Wohnungssuche bei Geflohenen in Leipzig: Wo Linke und Kirchen sich treffen

Für Geflüchtete ist es besonders schwer, eine Wohnung zu finden. Das Leipziger Patenprogramm „Kontaktstelle Wohnen“ baut Brücken zu Vermietern.

Menschen bei der einer Wohnungsbesichtigung

Nicht weiß? Fremd klingender Name? Für Vermieter oft ein Ausschlusskriterium Foto: dpa

LEIPZIG taz | Mohammad ist Syrer und seit 2015 in Deutschland. Auf Odyssee ist er immer noch. Sein Ziel seit bald drei Jahren: eine Wohnung finden, dauerhaft. Nach der Ankunft wohnte der 25-Jährige zunächst im Flüchtlingscamp. Als seine Frau Naj­wa nachkam, zogen sie in eine Wohnung am Leipziger Hauptbahnhof. Sie sollten selbst renovieren, hatten kein Geld für die Kaution. „Dort war alles sehr schlecht“, fasst Mohammad zusammen.

Die nächste Wohnung war besser, der Vertrag aber auf ein Jahr befristet. Dann trennten sich die beiden, jetzt suchen sie zwei Wohnungen. Mohammads Fazit: „Wenn man kein Deutsch spricht oder keine deutschen Bekannten hat, ist es sehr schwer.“

Mohammad spricht vorzüglich Deutsch – und hat seit Kurzem auch Bekannte: Im Flüchtlingscamp erfuhr er von der „Kontaktstelle Wohnen“. Dort sitzt er nun mit seiner Noch-Ehefrau Najwa und seinem Freund Majed und lauscht den Worten von Judith Friedrich*. Manchmal stauen sich die Fragezeichen in den Gesichtern der drei Syrer. Doch Friedrich, Bundesfreiwilligendienstleistende in der Kontaktstelle, erklärt unermüdlich weiter: KdU-Sätze, Kautionsdarlehen, Abtretungserklärung.

Seit der Gründung im Herbst 2015 hat die Kontaktstelle in Leipzig fast 400 Flüchtlingen eine Wohnung oder ein WG-Zimmer vermittelt. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2016 kamen rund 2.000 Asylbewerber in die Stadt. Die Kontaktstelle ist das mit Abstand erfolgreichste Projekt zur Wohnungsvermittlung in Sachsen.

Mittlerweile arbeiten dort gut ein halbes Dutzend hauptamtliche Teilzeitkräfte, bezahlt unter anderem von Stadt und Land. Dazu kommen zwei „Bufdis“ wie Judith Friedrich. Mitte Juni gewann die Kontaktstelle ihren zweiten Preis; die jährliche Fördersumme von Staat und Stiftungen lag 2016 bei rund 140.000 Euro.

Das Patenprogramm

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Hauptarbeit der Kontaktstelle ist es, Flüchtlinge und ehrenamtliche Paten zusammenzubringen. Ist das gelungen, gehen die Gespanne gemeinsam auf Wohnungssuche; vereinbaren Termine, telefonieren mit Vermietern, Maklern, Hausverwaltungen. Derzeit sind 86 Gespanne aktiv, die Paten betreuen dabei alles zwischen Einzelpersonen und 14-köpfigen Familien. Fast 1.500 Personen warten aktuell auf eine Patin oder einen Paten – was bis zu einem Jahr dauern kann.

Anfangs lagen diese Wartezeiten noch bei zwei bis drei Monaten, erklärt Dana Ersing, eine der Gründerinnen der Kontaktstelle: „Die Patenschaften dauern jetzt länger, weil der Wohnungsmarkt dicht ist.“ Auch bei der Erfolgsquote spiegelt sich die zunehmende Wohnungsknappheit in Leipzig. 2016 wurden im Monat durchschnittlich 19 von der Kontaktstelle vermittelte Mietverträge abgeschlossen. In diesem Jahr sind es nur noch 15.

Pfarrer Andreas Dohrn, ebenfalls Mitgründer, bilanziert dennoch froh: „Wenn mir vor zwei Jahren jemand gesagt hätte, dass über die Kontaktstelle Wohnen jeden Tag ein Flüchtling in seine eigene Wohnung vermittelt wird, dann hätte ich das sofort genommen.“ Als die gemeinnützige Robert-Bosch-Stiftung als Förderer einstieg, expandierte das Projekt auch in die Fläche, nach Borna südlich von Leipzig. Die Herausforderung dort: viele Wohnungen, wenige Paten.

Den Erfolg der Kontaktstelle erklärt Dohrn vor allem mit ihrer heterogenen Struktur. Anfang 2015 beherbergte der Pfarrer in einer leerstehenden Wohnung im Pfarrhaus eine syrische Großfamilie. „Schnell stellte sich heraus: Das würde öfter gehen“, erzählt er – und gründete das Portal fluechtlingswohnungen.org.

