Zwickauer Terror-Zelle: Neonazi Ralf W. in Untersuchungshaft

Gegen den mutmaßlichen Helfer der Neonazi-Terrorgruppe Ralf W. wurde Untersuchungshaft verhängt. Bundesinnenminister Friedrich will Neonazi-Daten künftig zentral erfassen.

Ein weiterer verdächtiger Neonazi ist gefasst worden. Bild: dpa

KARLSRUHE afp/dapd | Der Bundesgerichtshof hat gegen den mutmaßlichen Helfer der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU), Ralf W., am Dienstag Untersuchungshaft verhängt. Dies sagte der Sprecher der Bundesanwaltschaft, Marcus Köhler, der Nachrichtenagentur dapd.

Bei ihren Ermittlungen zu der Neonazi-Mordserie hatte die Bundesanwaltschaft am Dienstagvormitt den 36-jährigen Ralf W. festgenommen, wie die Behörde in Karlsruhe mitteilte. Dem in Jena Festgenommenen wird demnach Beihilfe zu sechs Morden und einem Mordversuch zur Last gelegt. Es soll sich um einen ehemaligen NPD-Funktionär handeln.

Nach bisherigen Erkenntnissen soll W. seit 1995 in rechtsextremistischen Kreisen in Thüringen aktiv gewesen sein. Er stand demnach bereits in den 1990er Jahren in enger Verbindung zu den 1998 untergetauchten drei Mitgliedern der Zwickauer Zelle, die insgesamt zehn Morde in den Jahren 2000 bis 2007 sowie zwei Sprengstoffanschläge in Köln verübt haben soll.

W. soll demnach das Neonazi-Trio bei dessen Flucht 1998 und danach finanziell unterstützt haben. Zudem vermittelte er laut Bundesanwaltschaft den Kontakt zwischen der Zelle und dem inhaftierten Holger G., der dem Trio den Ermittlern zufolge Geld und Ausweisdokumente überließ.

Zur aktuellen Festnahme von Ralf W. erklärte die Bundesanwaltschaft: "Aufgrund seiner anhaltenden Verbindung zu der unter falscher Identität lebenden Gruppe wusste er von ihren terroristischen Straftaten." Ralf W. sei zudem dringend verdächtig, dem NSU 2001 oder 2002 eine Schusswaffe nebst Munition verschafft zu haben. Er soll Waffe und Munition einem Kurier übergeben haben, der sie in seinem Auftrag der Zelle nach Zwickau brachte. Dabei nahm der Beschuldigte laut Anklagebehörde "billigend in Kauf, dass die Schusswaffe für rechtsextremistische Morde verwendet werden könnte".

W. habe aufgrund seiner anhaltenden Verbindung zu der unter falscher Identität lebenden Gruppe von deren terroristischen Straftaten gewusst, teilte die Bundesanwaltschaft weiter mit.

Ralf W. soll noch am Dienstag dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs vorgeführt werden, der ihm den Haftbefehl eröffnen wird.

Friedrich plant umfassende Neonazi-Datei

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich plant als Konsequenz aus der jahrelang unentdeckt gebliebenen Neonazi-Mordserie eine umfassende Datei zu gewaltbereiten Rechtsextremisten. Der CSU-Politiker wolle dazu möglichst schnell einen Gesetzentwurf vorlegen, bestätigten Regierungskreise am Dienstag in Berlin einen Bericht der "Süddeutschen Zeitung" vom selben Tag.

Die Verbunddatei gehört zu dem Zehn-Punkte-Plan, den das Bundesinnenministerium nach Bekanntwerden der Neonazi-Mordserie und der Zwickauer Neonazi-Zelle vorgelegt hatte. Im Gespräch ist unter anderem, Bankverbindungen, Telefonverbindungen und Kontaktleute von gewaltbereiten Rechtsextremisten zentral zu erfassen.

Das Bundesjustizministerium reagiert bislang zurückhaltend auf die Pläne. Es verwies darauf, dass zunächst eine genaue Analyse der Fehler im Zusammenhang mit der Zwickauer Neonazi-Zelle im Vordergrund stehe. "Die zentralen Probleme, die bereits jetzt sichtbar geworden sind, sind durch Vollzugsdefizite entstanden", sagte ein Sprecher. Der Informationsaustausch müsse verbessert werden. Er bekräftigte die Forderung von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), den Verfassungsschutz stärker zu konzentrieren, indem Landesämter miteinander verschmolzen werden.

Ein entsprechender Gesetzentwurf zur zentralen Datei muss noch zwischen den Ressorts abgestimmt werden. Sie soll nach dem Vorbild der Anti-Terror-Datei zu gewaltbereiten Islamisten beim Bundeskriminalamt eingerichtet werden. Zugriff haben sollen die Polizeien und Verfassungsschutzämter von Bund und Ländern. Die Behörden sollen nach bisherigen Plänen verpflichtet werden, ihre Daten zu gewaltbereiten Rechtsextremisten in die Datei zu speichern.

Zu den Plänen von Innenminister Friedrich gehört auch ein gemeinsames Abwehrzentrum Rechtsextremismus, in dem Polizei und Verfassungsschutz eng zusammenarbeiten sollen. Bereits gestärkt wurde das Bundesamt für Verfassungsschutz: Die Landesämter müssen ihm jetzt ihre Erkenntnisse zum Rechtsterrorismus vorlegen. Darauf hatten sich die Staatssekretäre von Bund und Ländern in der vergangenen Woche geeinigt. Die Innenminister werden sich auch auf ihrer Konferenz am 8. und 9. Dezember in Wiesbaden mit Schlussfolgerungen aus der Neonazi-Mordserie beschäftigen.

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