Norden muss Klimaschulden anerkennen

Der malaysische Ökonom Martin Khor macht die Industrieländer für die Klimakrise verantwortlich. Daher müssten sie für die Anpassungsmaßnahmen im Süden zahlen und die nötige Technologie zur Verfügung stellen – ohne Patentschutz

MARTIN KHOR, 55, Direktor des Third World Network in Malaysia und Berater in Welthandelsfragen.

INTERVIEW NIKOLAI FICHTNER

taz: Herr Khor, Sie beraten viele Regierungen des Südens. Was empfehlen Sie denen im Vorfeld der Weltklimakonferenz in Bali im Dezember?

Martin Khor: Die Entwicklungsländer sollten zunächst den Klimawandel als ernstes Problem anerkennen. Das ist gar nicht so einfach, denn viele andere Probleme wie Hunger, Aids oder Wirtschaftskrisen erscheinen dort viel dringender. Aber durch die Berichte des Weltklimarats (IPCC) haben die Entwicklungsländer jetzt endlich verlässliche Informationen darüber, was sie zu erwarten haben.

In den IPCC-Verhandlungen vergangene Woche in Bangkok forderten China, Brasilien und Indien, dass der Weltklimarat erst mal auflistet, wer für das überschüssige CO 2 in der Atmosphäre verantwortlich ist. Was soll das bringen?

Die reichen Länder sind für die Klimakrise verantwortlich, und darum müssen sie auch haftbar gemacht werden. Die Daten sind wichtig, um die historischen Klimaschulden der Länder des Nordens aufzuzeigen. Die armen Länder könnten sie dann in die Klimaverhandlungen einbringen und Forderungen stellen. Selbst sollten sie sich jedoch nicht auf verbindliche Emissionsziele einlassen.

Aber auch die Entwicklungsländer werden etwas tun müssen. Laut IPCC haben wir nur noch 8 Jahre, um die weltweiten Emissionen zu senken.

Der Norden muss deswegen endlich handeln. Die Logik des Kioto-Protokolls ist ja, dass die reichen Länder voranschreiten und die Entwicklungsländer erst später einsteigen. Aber die Industrieländer haben bisher nicht einmal ihre Reduktionsverpflichtungen von Kioto eingehalten – und die waren wirklich nicht besonders ehrgeizig. Unter diesen Umständen haben die Industrieländer kein moralisches Recht, die Entwicklungsländer um irgendetwas zu bitten.

Unter welchen Umständen sollte der Süden denn etwas beitragen müssen?

Nur unter zwei Bedingungen: Erstens muss der Norden einsehen, dass er mehr tun muss als bisher. Zweitens muss er seine historischen Klimaschulden anerkennen.

Und die reichen Länder sollen diese Klimaschulden jetzt zurückzahlen?

Genau. Die meisten armen Länder haben nicht das Geld für die Anpassung an den Klimawandel. Die Industrieländer sollten in einen globalen Fonds einzahlen, aus dem die Entwicklungsländer ihre Anpassungsmaßnahmen finanzieren können. Daneben brauchen wir einen Technologiefonds, um die Forschung zu finanzieren für erneuerbare Energien, effizientere Maschinen, Häuser und Fahrzeuge und modernere Landwirtschaftstechnik.

Viele klimafreundliche Technologien gibt es ja schon heute.

Aber nicht in den Entwicklungsländern. Die Frage ist doch: Wie können wir es schaffen, dass bestehende Umwelttechnik auch weltweit verbreitet wird? Hier haben wir ein Problem mit dem Patentschutz. Patentgeschützte Umwelttechnik ist meist viel zu teuer für Entwicklungsländer oder gar nicht verfügbar. Ein Patent läuft 20 Jahre. Wenn wir den Klimawandel stoppen wollen, haben wir aber keine 20 Jahre.

Gerade in Deutschland heißt es, der Vorsprung unserer Unternehmen bei der Umwelttechnik sichert unseren Wohlstand.

