Zwei MitarbeiterInnen über das Prinzip Umsonstladen: "Geben und Nehmen entkoppeln"

In den Hamburger Umsonstläden wird weder verkauft noch getauscht. Die BesucherInnen können mitnehmen, was ihnen gefällt. Ein Gespräch mit zwei MitarbeiterInnen über die Freude an Theorie, das Übermaß an Schrauben und die üblichen politischen In-Gruppen.

Arbeiten in den Hamburger Umsonstläden und möchten die Idee ausweiten: Martin Grönemeyer und Angela Banerjee. Bild: M. Ferraz

taz: Schön, dass es mit dem Termin geklappt hat, Frau Banerjee und Herr Grönemeyer.

Angela Banerjee: Wir haben eine Weile überlegt. Nach dem letzten Bericht haben uns die Leute massenhaft ihre Sachen gebracht. Dagegen haben wir natürlich nichts, aber die Idee von einer geldfreien Wirtschaft hat sich nicht so richtig vermittelt.

Die bedeutet konkret?

Banerjee: Ein Konzept von freiwilligem Geben und Nehmen. Aber nicht wie bei den Tauschringen, wo es zwar auch um Geben und Nehmen geht, aber eher mit der Idee einer direkten Gegenleistung. Unser Ansatz ist, das zu entkoppeln.

Kommt dieser Gedanke eines grundsätzlicheren Austauschs an?

Banerjee: Sehr viele sehen die Läden als Anlaufstelle für Bedürftige.

Martin Grönemeyer: Ich bin im Augenblick im Umsonstladen Gängeviertel und glaube, dass der stärker als der in der Stresemannstraße wahrgenommen wird als ein Ort der Künstlerinnen und Künstler. Und zur Entkoppelung von Geben und Nehmen: Das ist immer der größte Überraschungseffekt. Die Leute kommen rein und denken, sie müssten etwas abgeben, um Sachen mitnehmen zu können. Es kann sehr aufwendig sein, den Leuten zu erklären, dass das gar nicht vonnöten ist.

Was macht Ihnen Spaß an der Arbeit?

Sie, 48, seit dem Jahr 2008 im Hamburger Umsonstladen, unterrichtet außerdem Deutsch als Zweitsprache.

Er, 41, seit dem Jahr 2004 im Umsonstladen. Er arbeitet außerdem als Programmierer.

Grönemeyer: Das ist der Überraschungseffekt, den ich sehr schätze. Manchmal versuchen wir das mit kleinen Aktionen auf die Spitze zu treiben.

Wie das?

Grönemeyer: Wir sind mit einer Schicht komplett nach draußen gegangen. Das ist für die BesucherInnen ungewöhnlich, weil deren Vorstellung ist: Du wirst bedient oder kontrolliert und dann sitzen wir draußen, klönen, trinken etwas und sagen zu den Leuten: "Macht nur, macht".

Ich hätte gedacht, dass ein Vorbehalt wäre, dass Leute kommen, die nur nehmen und überhaupt nicht ans Geben denken.

Banerjee: Das gibt es schon auch, die Leute, die große Taschen herausschleppen. Deswegen haben wir die Regel aufgestellt, dass man nur drei Kleidungsstücke mitnehmen darf. In der Praxis hängt das aber auch davon ab, wie viel wir davon haben. Aber der Umsonstladen allein ist noch nicht befriedigend für uns. Wir möchten die Idee auch auf andere Bereiche ausweiten.

Grönemeyer: Deswegen gibt es eine Fahrradwerkstatt, ein Kleinmöbellager und ein neues Projekt: "Saatgut für alle", bei dem man sich Samen mitnehmen kann. Und die Freie Uni.

Banerjee: Freie Uni klingt so akademisch. Deswegen haben sich auch schon Leute an uns gewandt, um sich einzuschreiben. Es gibt da zwar auch Kritische Theorie, aber es gibt auch sehr praktisch orientierte Angebote. Zum Beispiel eine Gruppe zu regenerativen Energien, die ein Windrad bauen wollte. Es gibt drei Computergruppen, in der Linux-Gruppe war ich eine Zeit lang und fand es sehr bemerkenswert, dass dort nur ein Mann war, ansonsten waren es nur Frauen.

Was für Leute kommen zum Arbeitskreis Lokale Ökonomie?

Banerjee: Die Leute sind sehr unterschiedlich, das ist ein Aspekt, den ich hier sehr gut finde. Es ist nicht so wie bei den üblichen Politgruppen eine In-Szene, die unter sich bleibt, sondern es gibt auch Leute, die wenig Deutsch sprechen und die sich sonst wohl nicht politisch betätigen würden. Oder Leute, die auf dem regulären Arbeitsmarkt Schwierigkeiten hätten, weil man ihnen ansieht, dass sie eine heftige Drogenkarriere hinter sich haben.

Der Arbeitskreis will Lebensalternativen schaffen, jenseits kapitalistischer Zwänge. Hat sich für Sie tatsächlich ein anderes Leben verwirklicht?

