BERNHARD PÖTTER RETTUNG DER WELT
: Die Energie der Dicken

Übergewicht an sich ist noch kein Menschheitsproblem. Aber wenn es sich mit Unwissenheit paart, ist es an der Zeit für einen neuen Westernhagen-Song

Das Lied, das wir in der zehnten Klasse bei jeder Gelegenheit grölten, war nicht nett: „Dicke haben Blähungen, Dicke haben ’nen dicken Po, und von den ganzen Abführmitteln rennen Dicke oft aufs Klo …“ So sangen wir mit Marius Müller-Westernhagen. Meine Ausrede damals lautete: MMW singe das, um Vorurteile gegen Übergewichtige zu thematisieren. Außerdem war „Dicke“ das Lieblingslied meines Freundes Alfo, der ebenfalls deutlich über dem Idealgewicht lag.

Heute wäre Westernhagens Liste von Dickendelikten noch länger. Denn Dicke sind auch schlecht fürs Klima und die Umwelt. Sagen jedenfalls Phil Edwards und Ian Roberts von der School of Hygiene and Tropical Medicine in London.

Erstens wird mehr Energie verbraucht, um schwere Menschen zu transportieren. Zweitens nutzen Dicke öfter Autos. Drittens brauchen Dicke mehr Nahrung, die zu höheren Treibhausgasen führt. Im Schnitt stößt ein Dicker pro Kopf und Jahr eine Tonne mehr Kohlendioxid aus als ein Dünner.

Jetzt sind wahrscheinlich wegen der Glaubwürdigkeit der deutschen Klimapolitik viele froh, dass unser Umweltminister nicht mehr Sigmar Gabriel heißt. Aber ganz wohl ist mir bei dieser Rechnung nicht.

Dicke für den Klimawandel verantwortlich zu machen, ist ähnlich abstrus wie die Rechnung, wie viel CO2 eine Kerze am Weihnachtsbaum ausstößt. Oder wie die Vorstellung, Biotreibstoffe seien das Mittel zur Rettung der Welt. Oder die Idee, Landwirte seien eigentlich Klimaschützer. Oder die Annahme, die Grüne Woche sei irgendwie grün.

Da nämlich klopft sich das Landvolk auf die Schultern, dessen Lobbygruppe „Deutscher Bauernverband“ fröhlich seine Klimabilanz schönrechnet und nicht von der industriellen Landwirtschaft lassen will, die global mehr Treibhausgase erzeugt als der Verkehr. Und da wird wenig darüber nachgedacht, dass Produktion und Konsum von Lebensmitteln in den Industrieländern ähnlich aus dem Ruder gelaufen sind wie der Body-Mass-Index der Bevölkerung, während gleichzeitig Nahrung weltweit immer knapper wird.

Ein Drittel der Lebensmittel, die in England gekauft werden, wandern in den Müll, haben Studien gezeigt. „Diese Verschwendung ist ethisch bedenklich und schadet der Umwelt“, sagt Mariann Fischer Boel. „Jedes Jahr gelangen durch unsere Lebensmittelabfälle Milliarden Tonnen Treibhausgase in die Atmosphäre. Warum kaufen wir drei Hähnchen zum Preis von zwei, wenn wir eigentlich nur eins brauchen?“

Ja, warum? Frau Fischer Boel sollte vielleicht nicht nur diese Frage stellen, sondern auch eine Antwort parat haben. Die Frau ist schließlich EU-Agrarkommissarin und gern gesehener Gast bei der Grünen Woche. Wir warten auf ein paar klärende Worte. Denn für sich genommen sind Übergewicht und Unwissenheit noch keine Menschheitsprobleme. Gefährlich wird es erst, wenn beide zusammenkommen: Dann sind wir Dick und Doof.

Der Autor ist Journalist, 1,73 Meter groß und wiegt 69 Kilo Foto: privat