Wowereit Nachfolge: „Ich bin freier geworden“

Stadtentwicklungssenator Michael Müller ist der älteste der drei SPD-Kandidaten: Er will mit seiner Erfahrung punkten – auch der aus seiner Abwahl als Parteichef.

Ist entspannt wie lange nicht mehr: Michael Müller Bild: dpa

taz: Herr Müller, vor zwei Jahren hat die SPD Sie entmachtet: Sie wurden als Parteichef abgewählt. Jetzt gelten Sie für nicht wenige als Favorit für die Nachfolge von Klaus Wowereit. Empfinden Sie Genugtuung?

Michael Müller: Wieso Genugtuung? Das würde ja bedeuten, dass ich da irgendetwas aufzuarbeiten habe. Das ist nicht der Fall. Ich habe für den Parteivorsitz gekämpft – es ist anders entschieden worden. Das ist abgeschlossen. Jetzt schaue ich nach vorne, und da kann ich viel Gutes einbringen.

Sie zürnen der Partei nicht mehr?

Der Partei sowieso nicht. Es ist legitim, dass man nach Jahren zu einer anderen Personalentscheidung kommt. So was ist natürlich nie schön. Aber jetzt ist es abgehakt. Es gibt von meiner Seite keine offenen Rechnungen.

49, ist seit 2011 Stadtentwicklungssenator. Der gelernte Drucker folgte 2001 Klaus Wowereit als Fraktionschef ins Abgeordnetenhaus nach, 2004 übernahm er zusätzlich den Parteivorsitz. Vor zwei Jahren verlor er den in einer Kampfabstimmung an Jan Stöß.

Auch nicht gegenüber Jan Stöß, Ihrem Nachfolger als Parteichef?

Wir haben zu dritt – Stöß, Raed Saleh als Fraktionsvorsitzender und ich – in den letzten zwei Jahren gut zusammengearbeitet.

Ist Ihre Kandidatur eine unerwartete Chance, doch noch richtig Karriere zu machen?

Ich staune über solche Formulierungen, auch wenn ich von einem Comeback lese – ich war nie weg. Ich bin ununterbrochen seit 18 Jahren Abgeordneter. Ich bin Senator mit dem mit Abstand größten Aufgabenspektrum, und ich bin Stellvertreter des Regierenden Bürgermeisters.

Darum galten Sie ja auch lange als Kronprinz. Wenn Klaus Wowereit überhaupt irgendeinen Nachfolger aufgebaut hatte, dann waren Sie das.

Ja, aber anscheinend hatte sich hier die Wahrnehmung verändert, seit ich nicht mehr Landesvorsitzender war. Gerade aus meiner Arbeit der letzten zwei Jahre heraus als Stadtentwicklungssenator ist es doch nachvollziehbar, dass ich kandidiere.

Es ist doch skurril, dass Sie gerade seit dem Moment, in dem die nominelle Rolle als Kronprinz weg war, ein anderer zu sein scheinen als der Michael Müller, der viele Male als „blass“ oder „langweilig“ beschrieben wurde – mit viel mehr eigenem Profil und stärkerem Auftreten.

Ich bin freier geworden. Ich bin mit mir im Reinen, sowohl mit meiner Rolle als Senator und Bürgermeister als auch mit der als Kandidat. Insofern haben eben auch Niederlagen ihr Gutes: Man überprüft sich selbst, man überlegt, wo man steht und wie man mit der Situation umgeht. Es ist so, dass ich niemandem mehr etwas beweisen und das nächste Amt wegen einer Karriereplanung anstreben muss. Ich bin frei in meiner Entscheidung und kann bewerten, was ich für die Berliner SPD einbringen kann: eine ganze Menge an inhaltlichen Punkten und auch an Regierungserfahrung. Vergessen wir nicht: Schon 2016 wollen wir eine Abgeordnetenhauswahl gewinnen.

Eine Rückkehr zum Parteivorsitz schließen Sie aus?

Das ist gar kein Thema: Wir haben einen gerade im Amt bestätigten Vorsitzenden …

aber nur mit 68 Prozent!

Ich kandidiere für das Amt des Regierenden Bürgermeisters, für nichts anderes.