Parallel engagierte sich Dana Ersing mit politisch eher linken Mitstreitern gegen den Ausbau einer Leipziger Gemeinschaftsunterkunft. Sie begannen, WGs an Flüchtlinge zu vermitteln. Als beide Projekte aufeinandertreffen, tun sie sich zusammen – und profitieren bis heute.

„Durch unsere verschiedenen Verteiler haben wir von Anfang an ein relativ breites Spektrum erreicht – links, kulturell, kirchlich, universitär“, berichtet Dohrn. Allen sei bewusst gewesen, dass es zwischen Geflüchteten und Vermietern eine dritte Instanz brauche. „Und da bot sich aus dem christlichen Kontext heraus an, diese Brücke durch Paten zu bilden.“

Was würde Jesus tun?

Heute ist Dohrn überzeugt, „dass hybride Projekte die Zukunft sind“. Dass sich also kirchliche und nichtkirchliche Akteure bestens ergänzen können. Mit anderen Kirchenleuten geht er derweil hart ins Gericht. So hätten Diakonie und Caritas in Sachsen Anfang 2015 „mit großem Tamtam“ eine ökumenische Flüchtlingshilfe gegründet, deren Stellen aber mittlerweile von zwei auf eine halbe gekürzt.

Dabei hätten kirchliche Akteure häufig bereits funktionierende Strukturen – aber eben auch Berührungsängste, wenn es um die Zusammenarbeit mit anderen Gruppen geht. Dohrn: „Die denken, wir sind dann toll, wenn wir neutral sind. Das Unglückliche dabei ist nur, dass Jesus auch nicht neutral war.“ Vielen Kirchenleuten sei nicht bewusst, dass man sich „hier und da mal positionieren muss“. Die Kontaktstelle Wohnen indes verstehe sich inzwischen auch als politischer Aktionsraum.

Dass das nötig ist, zeigt die tägliche Arbeit. Wer vom Jobcenter komme, werde auf dem Wohnungsmarkt ohnehin diskriminiert, sagt Ersing. Wenn jemand Flüchtling ist und vom Jobcenter kommt, gelte das erst recht.

In der Gruppe der Geflüchteten haben es wiederum diejenigen besonders schwer, deren Asylverfahren noch läuft. Mancher Vermieter sage ganz offen, dass er keine Ausländer wolle. „Da erlebt man schon gruselige Geschichten“, sagt Ersing. Außer durch Meldungen an das Antidiskriminierungsbüro könne man dagegen wenig tun.

Sächsische Marktlogik

Beim Freistaat Sachsen freut man sich über das Engagement der Kontaktstelle und ihrer Ehrenamtler, hält sich sonst aber dezent zurück. Das Sozialministerium teilt mit, Wohnraumvermittlung sei ein eigenständiger Markt. Es sei daher nicht im Sinne der Staatsregierung, „eigene Verteilungs- und Zuteilungssysteme zu schaffen“. Sozialministerin Petra Köpping (SPD) sagt auf Anfrage, die Kontaktstelle sei „ein wichtiger Anlaufpunkt bei der Aufklärung und dem Abbau von Vorbehalten“. Die Ehrenamtlichen trügen „zu einer gelingenden Integration bei“.

Das Absurde: Der Staat überlässt die Integration beim Wohnen damit – nicht ohne Wertschätzung – den Hauptamtlichen bei der Kontaktstelle und den Patinnen und Paten. Diese verbringen jedoch einen Großteil ihrer Arbeitszeit damit, Anträge an staatliche Förderer zu schreiben und sich durch das Dickicht behördlicher Regelungen zu wühlen. Die öffentliche Förderung der Kontaktstelle ist auf ein Jahr befristet; ab Herbst gilt es, die Finanzierung für das Folgejahr zu sichern. „Für das Arbeitsklima ist das natürlich nicht förderlich“, sagt Ersing

Die Paten, wie etwa „Bufdi“ Judith, kämpfen derweil mit den städtischen Behörden. So hat Najwa jetzt zwar einen Mietvertrag. Aber: „Die monatliche Miete liegt exakt 8 Euro und 5 Cent zu hoch“ – und damit um Haaresbreite über den Kosten der Unterkunft, die das Jobcenter übernimmt.

Einziehen kann Najwa zwar trotzdem. Allerdings muss sie mögliche Nebenkostennachzahlungen selbst bezahlen, genau wie die Kaution. Oder sie nimmt ein Kautionsdarlehen beim Jobcenter auf. Das würde bedeuten: 40 Euro weniger von ihren monatlich 409 Euro. Und noch mehr Bürokratie.

*Name von der Redaktion geändert

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