesen Ländern erheblich beschleunigt und Abschiebungen einfacher werden. Nach Seehofers Vorstellungen soll demnächst die Liste noch deutlich ausgeweitet werden.

Der Fokus liege auf Ländern, aus denen eine hohe Zahl an Asylbewerbern nach Deutschland komme, die Anerkennungsquote im Asylverfahren aber gering sei, heiß es in einem Entschließungsantrag, die der Bundesrat am Freitag in seiner ersten Sitzung in diesem Jahr in den Innenausschuss überwies.

Im Bundesrat hat die bayrische Staatsregierung bereits einen Antrag eingebracht, außer Marokko, Tunesien und Algerien noch elf weitere Staaten aufzunehmen, weil sie, so Bayerns Bundesratsminister Marcel Huber, „auch andere Mitgliedsstaaten der Europäischen Union bereits als sicher eingestuft“ hätten.

Der Fokus liege auf Ländern, aus denen eine hohe Zahl an Asylbewerbern nach Deutschland komme, die Anerkennungsquote im Asylverfahren aber gering sei, heißt es in dem Entschließungsantrag, den der Bundesrat am Freitag in seiner ersten Sitzung in diesem Jahr in den Innenausschuss überwies.

Konkret geht es um Armenien, Bangladesch, Benin, Gambia, Georgien, Indien, die Mongolei, Nigeria, die Republik Moldau, die Ukraine - und Mali, also jenes Land, in das die Bundeswehr jetzt bis zu 650 Soldaten zu „einer der gefährlichsten Missionen der Vereinten Nationen“ (Ursula von der Leyen) schickt.

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