Kampf um zwei Grad Celsius

Der Klimawandel lässt sich nicht stoppen. Um Extremfolgen zu verhindern und Anpassung zu ermöglichen, muss die Erderwärmung stabilisiert werden

Ein solches Hurrikan-Jahr hat es seit Menschengedenken nicht gegeben. Gleich reihenweise fielen die Rekorde: Noch nie seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1851 gab es im Atlantik so viele tropische Wirbelstürme (bis heute 23), noch nie wuchsen so viele zur vollen Hurrikanstärke heran (13), und noch nie gab es gleich drei Hurrikane der schlimmsten Kategorie 5. Noch nie wurde ein derart intensiver Hurrikan gemessen wie „Wilma“, mit nur 882 Millibar (mb) Zentraldruck am 19. Oktober. Und mit „Vince“ entstand erstmals ein Tropensturm nahe an Europa; er entwickelte sich bei Madeira am 9. Oktober zum Hurrikan und traf, zum Glück in abgeschwächter Form, in Spanien auf Land.

Bereits im Jahr 2004 waren ungewöhnliche Dinge geschehen. Nicht nur suchten erstmals vier Hurrikane in einem Jahr Florida heim und wurde erstmals Japan von zehn Taifunen getroffen, wie die Hurrikane im Pazifik genannt werden. Für die Klimatologen noch interessanter war die Tatsache, dass im März 2004 erstmals im Südatlantik ein Hurrikan erschien: „Katrina“. Er entstand genau in einem Gebiet, wo eine Simulationsrechnung des britischen Hadley Centre zuvor die Entstehung von künftigen Hurrikanen durch die globale Erwärmung vorhergesagt hatte.[1]

Doch Hurrikane waren nicht die einzigen Extreme des Jahres 2005. Im Juli wüteten ausgedehnte Waldbrände in Portugal und Spanien. Im August führten Rekordniederschläge in den Alpen zu Überschwemmungen. Der Schweizer Wetterdienst meldete ein „Jahrhundertereignis“: An vielen seiner Wetterstationen wurden Niederschlagsmengen gemessen, wie es sie in diesem Ausmaß noch nie gegeben hatte. Im September meldete die Nasa, dass die Eisdecke der Arktis so klein war wie nie zuvor, seit Satelliten sie beobachten.[2]Seit 1979 ist die arktische Meereisfläche um 20 Prozent geschrumpft. Neueste Satellitenmessungen belegen auch einen globalen Anstieg des Meeresspiegels um 3 cm pro Jahrzehnt – schneller als erwartet. Und 2005 wird – wenn nichts sehr Außergewöhnliches mehr geschieht – das weltweit wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen vor 150 Jahren. Die bislang wärmsten Jahre waren 1998, 2002, 2003, 2004 und 2001. Haben die warmen Temperaturen etwas mit den extremen Stürmen, Dürren und Überschwemmungen zu tun? Sind die warmen Temperaturen vom Menschen verursacht?

Betrachten wir zunächst die zweite und einfachere der Fragen. Auf sie hat die Wissenschaft eine gut gesicherte Antwort: Für die derzeit ablaufende globale Erwärmung ist überwiegend der Mensch verantwortlich. Zu diesem Schluss sind alle fachlichen Gremien gekommen, die sich in den letzten Jahren mit dieser Frage beschäftigt haben. Das Wichtigste ist das von den Vereinten Nationen eingerichtete Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), das alle fünf bis sieben Jahre in einem ausführlichen Bericht den Stand der Fachliteratur zusammenfasst.[3]Doch auch viele andere Organisationen, etwa die American Geophysical Union, die European Geosciences Union oder die World Meteorological Organisation, kommen zum gleichen Schluss. In der Fachwelt ist die Diskussion um die Ursache der globalen Erwärmung vorbei – nur in den Medien versuchen noch einige Außenseiter sie immer wieder aufzuwärmen.

