Wolfgang Thierse und das Fernsehen: Im Würgegriff der Thierses

Wolfgang Thierse donquichottet mal wieder gegen „Talkshows“. Wenn Parteien es besser wissen, bitte: Hier ist Geld, hier ist Frequenz, salbadert die Wohnzimmer leer.

„Ein Platz für Thierse“ – da würde man doch einschalten! Bild: dapd

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse, SPD , hat sich für eine Straffung des Lektüre-Angebotes in Wochenzeitschriften ausgesprochen. Das „Dossier“ der Zeit lese keine Sau und Spiegel–Eitelscheitel Mattussek „verführe nicht zu intensivem Zuhören“.

Übrig bleiben sollten nach Ansicht Thierses Beilagen, in denen mäßig geschmackvoll frisierte ostdeutsche Sozialdemokraten besserwisserisch aller Welt Noten erteilten. Schließlich zahle er als einziger Deutscher Rundfunkgebühren, weswegen es gerade Hartz-Empfängern und dem Prekariat durchaus zuzumuten sei, nachmittags RTL zu gucken und vom gesellschaftlichen Diskurs ausgeschlossen zu bleiben.

Okay, hat er nicht gesagt, hat er nicht gemeint. Thierse donquichottet seit mehr als einem Jahrzehnt gegen „Talkshows“. Vor gut zehn Jahren sah er sie „mitverantwortlich für den Bedeutungsniedergang des Parlamentes“. Mit der Europäisierung der Politik, der Globalisierung, in einem Bündel von Gründen. Ein redlicher Kaufmann kann sich bei solchem Anlass fragen, ob neben böser Konkurrenz und undankbarer Kundschaft auch Kehricht vor der eigenen Tür zu finden wäre.

Machte man schlechte Fußballspieler zu Vizepräsidenten der Regelkommission, dürfte man sich über Forderungen nach zwei Meter höheren Toren nicht wundern. Und staunen, dass der Videobeweis künftig von sagen wir mal Stevie Wonder ausgewertet werden solle.

Welpenschutz ist nicht

Doch Thierse steht der Welpenschutz nicht zu, den man Menschen zubilligt, die Ihre Karriere wesentlich regelmäßigem Kopfballtraining verdanken. Was immer in des Bräsidenten Schädel schief geht, geschieht auf seine volle Verantwortung. Thierse äußert sich – aktuell erneut – zu einer Zeit und in einem Umfeld, in dem parteipolitisch besetzte Gremien wie die Rundfunkräte von WDR und NDR und der ARD- Programmbeirat sich zu Programmmachern aufgeschwungen haben.

Das sind sie nicht. Sie sollen die gesellschaftlichen Schichten dort vertreten, die es in einer komfortabel gewordenen Gesellschaft vorziehen, sich auf's Private zu verlegen. Viele Menschen ereifern sich für einen günstigen Flachbildschirm und winken angemessen flachen Bildschirminhalt desinteressiert durch. Deshalb sind die öffentlich-rechtlichen Sender im Würgegriff der Parteien, der Thierses. Und wären sie es nicht, wären die Gremien leer. Das muss man trotz allem den Parteien zu Gute halten.

Als Programm-Macher, der nicht mit einer hübschen monatlichen Gremiendiät alimentiert wird, lernt man, mit vielem zu kämpfen. Mit der Quote, der Kritik, der Konkurrenz, dem Wettbewerb um Themen und Gäste, mit den eigenen Fehlern. Wenn man das mal alles einigermaßen im Griff hat, brennt's auf einmal im Rücken. Hoppla. Eine Ladung Schrott aus dem eigenen Haus. Gut, der Vertreter der Jugendringe im ARD-Programmbeirat ist frisch gebliebene 71 Jahre alt. OK, die Jauch'schen „Gremien voller Gremlins“ mögen ihr Mütchen kühlen wollen, wenn sie ausgerechnet diesem frechen Großverdiener schon zu Kreuze gekrochen sind.