Herr Stöß hat der taz vor einer Woche gesagt, er stehe für Neuanfang und frischen Wind. Sie hingegen stünden für ein „Weiter wie bisher“, für eine Fortsetzung der Wowereit-Politik.

Die letzten 13 Jahre waren erfolgreich für die Berliner SPD und die Stadt. Wir haben die Partei zur führenden Regierungspartei gemacht. Das war sie vorher nicht, sie war Juniorpartner und in dieser Koalition gefangen. Wir haben viel getan für das Zusammenwachsen der Stadt, die Arbeitslosigkeit halbiert, sind das Bundesland mit dem stärksten Wirtschaftswachstum. Dafür muss man sich nicht verstecken. Daran habe ich meinen Anteil. Diese Erfahrung bringe ich ein.

Mit welchem Ziel?

Ich will, dass die Stadt gut regiert wird, dass wir in einer solidarischen Stadt leben, einem Zuhause für alle. Dafür müssen wir uns mit den vielen Problemen, die es in Berlin trotz der positiven Entwicklung noch gibt, ernsthaft, sachlich und im Dialog mit den Menschen auseinandersetzen. Das ist mein Ansatz. Und wer den Neuanfang verspricht, der muss erklären, womit der verbunden sein soll. Im Übrigen: Wollen die Berliner wirklich ein ständiges Umkrempeln der Stadt?

In Umfragen ist die SPD keineswegs mehr die führende Partei. Nur 21 Prozent waren es vor Kurzem, weit hinter der CDU. Steht die SPD an einem Punkt, gerade nach dem verlorenen Tempelhof-Volksentscheid, an dem sie die Lehren aus den Wowereit-Jahren ziehen muss?

Richtig ist, wir müssen verlorenes Vertrauen zurückgewinnen, wenn wir die führende Regierungspartei bleiben wollen. Und natürlich gilt: Positiv wie negativ ist das Erscheinungsbild der Berliner SPD ein Gesamtkunstwerk, an dem alle ihren Anteil haben: natürlich Klaus Wowereit, natürlich die Senatoren und die Fraktion, aber auch der Landesvorsitzende. Das betrifft übrigens auch die Tempelhof-Entscheidung, wo Fraktion und Partei geschlossen zu einer Randbebauung standen.

Eine weitere Niederlage der SPD – die sich doch als Partei der sozialen Gerechtigkeit sieht – ist es, in der Regierung nicht verhindert zu haben, dass der Wohnungsmarkt extrem eng geworden ist, für viele zu eng. Als das seinen Anfang nahm, waren Sie Landesvorsitzender.

Und genau der hat 2009 und 2010 die Themen Wohnungspolitik und Rekommunalisierung in verschiedenen Parteiformaten auf den Weg gebracht.

Ihr Vorgängerin an der Spitze der Stadtentwicklungsverwaltung, Ingeborg Junge-Reyer, hat stets gesagt: Wir haben 100.000 leere Wohnungen, das reicht.

Die waren ja auch lange da. Doch es stimmt: Das konkrete Umschalten hat zu lange gedauert, als sich dann Veränderungen abzeichneten.

Sie hätten als Vorsitzender von Partei und Fraktion etwas tun können.

Mit den entsprechenden Partei- und Fraktionsbeschlüssen habe ich genau das ja eingefordert. Und als ich selbst in der Lage war, als Stadtentwicklungssenator handeln zu können, habe ich das am ersten Tag getan: Ich habe in und mit der Verwaltung umgesteuert, ob Mieterschutz, Wohnungsneubau oder soziale Bündnisse mit den städtischen Gesellschaften. Bezahlbarer Wohnraum ist knapp, und es war und ist die erste Aufgabe, sich diesem Problem zu widmen. Das würde ich selbstverständlich auch als Regierender Bürgermeister tun.

Klaus Wowereit hat jüngst, genau wie Sie jetzt, Erfahrung als wichtige Kompetenz für seinen Nachfolger genannt. Weiter ist er nicht gegangen. Würde es Ihnen helfen oder schaden, wenn er Sie offen unterstützte?

Weder – noch, weil es ja nun kein Geheimnis ist, dass wir seit 30 Jahren zusammenarbeiten und befreundet sind. Alle wissen, dass es da ein besonderes Vertrauensverhältnis gibt.

