Regierung setzt Ökonomen unter Druck

Die Ausschreibung der Konjunkturprognosen sorgt für vorauseilenden Gehorsam: DIW-Chef zieht Steuerexperten ab

BERLIN taz ■ Um 2,4 Prozent soll die Wirtschaft in Deutschland 2007 und 2008 jeweils wachsen. Das werden die Konjunkturexperten der fünf großen Wirtschaftsforschungsinstitute heute in ihrem Frühjahrsgutachten vorhersagen. Damit liegen sie einen Prozentpunkt über ihren Erwartungen vom Herbst. Doch diese gute Nachricht dürften sie eher angespannt präsentieren. Denn die 114. Gemeinschaftsdiagnose wird die letzte sein. Die Bundesregierung sucht sich eine neue Beratung.

Ein Maulkorb gegen einen verdienten Steuerexperten lässt nun vermuten, dass sie dabei mehr darauf achten wird, dass die Forscher der Regierungspolitik freundlich gegenüberstehen.

Seit 1950 erstellen das Berliner DIW, das Kieler IfW, das Essener RWI und das Münchner Ifo-Institut zweimal jährlich Konjunkturprognosen im Auftrag der Bundesregierung. 1992 stieß das Hallenser IWH hinzu. Ebenfalls dabei war bis 2006 das Hamburger HWWA. Die Gemeinschaftsdiagnose ist die Grundlage für die Prognose der Bundesregierung und wesentlicher Teil der Politikberatung. Die nächsten Gutachten werden nun frei ausgeschrieben. Künftig teilen sich nur drei bis vier Institute den 1,3-Millionen-Euro-Auftrag.

Und bereits jetzt zeigt sich, dass der angeblich mit der Ausschreibung bezweckte neue Wettbewerb die Unabhängigkeit der Expertise bedroht. Erstes Opfer ist der DIW-Steuerexperte Dieter Vesper, Mitglied im Arbeitskreis Steuerschätzung – oder besser: Exmitglied. Vesper und sein Kollege Heinz Gebhardt vom RWI hatten öffentlich gemacht, dass für das Gesamtjahr 7 Milliarden Euro mehr zu erwarten seien. Daraufhin hatte Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) bei den Präsidenten der Institute anrufen lassen. Ziel: die Experten zum Schweigen zu verdonnern. Während RWI-Chef Christoph Schmidt das dankend ablehnte, verpasste DIW-Präsident Klaus Zimmermann Vesper Redeverbot – und zog ihn aus dem Arbeitskreis ab.

Nun sind Einflussversuche der Politik auf die Arbeit der Wissenschaftler nicht neu. Nach der Wende gab es massive Proteste der Kohl-Regierung, als DIW-Mitarbeiter ausrechneten, dass es mit den blühenden Landschaften im Osten längst nicht so weit her sei wie behauptet. 1996 ahndete die Berliner Landesregierung einen DIW-Bericht zum Finanzierungsdefizit des Landes mit der Kürzung von Fördergeldern. Ein Jahr später drohte das Finanzministerium, die Bundesmittel komplett zu streichen, nachdem das DIW nicht bestätigen wollte, dass Deutschland die Maastricht-Kriterien erfüllen würde. 2005 machte die Bundesregierung ihrem Sachverständigenrat die Hölle heiß, als Peter Bofinger im Jahresgutachten ein Minderheitenvotum zur Staatsverschuldung verfasste.

Der Bremer Finanzexperte Rudolf Hickel hält den aktuellen Vorstoß dennoch für platziert: „Das ist ein Signal, dass die Bundesregierung bei ihrer neuen Politikberatung mehr Disziplin gegenüber dem Auftraggeber verlangt“, sagte er der taz.

Die Reaktion des DIW-Chefs ist ein Vorgeschmack auf mögliche Konsequenzen. „Es ist die vornehmste Aufgabe des Institutspräsidenten, sich hinter seine Mitarbeiter zu stellen“, meint Gustav Horn, Chef des Düsseldorfer IMK, der als ehemaliger DIW-Mann „auch regelmäßig Anrufe aus den Ministerien“ erhielt. Früher sei „völlig klar“ gewesen, dass die Vorgesetzten ihre Leute schützten – wie es auch der RWI-Chef getan habe. „Zimmermann ist viel stärker in die Beratungsaufträge der Bundesregierung verstrickt als der RWI-Chef“, sagt Hickel. „Wer so in der Struktur drinhängt, macht sich abhängig.“ BEATE WILLMS