G8-Erklärung: Gewerkschaften im Gipfelrausch

DGB-Chef Sommer frohlockt: Sozialstandards sind wieder oben auf der Agenda. Doch die Billiglohnländer fürchten um ihre Vorteile.

G8-Erklärung als Lieblingsdokument: der DGB-Vorsitzende Michael Sommer Bild: dpa

Michael Sommer strahlt als hätte er gerade eigenhändig die neoliberale Globalisierung abgeschafft. Auf der Jahreskonferenz der Internationalen Arbeitsorganisation ILO in Genf bekommt der DGB-Vorsitzende viel Lob von seinen Gewerkschaftskollegen. Toll habe er das gemacht mit den G8, sagen sie ihm. Und auch Sommer nutzt jeden Augenblick, um aus seinem neuen Lieblingsdokument vorzulesen: der G8-Erklärung von Heiligendamm.

Während viele Umweltschützer und Entwicklungshelfer frustriert sind von den Ergebnissen des Gipfels fühlen sich die Gewerkschafter als Sieger. Monatelang haben sie die Bundesregierung bearbeitet mit ihrem Anliegen, der "sozialen Dimension der Globalisierung". Herausgekommen sind ein paar Sätze, die Sommer einen "Paradigmenwechsel" nennt. Am besten gefällt ihm Absatz 23 der Heiligendamm-Erklärung. Dort steht: "Wir verpflichten uns ferner, in bilateralen Handelsabkommen und in multilateralen Gremien menschenwürdige Arbeit und die Einhaltung der Grundprinzipien der ILO-Erklärung zu fördern."

Mit den Grundprinzipien sind die so genannten Kernarbeitsnormen gemeint: das Verbot von Zwangs- und Kinderarbeit, die Freiheit, sich in Gewerkschaften zu organisieren und die Nichtdiskriminierung am Arbeitsplatz. Als Menschenrechte gelten diese Prinzipien schon lange. Ihre Verletzung wurde allerdings bislang kaum so geahndet, dass es den Staaten weh tat. Das könnte sich ändern, wenn die Arbeitsnormen Einzug in die Welthandelsorganisation WTO und in bilaterale Handelsabkommen der G8-Staaten halten. Denn dann gilt das Prinzip: Kein Handel ohne Arbeitsstandards. Wird ein Produkt etwa im Ausland mit Kinderarbeit hergestellt, dann muss man es nicht auf den eigenen Markt lassen. Vom Boykott bis zu Strafzöllen - das WTO-Instrumentarium sieht empfindliche Sanktionen vor.

Bei der Welthandelskonferenz 1999 in Seattle war das Thema Arbeitsnormen so kontrovers, dass es die Konferenz platzen liess. Der Verdacht der Entwicklungsländer: Die Länder des Nordens wollen die Arbeitsstandards nur als Hebel, um ihre Märkte vor den Billigprodukten des Südens abzuschotten. Seitdem ließ man das Thema ruhen.

Entwicklungsökonomen empfinden den neuen Vorstoß der G8 als anmassend: "Niemand hat etwas gegen Kernarbeitsnormen - aber man kann doch nicht den Entwicklungsländern ihre Marktchancen kaputt machen", sagt Heiner Flassbeck, der für die UN-Wirtschaftsorganisation Unctad Entwicklungsländer berät. Sein Argument: Wenn die Ausgaben für soziale Sicherheit stärker steigen als die Produktivität eines Landes, dann schadet das der Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt.

David Dorkenno vom Gewerkschaftsbund Ghana hätte nichts dagegen, wenn die Kernarbeitsnormen auch in seinem Land gelten würden. "Wenn sich die WTO dafür öffnet, würde das der Gewerkschaftsfreiheit und dem Kampf gegen Kinderarbeit in meinem Land sehr helfen", sagt er. In den Ländern des Südens findet langsam ein Umdenken statt. Der stellvertretende Generaldirektor der ILO, Friedrich Buttler, hat bemerkt: "Früher konnte man über das Thema Arbeitsstandards und Handel nicht einmal diskutieren - heute geht das." Ein Grund dafür ist China. Denn nicht nur in den USA und Europa, auch in Entwicklungsländern macht man sich Sorgen vor der chinesischen Billigkonkurrenz. Dorkenno glaubt: "Die G8 machen das, weil sie dann die chinesischen Produkte raushalten koennen, die mit Kinderarbeit hergestellt worden sind." DGB-Chef Sommer dagegen glaubt nicht, dass der Protektionismus-Vorwurf zutrifft. Er sagt: "Die G8 haben erkannt, dass die Globalisierung in einer Legitimationskrise ist. Jetzt wollen sie diese Krise ueberwinden."

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