Wie das Staunen entsteht: Wenn einem Pony etwas aufgeht

Jonas Mekas wandert in "Sleepless Nights Stories" durch Hinterhöfe und Hinterköpfe (Forum). Er ist der Meister des ungesehenen Schönen.

Staunen erleben: es geht jede Sekunde um Entscheidendes, auch wenn oder gerade weil es noch so persönlich ist. Bild: berlinale

Am Ende eines Tages, wenn es Nacht ist und jetzt andere Gedanken federführend sind, kann jemand nicht schlafen. So beginnt der Film. Also macht sich jener Mensch auf und zieht durch New York, durch Wohnungen, Kneipen, Studios und den vielen Werkräumen im Backstage, wo alles einmal entsteht und wo noch andere Aufgewühlte anzutreffen sind.

Wer sich aufmacht, ist kein Geringerer als Jonas Mekas, der Meister des ungesehenen Schönen, der schon einmal mit "As I was moving ahead ocasionally I saw brief glimpses of beauty" zur Berlinale kam. Wenn ein Hund von der Neugier an den Spuren und Gerüchen der anderen niemals sattzukriegen ist, so gilt das auch für Mekas, der oft ähnlich unbemerkt wie ein Hund am Tisch sitzt und den anderen beim Sprechen zuhört.

Auch das Kameraauge von Mekas entspricht dem einer Hundeperspektive, auf Tischhöhe, und gern von unten nach oben sehend, als würde man von dort durch die Nasenlöcher Eingang finden in das Denken der Menschen - oder auch der Tiere. Auch darum geht es in diesem Film, um die Schönheit von Gedanken beim Entstehen. Gedanken, die sich unbemerkt an den Tag gehängt haben, um irgendwann, wenn der rational durchgereichte Tag eingenickt ist, in den Hinterhöfen und Hinterköpfen aufzugehen.

18. 2. Arsenal 1 18.00; 20. 2. Delphi Filmpalast 16.30.

27 kleine Episoden

Es sind, wie sich leicht denken lässt, nicht die großen oder bedeutsamen Geschichten und Gedanken, die sich in den rund 27 Episoden zeigen. Doch statt Deutung, Diskurs oder Geltung anzumelden, entstammen sie direkter Verwunderung über Erlebtes und Gesehenes und verblüffen so ein ums andere Mal. Dabei gelingt Mekas Großartiges: Wir erleben häufig genau den Augenblick, in dem einem Menschen - oder auch einem Pony - etwas aufgeht, etwas Wichtiges, das sich für immer als etwas Kostbares einschreibt. Wir erleben, wie Staunen entsteht. Es geht jede Sekunde um Entscheidendes, auch wenn oder gerade weil es noch so persönlich ist.

Mekas ist sehr genau und entschieden darin, wann ein Gedanke es wert ist und wann nicht. Einem Künstler, der seine Identität in einer Krise betrachtet, weil er sowohl als Künstler wie auch als Produzent arbeiten soll, entgegnet er schlicht: "Some of the thinking is totally useless."

Ein stiller Gedanke dagegen begleitet Mekas auf seinen Wanderungen, es geht um die Kunst, immer so bei sich zu sein, um stets ein Höchstmaß an Kraft und Intensität zu halten - auch um sie auszuhalten. Dass Mekas nicht an die Ruhe denkt, wo er sie zu finden glaubt, scheint gewiss. Von Marina Abramovich hören wir, dass der Vorwurf, sie habe zu viel Energie, sie, um die Beziehung zu retten, mehr und mehr dazu gebracht hatte, immer weniger und weniger zu werden.

Ein Elefantenbaum dagegen muss sich darüber keine Gedanken machen, seine Energie scheint mit der Intensität und Spannung genau abgestimmt zu sein. Für die Menschen und Tiere aber scheint es eher so zu sein, dass Energie etwas ist, das sehr geschickt geführt werden will. Ein kleiner Fehler, und sie wirft dich ab wie das Pony seine Reiterin, während seine schwarzen Augen durch die langen Wimpern auf die Verletzte am Boden blickt und sagt: "Oh Carolee o Carolee, why did you ride me."

Ohne Stereotypien

Wer sich schon gefragt hat, ob Denken und Sprechen auch möglich sind, ohne dass sich darin allgemeine Systeme und Strukturen oder Stereotypien abbilden, den wird dieser Film glücklich machen.

Und wer sich von der Sprache der Plakatwände, der Versicherungsflyer oder Elektronikanbieter, vom Vokabular der Berater oder Naturinterpretationslehrer in seiner Gattung als Mensch gekränkt sieht, für den ist Jonas Mekas eine Rettung.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.