Doch kein Klassenprimus

Die erste Biografie über Stoiber entzaubert Mythen: Er war weder Einserjurist noch verhinderter Fußballstar. Politisch Brisantes ist nichts dabei, über die Privatperson Stoiber erfährt man wenig

von LUKAS WALLRAFF

Edmund Stoiber was not amused. Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef reagierte unwirsch, als er auf seine Biografie angesprochen wurde. „Ist nicht von mir autorisiert“, echauffierte sich Stoiber, „da wird ein Geschäft auf meine Kosten gemacht!“ Ach, du lieber Himmel, hat der Journalist Peter Köpf endlich Stoibers geheime Laster zu Tage gebracht? Aus alten Liebesbriefen oder gar aus Stoibers Stasi-Akten zitiert? Die Spannung steigt. „Die erste Biografie über Edmund Stoiber“, heißt es in der Verlagsankündigung, „beantwortet all das, was Sie schon immer über Stoiber wissen wollten.“

Gemach, gemach. Der Landesvater kann sich beruhigen. Und der Leser sollte nicht zu viel erwarten. Wer aufregende Enthüllungen erhofft, die Stoibers mögliche Kanzlerkandidatur noch gefährden könnten, wird enttäuscht sein – was man Köpf nicht unbedingt vorwerfen kann. Er hat einfach nur eine solide Biografie geschrieben. Was der Verlag daraus macht, hat er nicht zu verantworten. Was man Köpf vorwerfen kann, ist, dass er nach fast dreihundert Seiten über Stoiber zu einer Charakterisierung kommt, die man ähnlich schon oft gelesen hat: „Er ist ein Technokrat. Ein Aktenfresser. Der Klassenprimus.“ Mit diesen aufgewärmten Allgemeinplätzen entwertet Köpf seine eigene Arbeit. Denn der Verleger Vito von Eichborn hat Recht, wenn er Köpf bescheinigt, „in bewundernswerter Gründlichkeit recherchiert“ zu haben. Wenn Eichborn sagt, er „als Preuße“ habe vieles erfahren, was er noch nicht wusste.

Auch vielen Bayern dürfte neu sein, dass ihr Ministerpräsident gar kein „Einserjurist“ war, wie immer wieder berichtet wird. Dass er nicht mal besonders gut in der Schule war, geschweige denn ein Primus, und dass er sogar eine Klasse wiederholen musste. Und dass er auch kein „verhinderter Fußballstar“ war. „So guat war er au ned“, berichtet einer der vielen Jugendfreunde Stoibers, die Köpf befragt hat. Die Nachforschungen in Oberbayern haben sich gelohnt. So überrascht es, zu hören, dass der kleine Edmund in der Schule oft „mit eher linken Sprüchen“ provoziert haben soll und dass ein Klassenkamerad sagt, er hätte „nie gedacht, dass der einmal bei der CSU landet“.

Warum aus dem Studenten ein Politiker wurde, erklärt Köpf so: Stoiber habe die Intoleranz des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) gestört. Einmal hätten ihn die Linken sogar „aus dem Audimax hinausgezischt, weil ich widersprochen und mich als RCDS-Mann ausgewiesen habe“. Liest man diese Passagen über die 68er-Jahre, glaubt man eher zu verstehen, weshalb Stoiber heute noch verbissener als andere gegen die grünen „Lebensabschnittsdemokraten“ wettert. Stoibers Aufstieg vom CSU-Generalsekretär zum Ministerpräsidenten beschreibt Köpf kenntnisreich und mit jener „Akribie“, die er Stoiber unterstellt. Manchmal ist es auch bei ihm zu viel des Guten. Die unzähligen, mühsam zusammengetragenen Details der Amigo-, Zwick- und LWS-Affären gehören nicht in eine Biografie – zumindest nicht, wenn sie nichts Neues liefern. Viel interessanter ist, wie sich Stoiber immer wieder aus den Affären herausgezogen hat. Seine Strategie ist die Vorwärtsverteidigung. Er wartet nicht, bis ein Untersuchungsausschuss Peinlichkeiten aufdeckt. Er geht selbst an die Presse – und belastet, wenn es sein muss, auch politische Freunde wie die Familie Strauß.

Am stärksten ist Köpf, wenn er Stoibers Verhältnis zu Strauß beschreibt. Hier liefert er mehr als nur das gängige Klischee vom karrieregeilen Kofferträger. „Da habe ich einen Nerv getroffen“, glaubt Köpf, „da muss noch Schmerz da sein.“ Die Nähe zu Strauß muss für Stoiber ein Segen gewesen sein, weil er nur so nach oben kam. Und doch ein Fluch, weil er immer wieder gedemütigt wurde. Während Strauß feierte, soff und das Leben genoss, machte sein Staatssekretär die Arbeit. Wenn Stoiber mal zu den Gelagen dazustieß, dann nur, weil Strauß wichtige Probleme entscheiden musste. „Mensch, der Stoiber stört die Gemütlichkeit“, hätten die anderen dann gespottet. „Lass doch den Mann jetzt endlich mal in Ruhe, der muss doch auch mal ausspannen. Hör doch mal auf, kannst du nicht mitfeiern?“

Wie viel von Stoibers Erzählungen nun wiederum Legendenbildung ist, um sich vom Amigosystem von Strauß zu distanzieren – das könnten höchstens Zeitzeugen erklären. Die aber hat auch Köpf nicht zum Reden gebracht. Keiner wolle die Gunst des Landesvaters verlieren, vermutet Köpf, Stoibers System sei weniger eines der Amigos als eines der Angst. Angst muss auch Stoiber haben, glaubt Köpf, denn „jeder freut sich, wenn der Streber eine Sechs schreibt. Alle warten auf solch einen Tag. Schadenfreude wäre ihm aus der eigenen Partei sicher, wenn er nur stolperte.“ Momentan sieht es nicht danaus.

Momentan strebt Stoiber zu Höherem. In der Union ist kein anderer Kanzlerkandidat in Sicht (höchstens eine Kandidatin), und in den Umfrageduellen mit Schröder holt Stoiber langsam, aber sicher auf. Laut ARD-Bericht vom Freitag würden schon 39 Prozent Stoiber wählen. Angesichts dieser Aussichten hätte man natürlich gern erfahren, ob Stoiber überhaupt will. Auch Köpf hat dies nicht erfahren.

Am schwächsten ist das Buch, wenn es um den Menschen Stoiber geht. „Außer dem Volkssport Fußball scheint Stoiber keinen Lastern zu frönen“, so Köpf. Weil er nichts über den privaten Stoiber herausgefunden hat, behauptet er einfach: „Ein Privatleben kennt er nicht.“ Weil Stoibers „Mangel an Emotionalität“ auch seine Berater bemerkt hätten, zeige er sich „jetzt auf Plakaten zusammen mit seiner Frau. Und bleibt doch kalt.“ Zumindest für Köpfs Buch trifft die Beschreibung zu. Die Annäherung an Stoibers Person, seine Sehnsüchte und Schwächen gelingt nur selten. Schade. Aber Stoibers zweite Biografie muss ja auch noch Neues bieten.

Peter Köpf: „Stoiber. Die Biografie“. Europa Verlag, 272 Seiten, 36,50 DM