Gegen Dumping

VON CHRISTIAN RATH

Im Streit um die Folgen der Globalisierung zeichnet sich vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) ein Erfolg der Gewerkschaften ab. Gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen sollen auch gegen Niedriglöhne möglich sein, die im EU-Ausland gelten. Diese Position vertrat gestern Generalanwalt Paolo Mengozzi in seinem Schlussantrag. Meist folgt der EuGH den Gutachten der unabhängigen Generalanwälte.

Konkret ging es um das lettische Bauunternehmen Laval, das 2004 mit lettischen Bauarbeitern im schwedischen Ort Vaxholm bei Stockholm eine Kaserne zu einer Schule umbauen wollte. Die schwedischen Gewerkschaften wollten Dumpinglöhne verhindern und forderten für ihre lettischen Kollegen die Zahlung schwedischer Löhne in Höhe von rund 16 Euro pro Stunde. Das lettische Unternehmen war angesichts der Drohungen mit Boykottmaßnahmen zwar bereit, den entsandten Arbeitern höhere Löhne als in Lettland üblich zu zahlen, wollte aber über 9 Euro pro Stunde nicht hinausgehen.

Als es zu keiner Einigung kam, blockierten die schwedischen Baugewerkschafter alle Baustellen von Laval. Die schwedische Elektriker-Gewerkschaft zeigte sich solidarisch und unterbrach alle Installationsarbeiten auf den Laval-Baustellen. Nach schwedischem Recht sind das zulässige Maßnahmen, um eine Firma dazu zu bringen, einem Tarifvertrag beizutreten. Das lettische Unternehmen gab allerdings auf, die Bauarbeiter kehrten in ihr Heimatland zurück. Das Engagement von Laval in Schweden rentiere sich nur, so die Firma, wenn sie nicht an die hohen schwedischen Löhne gebunden sei.

Ein schwedisches Gericht legte den Fall jetzt dem EuGH vor, um zu klären, ob solche Kampfmaßnahmen mit EU-Recht vereinbar seien. Immerhin gilt in der EU die Dienstleistungsfreiheit, die es jedem Unternehmen aus einem EU-Land erlaubt, auch in anderen EU-Staaten tätig zu werden.

Generalanwalt Mengozzi stellte sich jetzt weitgehend auf die Seite der schwedischen Gewerkschaften. Die nach schwedischem Recht zulässigen Kampfmaßnahmen verstoßen, so sein Schlussantrag, nicht gegen EU-Recht, weil sie im allgemeinen Interesse liegen. Dazu rechnete Mengozzi vor allem den Schutz der Arbeitnehmer.

Gewerkschaften dürften, so Mengozzi, grundsätzlich also auch mit Blockaden oder Solidaritätsstreiks Firmen aus anderen EU-Staaten dazu zwingen, ortsübliche Löhne zu zahlen. Unverhältnismäßig seien Kampfmaßnahmen nur dann, wenn Löhne und Arbeitsbedingungen im Herkunftsland praktisch gleichwertig sind.

Dieses Urteil ist aber nur bedingt auf die Situation in Deutschland übertragbar. Denn während das deutsche Entsendegesetz für Baufirmen aus dem Ausland einen Mindestlohn festlegt, hat Schweden hierauf ausdrücklich verzichtet. Auch bei ausländischen Unternehmen soll die Lohnhöhe nicht vom Staat festgelegt, sondern von den Tarifparteien ausgehandelt werden.

Mengozzi schränkt seine Lösung sogar noch weiter ein. Gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen gegen die Niedriglöhne ausländischer Firmen seien nur dann zulässig, „wenn ein Mitgliedsstaat nicht über ein System der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen verfügt“. In Deutschland können Tarifverträge jedoch auf die ganze Branche, also auch auf Firmen, die nicht dem jeweiligen Arbeitgeberverband angehören, übertragen werden. Zuständig für solche Erklärungen ist der Wirtschaftsminister, der aber die Zustimmung von Arbeitgebern und Gewerkschaften braucht. Das schwedische System ist zumindest dort, wo es starke Gewerkschaften gibt, effizienter gegen Dumpinglöhne als die deutsche Hilfe vom Staat. Ob auch die EuGH-Richter das schwedische Tarifmodell für zulässig erklären, wird sich aber erst in einigen Monaten zeigen.