Grönemeyer: Die Lebenspraxis ist oftmals eine andere. Es ist zwar die Idee, dass Leute über die Projekte einmal aus ihrem Job herausgehen können, aber im Moment ist das unrealistisch. Bei mir in der Schicht sind zwar viele, die eine Vier-Tage-Woche haben. Aber das ist nichts, was der Laden ermöglicht, sondern individuelle Verhandlungssache auf dem Markt.

Hier sind vermutlich ohnehin Leute, für die Konsum nicht ganz oben steht.

Banerjee: Wenn ich an einen Kollegen denke, bestimmt. Der hat sich einmal in einer WG vorgestellt und meinte, dass Zimmer sei zu groß für ihn. Das fand ich sehr interessant.

Hat sich für Sie der Bezug zu Besitz dadurch noch einmal verändert, dass immer wieder Leute kommen, die sagen "Wir haben zu viel, nehmt es"?

Banerjee: Ehrlich gesagt, finde ich, dass ich zu viel habe, zu viel Raum und zu viel Zeugs. Ich möchte mich verkleinern, aber das ist ein "work in progress".

Grönemeyer: Ich glaube, dass es da ganz unterschiedliche Charaktere im Projekt gibt. Ich bin nicht grundsätzlich konsumfeindlich. Konsum heißt erst einmal ja nur, dass ich Dinge verbrauche. Natürlich konsumiere ich gerne Lebensmittel, koche gerne mit Freunden oder konsumiere auch Kultur. Konsum bedeutet für mich nicht notwendigerweise, ein teures Auto oder eine Yacht zu haben. Für mich persönlich ist der Laden gerade eher eine experimentelle Spielwiese. Da kommt mal ein Projekt, zum Beispiel das Schraubenprojekt …

Was ist das?

Grönemeyer: … Da hatte jemand die Idee, Schrauben zu sammeln. Fast jede Person kennt das: Ein Brett kommt von der Wand, man braucht eine einzige Schraube, geht in den Baumarkt und kauft zwangsweise eine große Packung Schrauben, die man gar nicht braucht. Das Projekt kam hoch, lebte ein paar Wochen und dann ist es wieder weg. Anderes wie den Umsonstladen gibt es etliche Jahre.

Banerjee: Ich nutze den Umsonstladen, damit kann ich gewisse Ausgaben sparen, aber es ist nicht so, dass ich mein Leben dadurch massiv umgestalten könnte. Wobei wir in letzter Zeit manchmal Lebensmittel bekommen. Das ist eine Idee, die wir noch haben: einen Gemeinschaftsgarten in der Stadt zu machen.

Mieten und Lebensmittel sind Bereiche, von denen Sie in einem Interview gesagt haben, dass Ihnen da noch Antworten fehlen.

Grönemeyer: Bei den Lebensmitteln gibt es immer wieder Versuche, sich mit anderen Projekten zusammenzutun. Es gibt den Karlshof mit regelmäßigen Kartoffelernten für alle. Aber es hat noch keinen Verbindlichkeitsgrad, mit dem man seine Existenz sichern könnte.

Banerjee: Es ist ein befreundetes Projekt, aber es ist bei Berlin und es ist nicht der Sinn der Sache, die Dinge von dort nach Hamburg zu karren.

Sie sind in der Zwischenbilanz auf der Internetseite sehr offen. Unter anderem benennen Sie die Gefahr, unfreiwillig Sozialstation zu werden. Wie gehen Sie damit um?

Grönemeyer: Großes Plenum. Da werden basisdemokratisch auch die Sachen, die einen nerven, bis zu Ende ausdiskutiert.

Banerjee: Es ist immer wieder Thema. Man muss da konkret gucken. Es wird zugelassen, dass es keinen normierten Ansatz gibt: Wer mitmachen möchte, kann mitmachen. Im Prinzip entscheidet jede Arbeitsschicht für sich, wie sie mit der Person umgeht, mit der sie nicht klar kommt.

Wie eng verzahnt sind Theorie und Praxis? Wünscht sich die Theoriegruppe, dass die Fahrradgruppe Marx liest und die Fahrradgruppe, dass die Theoriegruppe weiß, wo das Werkzeug liegt?

Grönemeyer: Das ist ein heißes Eisen. Natürlich gibt es den Wunsch, dass es sich verzahnt - aber realistisch betrachtet bin ich schon völlig zufrieden, wenn die Leute verstehen, worum es in diesem Projekt geht. Das Wichtigste für mich ist, dass das Ganze nicht als Sozialhilfeprojekt und Tauschprojekt wahrgenommen wird. Und dass wir in Frage stellen, dass Gebrauchsdinge ein Preisschild oder einen Warenwert haben müssen. Natürlich wäre ich persönlich froh, wenn mehr rüber käme - aber das ist nicht realistisch und auch keine Anforderung, die wir stellen.

Derzeit tun sich die Läden schwer, neue MitarbeiterInnen zu finden.

Grönemeyer: Weil wir keine homogene Gruppe sind, sind die einzelnen Schichten sehr unterschiedlich. Die klassischen Politikaktivistinnen und -aktivisten sprechen wir nicht so sehr an. Wenn man etwa zu einer Antirassismus-Gruppe geht, ist das oft eine gewisse Kultur, die dort verkörpert wird. Ich kann mir vorstellen, dass es hier relativ schwierig ist, sich mit einem solchen Hintergrund zu verorten.

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