Die Menschheit hat, vor allem durch Verbrennung fossiler Brennstoffe, die Menge an Kohlendioxid in der Atmosphäre bislang um ein Drittel erhöht, von 280 ppm auf 380 ppm (parts per million). Eisbohrungen aus der Antarktis belegen übrigens, dass derart hohe Werte seit mindestens 650.000 Jahren nicht aufgetreten sind. Kohlendioxid ist – neben Wasserdampf, dessen Konzentration wir nicht direkt beeinflussen können – das wichtigste Treibhausgas. Seine Wirkung auf das Klima ist seit dem 19. Jahrhundert vielfach belegt – durch Messungen im Labor und auf der Erde und nicht zuletzt durch die Klimageschichte über viele Jahrmillionen, bei der Phasen hoher Kohlendioxidkonzentration mit dem Fehlen von Eismassen einhergehen. Die Aufheizung des Klimas der letzten Jahrzehnte ist auch in ihrem Ausmaß durch die erhöhte Konzentration der Treibhausgase problemlos erklärbar. Die Temperaturen der Nordhalbkugel (für die Südhalbkugel reicht die Datenabdeckung nicht aus) sind inzwischen sehr wahrscheinlich höher als je zuvor im vergangenen Jahrtausend – dies zeigen eine ganze Reihe von Rekonstruktionen übereinstimmend. Eine halbwegs plausible alternative Erklärung für die beobachtete Erwärmung gibt es nicht: Alle natürlichen Faktoren, die in der Erdgeschichte zu Klimaschwankungen geführt haben, scheiden mangels Trend in den letzten Jahrzehnten aus. Dies gilt etwa für die Sonnenaktivität, die seit 1940 nicht zugenommen hat.

Hat die zunehmende Dürre im Mittelmeerraum, die dort zu den schweren Waldbränden diesen Sommer geführt hat, etwas mit der globalen Erwärmung zu tun? Solche regionalen Phänomene, besonders wenn sie Niederschläge betreffen, können wesentlich komplexere Ursachen haben und sind daher weniger leicht zu verstehen als das Verhalten der globalen Mitteltemperatur. Daher ist die Antwort hier weniger gut gesichert. Dennoch ist wachsende Trockenheit im Mittelmeerraum eine der relativ robusten, in Simulationsrechnungen mit unterschiedlichen Klimamodellen immer wieder auftauchenden Folgen der Erderwärmung. Zu diesem Schluss kam auch das europäische Mice Projekt, das Wetterextreme in Europa untersucht und in diesem Frühjahr seinen Abschlussbericht vorgelegt hat.[4]

Ähnliches gilt für die Niederschlagsrekorde, wie sie im Alpenraum in letzter Zeit immer häufiger auftreten. Die Situation in diesem August ähnelte dabei in mancher Hinsicht der der Elbeflut vom August 2002, bei der mit 353 mm in Zinnwald-Georgenfeld die höchste je in Deutschland über 24 Stunden gemessene Niederschlagssumme verzeichnet wurde. Es gibt einen einfachen physikalischen Grund dafür, dass ein wärmeres Klima stärkere Extremniederschläge mit sich bringt: Mit jedem Grad Erwärmung kann die Luft 7 Prozent mehr Wasser halten. Tritt eine für Starkregen besonders günstige Wetterlage ein, wie in den genannten Fällen die Vb-Wetterlage (ein von Osten über Europa ziehendes Tief, d. R.), dann können die Folgen in einem wärmeren Klima entsprechend schlimmer ausfallen. Ähnlich wie bei der Dürre gilt hier: Ein Zusammenhang der Überschwemmungen mit der globalen Erwärmung ist wissenschaftlich zwar nicht gesichert, aber plausibel und zumindest wahrscheinlich.

Ein weiteres Extrem sind Hitzewellen – hier wird schon der Laie mit Recht vermuten, dass bestimmte Sommertemperaturen – etwa 35 Grad Celsius – in einem wärmeren Klima häufiger überschritten werden. Niemand hätte jedoch bereits heute einen derart extremen Sommer wie 2003 erwartet, der in Europa etwa 30.000 Menschenleben forderte und damit hier die schwerste (aber inzwischen fast vergessene) Naturkatastrophe seit Menschengedenken war. In allen Altersgruppen ab 45 Jahren war die Sterblichkeit signifikant höher.[5]Der bislang aufgetretene Erwärmungstrend um rund 1 Grad Celsius in der betroffenen Region kann einen derartigen „Ausreißer“ nur teilweise erklären – hier besteht noch Forschungsbedarf.