Dieses Argument ist unethisch. Wir sollen uns zu Klimaschutz verpflichten, und ihr wollt damit Gewinne machen? Das hat nichts mit Klimagerechtigkeit zu tun. Das ist eine Politik, die das Klimathema ausnutzt.

Aber um das Klima zu retten, braucht man teure Forschung und Entwicklung. Und Anreize dafür schafft nun mal die Aussicht auf ein Patent.

Natürlich müssen Unternehmen ihre Forschungskosten refinanzieren können. Ihr könnt eure Patente in Deutschland und den anderen Industrieländern ja auch behalten. Das reicht als Anreiz, denn für Unternehmen sind das die relevanten Märkte. Aber erlaubt bitte Indien, Malaysia oder Mali, eure Technologie ohne Patente zu nutzen.

Das Thema Patentschutz steht tatsächlich auf der Agenda des G-8-Gipfels in Heiligendamm. Aber es scheint eher um eine Verschärfung zu gehen.

Mit dem Slogan „Reclaim the Climate“ wollten die Teilnehmer des McPlanet-Klimakongresses die Deutungshoheit über das Klimathema zurückgewinnen. Knapp 2.000 Umweltaktive diskutierten von Freitag bis Sonntag in Berlin über ein „Klima der Gerechtigkeit“. Den Veranstaltern um Attac, den Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), den Evangelischen Entwicklungsdienst, Greenpeace und die Heinrich-Böll-Stiftung ging es darum, „ökologische und soziale Fragen zusammenzudenken“, so Barbara Unmüßig von der Böll-Stiftung. Besonders kritisierte sie die in Deutschland geplanten neuen Kohlekraftwerke und forderte „eine massive Mobilisierung an jedem einzelnen Standort“. Der Kongress endete mit einer gemeinsamen Erklärung, die gestern am Kanzleramtszaun übergeben wurde. Darin heißt es: „Ambitionierter Klimaschutz ist nur machbar, wenn Chancen und Lasten gerecht verteilt werden.“ Die Erklärung ruft zu zwei Großdemonstrationen für ein Klima der Gerechtigkeit auf: am 2. Juni in Rostock zum G-8-Gipfel und am 8. Dezember in Berlin anlässlich der Weltklimakonferenz. NF

Wenn die G 8 nicht bereit sein sollten, eine Ausnahme wenigstens für Klimatechnik zu machen, dann werden wir den Regierungen des Nordens sagen: Ihr nehmt den Klimawandel nicht ernst! Wie könnt ihr von Entwicklungsländern erwarten, die Emissionen zu senken, wenn sie nicht die Technologien dazu haben und ihr nicht bereit seid, sie mit ihnen zu teilen?

Angenommen, der Norden erfüllt all Ihre Bedingungen. Verpflichtet sich der Süden dann auch zu einer Emissionsverminderung?

Wenn der Norden seine eigenen Verpflichtungen glaubwürdig erfüllt und dem Süden hilft, sollte auch der Süden eigene Aktionspläne entwickeln. Das würde dann so funktionieren: Wenn ein Entwicklungsland Geld aus dem globalen Klimatopf bekommt, muss es mit diesem Geld auch seine Klimabilanz verbessern. Insgesamt sollten Emissionsreduzierungen im Süden immer abhängig vom Wachstum sein.

Sie wollen also Emissionsspielraum lassen für weiteres Wirtschaftswachstum.

Wenn wir vom Norden lernen können, wie man wachsen kann, ohne dass die Emissionen mitwachsen, dann sollten wir das so schnell wie möglich umsetzen.

Hat das Klimathema die Nord-Süd-Beziehungen verändert?

Ja, wir lernen, dass wir in einer einzigen Welt leben – zumindest was die Umwelt angeht. Sozial und wirtschaftlich leben wir allerdings immer noch in zwei oder sogar drei Welten.