Zehn Jahre nach dem Mord an Hrant Dink: Der Prozess

2007 wird der türkisch-armenische Journalist erschossen. Nach dem Putschversuch 2016 werden Gülenisten als die Hintermänner verdächtigt.

Hrant Dink im alten Agos Büro

Hrant Dink bei der Arbeit Foto: „Agos“-Archiv

In seinem letzten Artikel „Die Unruhe einer Taube in meinem Gemüt“ vom 10. Januar 2007 schrieb der Journalist Hrant Dink: „Speicher und Chronik meines Computers sind gespickt voll mit Zeilen voller Hass und Drohungen, die Leute aus diesen Kreisen schickten. Besonders eine dieser Nachrichten fand ich höchst beunruhigend, da sie aus Bursa kam und eine unmittelbare Gefahr darstellte. Ich übergab den Drohbrief der Staatsanwaltschaft in Şişli, muss hier aber festhalten, dass sich in dieser Sache bis heute rein gar nichts getan hat.“

Neun Tage nach diesem Artikel wurde Dink vor dem Gebäude der Zeitung Agos, die er als Chefredakteur leitete, ermordet. Wie sich später herausstellte, war der Mord mit Kenntnis von Geheimdienstlern und Gendarmen im Kreis Pelitli/Trabzon geplant worden. Nach dem Mord wurde aufgedeckt, dass die Beamten sich einer Reihe von Unterlassungen schuldig gemacht hatten.

Der Weg zum Mord wurde geebnet, als Dink wegen eines Berichts angezeigt wurde, in dem er über die armenische Herkunft von Sabiha Gökçen schrieb (der Adoptivtochter Atatürks und einer der ersten Pilotinnen der Türkei, Anm.d.Red.). Nach dem Bericht wurde Dink von der Istanbuler Präfektur vorgeladen.

Wie er später in einem Artikel für die Tageszeitung Radikal schrieb, sagte der Stellvertreter des Gouverneurs zu ihm: „Sollten Sie nicht vorsichtiger sein bei Ihren Berichten? Was sollen solche Berichte?“ Damit war bewiesen, dass er auch unmittelbar von Staatsbeamten bedroht wurde. Später stellte sich heraus, dass bei diesem Gespräch der Geheimdienst-Mitarbeiter Özel Yılmaz anwesend war. Trotz starker Belege wurde Yılmaz nicht einmal als Zeuge gehört, weil der Staatsanwalt das Verfahren einstellte.

Schleppender Mordprozess

Obwohl Journalisten und Juristen unermüdlich darum kämpften, konnten die für den Mord mitverantwortlichen Beamten lange Zeit nicht als Zeugen vernommen werden. Erst als der Europäische Menschenrechtsgerichtshof 2010 urteilte, es seien keine effektiven Ermittlungen in dem Mordfall vorgenommen worden, wurde der Weg für ein Verfahren gegen die Beamten frei.

Die „Immunität“ der damaligen Geheimdienstfunktionäre, die eine Mitverantwortung für den Mord tragen und der Gülen-Bewegung angehören sollen, fiel aber erst im Zuge des Bruchs zwischen AKP und Gülen-Bewegung aufgrund der Korruptionsermittlungen vom 17. bis 25. Dezember 2013. Die Gendarmen in Trabzon, die von den Mordplänen gewusst haben sollen, wurden erst nach dem Putschversuch 2016 verhaftet. Ihnen wird nämlich Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung vorgeworfen.

Die Gülenisten, die vor dem Zerwürfnis mit der AKP die Sicherheitsbehörden und Justiz unterwandert hatten, wollten den Mord dem Ergenekon-Verfahren angliedern, das sich damals vor allem gegen Oppositionelle richtete. Regierungsgegner wurden damals bezichtigt, Mitglied der Ergenekon-Organisation zu sein und einen Putsch vorzubereiten. In diesem großen Sack wollten die Gülen-Leute auch den Dink-Mord versenken.

Gülenisten – allein verantwortlich für den Mord an Dink?

In ähnlicher Weise ging die Regierung nach dem Bruch zwischen AKP und Gülen-Bewegung vor. Nun warf sie Personen, die eine andere politische Meinung als die Regierung vertraten, vor, Anhänger von Fethullah Gülen zu sein. Diesmal war der Sack um einiges größer als der bei den Prozessen, die die Gülenisten zuvor geführt hatten.

So wurde etwa der Journalist Ahmet Şık – der damals mit dem Vorwurf eingesperrt wurde, Ergenekon-Mitglied zu sein – erneut inhaftiert; diesmal mit dem Vorwurf, Propaganda für die Gülen-Organisation zu betreiben.

Heute stehen wir an einem Punkt, wo der Eindruck erweckt werden soll, für den Dink-Mord seien ausschließlich Gülen-Leute verantwortlich. Damit hier kein Missverständnis aufkommt: Unter den Verantwortlichen für den Mord befinden sich tatsächlich Gülen-Anhänger. Aber sie waren nicht allein. Es gibt weitere Staatsbeamte, die nichts mit der Bewegung zu tun haben, aber den Mord zuließen. Sie ergriffen trotz ihrer Verpflichtung, Dinks Leben zu schützen, keine Maßnahmen.

Unmittelbar nach dem Mord an Hrant Dink vor zehn Jahren sagte Erdoğan in seiner damaligen Position als Premierminister: „Kein Verbrechen wird in den dunklen Korridoren von Ankara untergehen.“ Doch auch an seinem zehnten Jahrestag ist der Dink-Mord noch nicht aus „den dunklen Korridoren von Ankara“ gehoben.

Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe

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geboren 1987. Journalistin bei der Cumhuriyet, seit 2013 Gerichtsberichterstatterin. Coşkun schreibt über die Korruptionsermittlungen sowie die Ermittlungen gegen die Gülen-Bewegung und beschäftigt sich mit der Einschränkung der Pressefreiheit in der Türkei. Wegen ihrer Artikel laufen zahlreiche Gerichtsverfahren gegen Coşkun.

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