„Totalüberwachung schon möglich“

Von wegen saubere Terrorbekämpfung: Der Datenschutzbeauftragte Schaar prangert in seinem Jahresbericht schwere Gesetzesverstöße der Behörden an. Er wundert sich aber auch über den leichtsinnigen Umgang junger Leute mit ihren Daten

AUS BERLIN VEIT MEDICK

Der Datenschutzbeauftragte Peter Schaar hat schwere Vorwürfe gegen das Ende 2004 eingerichtete Gemeinsame Terrorabwehrzentrum (GTAZ) und deutsche Sicherheitsbehörden erhoben. Bei einer Kontrolle von Maßnahmen zur Terrorabwehr im Oktober 2005 habe er „schwerwiegende datenschutzrechtliche Verstöße“ festgestellt, sagte Schaar gestern bei der Vorstellung seines Tätigkeitsberichts in Berlin. So hätten Bundeskriminalamt und Bundespolizei an den Verfassungsschutz rund hundert Datensätze von „ganz normalen Bürgerinnen und Bürgern“ übermittelt, die für die Terrorabwehr irrelevant seien.

Die betroffenen Personen seien zuvor vielleicht wegen einer Trunkenheitsfahrt aufgefallen, aber nie wegen Nähe zum Terrorismus. Erst nach seiner Beanstandung habe der Verfassungsschutz diese Daten gesperrt. Genauere Angaben machte Schaar unter Verweis auf seine Geheimhaltungspflicht nicht.

Schaar nutzte die Vorstellung seines Tätigkeitsberichts zu einer Abrechnung mit den sicherheitspolitischen Plänen der Bundesregierung. Die Koalition habe „sträflich vernachlässigt“, das Gleichgewicht zwischen dem Schutz vor Terror und Kriminalität und dem Schutz vor „Ausforschung, Registrierung, Manipulation und Missbrauch“ zu erhalten. Neue technische Möglichkeiten würden zunehmend auf Kosten des Datenschutzes eingesetzt. „Technologisch ist eine Totalüberwachung heute bereits möglich“, sagte Schaar. Eine Modernisierung des Datenschutzrechts sei dringend erforderlich und müsse endlich auf den Weg gebracht werden.

Schaar forderte die Bundesregierung auf, von der geplanten Online-Durchsuchung privater Computer Abstand zu nehmen. Die Diskussion finde derzeit „in einem weitgehend trüben Umfeld“ statt, in dem die Politik noch immer nicht den eigentlichen Zweck und die Zielgruppen definieren könne. Es sei daher zu befürchten, dass „viele unschuldige Personen erfasst werden“. Die von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble vorgeschlagene Speicherung von Fingerabdrücken sei verfassungsrechtlich bedenklich.

Schaar warnte zudem vor unbeabsichtigten Folgen des technologischen Fortschritts. Bei vielen Firmen würden inzwischen die Begehrlichkeiten wachsen, die gesammelten Daten auch für ihre Zwecke zu nutzen. „Wenn ein Einzelner berechenbarer wird, ist das von erheblichem wirtschaftlichem Interesse“, sagte Schaar. Dies gelte vor allem für Telefonunternehmen und Musikindustrie. Zugleich mahnte er besonders die junge Generation bei der Preisgabe ihrer privaten Daten zu stärkerer Vorsicht. Der derzeitige „elektronische Exhibitionismus“ junger Leute in Internetforen und Communitys biete Unternehmen attraktive, kostenfreie Datensammlungen.

In den letzten Jahren hat sich nach Angaben der Datenschützer die Zahl der Eingaben an ihre Behörde fast verdoppelt – das Personal aber wurde nicht verstärkt. Deshalb seien inzwischen „die Grenzen der Belastbarkeit erreicht“, warnt Schaar in seinem Bericht.