Doch nüchtern betrachtet haben wir es mit einer politischen Kaste zu tun, die erstens einen Markt für kommerzielles Fernsehen geschaffen hat in den 90ern. Es war ein weiter Weg vom „Adenauer-Fernsehen“, das konservativer und unionsnäher werden sollte. Bis hin zur „scripted reality“ am RTL-Nachmittag, in den sich schon lange kein ernsthafter Politiker mehr verirren durfte. Die konservative Medienpolitik von Kohl und Schwarz-Schilling mag manches gewollt haben. Geschafft hat sie, den Markt für gesellschaftlichen Diskurs im Fernsehen zu halbieren. Die kommerzielle Hälfte spielt weitgehend nicht mit.

Heiliger „Bild“-Chefredakteur

Um so muskulöser wurde zweitens der Griff um den Hals der öffentlich–rechtlichen Fernsehschaffenden. Sorry, der Skandal um den Anruf eines CSU-Büttels im ZDF ist skurril. Der Skandal ist, dass dies geübte Praxis ist und an jedem Kollegenstammtisch jede/r KollegIn drei Beispiele erzählen kann. Wie schaffen es Print-Kollegen, sich über den beinahe banalen Vorgang bei „heute“ aufzuregen oder gar einen Bild-Chefredakteur heilig zu sprechen, weil er mal einen erbosten Anruf aus der Politik entgegen nehmen musste?

Und zugleich munter mitzumobben, wenn parteipolitisch dominierte Gremien die KollegInnen Plasberg, Maischberger, Beckmann, Jauch und Will zu Schießbudenfiguren ausrufen ? Der WDR-Rundfunkrat hat ausdrücklich „ein Übermaß an Berichterstattung zum Fall Wulff“ als Grund angeführt, warum daran beteiligte Gesprächssendungen wegfallen sollten. Okay, wenn das sorgfältige Gremienarbeit wäre – wie sähe dann politische Einflussnahme aus ?

Der ARD ist zu gratulieren, die Programmpolitik bedient sich längst der Mittel der Bundesliga-Berichterstattung: Wer steigt auf, wer ab, wo droht der Trainerwechsel, bitte stimmen Sie mit ab. Das allerdings tun die zahlenden Kunden ohnehin – mit der Fernbedienung. Es ist eine versehentlich zur Marketing-Strategie aufgestiegene Ratlosigkeit: Ihr seid politikerverdrossen, wir müssen aber Politik machen, also – welches Schweinderl hätten's denn gerne.

In den Niederlanden kann – theoretisch – jede gesellschaftliche Gruppe Fernsehen machen. Sie kann mit ihren Programmen Teilstrecken beanspruchen, und bekommt dafür Anteil vom Werbeerlös, treibt Mitgliedsbeiträge und erhält – der größte Batzen – einen staatlichen Zuschuss. Dass und wie man auch daran politisch motiviert drehen kann, hat kürzlich die Koalition mit Wilders traurig gezeigt. Und trotzdem : Da sendet mal die Arbeiterpartei, mal die katholische Kirche, und mal RTL oder Veronica. Nebenher fällt auf, dass das deutsche Fernsehen neben der BBC am liebsten den niederländischen Markt an neuen Ideen beklaut. Da scheint auch handwerklich etwas besser zu funktionieren.

Auch das wäre wieder ein weiter Weg, den Parteien zu sagen: Wenn ihr unbedingt besser wisst und vollstrecken wollt, wie Fernsehen geht – bitte sehr. Macht. Hier ist Geld, hier ist Frequenz, nun salbadert Euch die Wohnzimmer leer. Wobei ... die neue sozialdemokratische Zoo–Sendung „Ein Platz für Thierse“ würde ich gucken.

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Jahrgang: gut. Deutscher Journalist, Autor und Fernsehproduzent. Seit 2003 schreibt Friedrich Küppersbusch die wöchentliche Interview-Kolumne der taz „Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?".

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