Kommen wir mal auf den Glamour-Faktor zu sprechen …

… ich habe ja gehört, den gibt es bei mir nicht?! (lacht)

Wowereit verkörpert diesen Glamour auf eine extreme Weise, gepaart mit einer Entwicklung Berlins, die zu diesem Glamour passt. Ist es eine Bürde, da anknüpfen zu müssen?

Nein, überhaupt nicht. Das meinte ich vorhin auch, als ich sagte, ich bin ganz frei in meiner Kandidatur. So ein Regierender, der weltweit über den roten Teppich gelaufen ist, mit vielen Prominenten befreundet ist – wie findet man nach so einem Vorgänger eine eigene Rolle? Wenn man auch nur ansatzweise probieren würde, das zu kopieren, würde es nur peinlich werden.

Was wollen Sie dann?

Ich bin ein anderer Typ. Und vielleicht ist dieses Sachlichere auch etwas, was viele ganz gut finden in der jetzigen Phase Berlins. Wie die Stadt in den letzten Jahren positioniert wurde, als die aufstrebende Metropole, war toll. Aber hier gibt es auch Dinge über Jahre sachlich abzuarbeiten, und dafür brauchen wir einen neuen Politikstil der Ernsthaftigkeit und Bürgernähe. Das kann ich überzeugend einbringen.

Ist also gerade nicht die Zeit für Visionen?

Das eine schließt das andere doch nicht aus. Visionen …

im Gegensatz zu „abarbeiten“, von dem Sie sprechen …

… habe ich gut formuliert in unserem Stadtentwicklungskonzept 2030. Da haben wir über die letzten anderthalb Jahre einen stadtöffentlichen Dialog über ein Leitbild geführt – eine Vision einer intelligenten Stadt, in der die Menschen gern und gut leben. Das haben wir an Quartieren aufgezeigt: So wollen wir in Tegel urbane Industrien ansiedeln, die helfen, Leben und Arbeiten besser zu machen. Aber die Ärmel hochzukrempeln und sich um Tagespolitisches zu kümmern ist genauso wichtig.

Sie haben eine ähnliche Biografie wie Raed Saleh: ein Drucker, der sich nach oben gearbeitet hat.

Sozusagen klassisch sozialdemokratische Biografien. Ich habe die Erfahrung, über 15 Jahre als kleiner Selbstständiger in einer Druckerei gearbeitet zu haben. Ich weiß, was es heißt, einen Lohn zu erwirtschaften; ich weiß auch, was es heißt, wenn es mal nicht klappt. Es ist gut, wenn man die Dinge, über die man redet, selbst mal erfahren hat.

Es kann ja von Ihnen dreien nur einen geben …

… aha, das Highlander-Motto.

und daraus ergibt sich die Frage: Wie steckt die Partei diese Auseinandersetzung weg?

Was heißt, wie steckt die das weg? Die Partei wünscht doch mehr Mitsprache. Nicht 200 Delegierte, sondern 17.000 Mitglieder stimmen ab – das ist ein Stück jener Demokratisierung, die eingefordert wird. Und was uns drei angeht: Wir haben in den letzten zwei Jahren vernünftig zusammengearbeitet, und so wird das auch in Zukunft sein. Wir werden in der Auseinandersetzung fair miteinander umgehen.

Das klingt ja sehr hübsch, aber seit Beginn des BER-Debakels gibt es in der SPD den Ruf nach einem Generationenwechsel.

Hallo, ich bin 49, da gehöre ich ja wohl nicht zum alten Eisen. Und den personellen Neuanfang hat es ja durchaus gegeben. Raed Saleh ist seit fast drei Jahren Fraktionsvorsitzender, Jan Stöß seit zwei Jahren Landeschef. Gleichzeitig nehme ich natürlich wahr, dass sehr viele Mitglieder froh über meine Kandidatur sind.

Übernehmen Sie als Regierender Bürgermeister den Aufsichtsratsposten beim BER?

Ich finde es zwingend, Verantwortung im Aufsichtsrat zu übernehmen. Man kann doch nicht sagen, ich möchte Verantwortung für 3,5 Millionen Berliner tragen, aber diese Aufgabe ist mir zu schwer. Der Regierende Bürgermeister, wie immer er heißt, hat eine Verantwortung im Aufsichtsrat zu übernehmen. Ich würde sie übernehmen.

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