Die extremen Hurrikane in diesem Sommer haben viele Menschen aufgerüttelt. Der Spiegel wusste schon kurz nach „Katrina“: „Zahl und Stärke der Hurrikane nehmen zu – doch mit der globalen Erwärmung hat das nichts zu tun.“

Die Einschätzung der meisten Wissenschaftler ist eine andere: Ein Zusammenhang zwischen Stärke der Hurrikane und der globalen Erwärmung ist zumindest wahrscheinlich. Dass wärmere Meerestemperaturen zu stärkeren Hurrikanen führen, ist vielfach sehr gut belegt und wird bei der Vorhersage routinemäßig berücksichtigt – dies ist Konsens unter den Hurrikan-Experten. Dass andererseits die globale Erwärmung auch vor den Ozeanen nicht Halt macht ist Konsens unter den Klimaforschern – die Meerestemperaturen sind im Mittel um ein halbes Grad gestiegen, in den Tropen ebenso wie im globalen Durchschnitt. Messdaten zeigen einen Anstieg der Hurrikan-Energie weltweit, parallel zur Erhöhung der Meerestemperatur – beide sind derzeit auf dem höchsten Niveau seit Beginn der Messungen.[6]Und die Hurrikan-Vorhersagemodelle sagen einen Anstieg der Hurrikanstärke in Szenarien mit globaler Erwärmung voraus – die Zahl der Hurrikane der Kategorie 5 verdreifacht sich dort.[7]

Dennoch gibt es in den USA einige Hurrikan-Forscher, die das extreme Jahr 2005 auf einen natürlichen Zyklus zurückführen, und zwar auf eine Schwankung der Atlantikströmung (manchmal das „atlantische Förderband“ genannt). Dieser Zyklus könnte, zusätzlich zur globalen Erwärmung, im Atlantik in der Tat zu dem schlimmen Jahr 2005 beigetragen haben. Ein solcher Zyklus kann aber weder erklären, wieso die Temperaturen jetzt höher sind als je zuvor seit Beginn der Messungen (und als im letzten Maximum dieses Zyklus um 1950), noch kann er den Anstieg im Pazifik erklären – auch dort, wo die Mehrzahl der Tropenstürme auftritt, zeigt ihre Energie seit Jahrzehnten einen klaren Aufwärtstrend.

Das Klimaproblem ist lösbar. Zwar lässt sich der Klimawandel nicht sofort stoppen: Wenn wir von heute auf morgen die Emissionen von Kohlendioxid drastisch beschneiden würden, um 60 bis 70 Prozent, dann wäre zwar der weitere Anstieg der CO2-Konzentration gestoppt, die globale Temperatur würde aufgrund der Trägheit im System aber in den kommenden Jahrzehnten noch etwa ein halbes Grad weiter ansteigen. Doch dies ist politisch natürlich kein mögliches oder wünschenswertes Szenario, wäre es doch mit drastischen wirtschaftlichen Einbrüchen verbunden.

Realistisch und ohne größere wirtschaftliche Einbußen erreichbar ist jedoch die Begrenzung der globalen Erwärmung auf insgesamt 2 Grad Celsius – also rund das Dreifache des bereits in den abgelaufenen hundert Jahren erlebten. Damit ließe sich der Klimawandel in Grenzen halten, bei denen die Folgen bei geeigneten Anpassungsmaßnahmen hoffentlich noch beherrschbar blieben. Dieses 2-Grad-Ziel hat der Wissenschaftliche Beirat „Globale Umweltveränderungen“ der Bundesregierung 1995 in einem Sondergutachten begründet[8]; weiter untermauert wurde es durch die vom britischen Premier Tony Blair im Februar diesen Jahres einberufene Fachkonferenz „Avoiding Dangerous Climate Change“ in Exeter. Das 2-Grad-Ziel ist seit dem Luxemburger Ratstreffen vom Juni 1996 das offizielle (und seither mehrfach bekräftigte) Klimaschutzziel der EU.

Dieses Ziel ist eine Gratwanderung: Es versucht auf der einen Seite zu rasche und drastische Einschnitte bei den Emissionen, auf der anderen Seite die Gefahr drastischer Klimaschäden zu vermeiden. Dieser Grat ist recht schmal: eine Begrenzung der Erwärmung auf deutlich unter 2 Grad Celsius erscheint kaum noch realistisch möglich; eine Erwärmung deutlich über 2 Grad hinaus zuzulassen birgt dagegen große Gefahren. Den Pfad zum 2-Grad-Ziel jetzt konsequent zu verfolgen erhält die Handlungsoptionen für die Zukunft: Die Anstrengungen können in 10 oder 20 Jahren im Lichte neuer Kenntnis nach Bedarf gelockert, fortgesetzt, verschärft werden. Mit jedem Jahr des Nichtstuns schließt sich dagegen die Tür zur Erreichung des 2-Grad-Ziels weiter, und die Gefahr wächst, künftig entweder schlimme Klimaschäden zu erleiden oder drastische und kostspielige Gegenmaßnahmen einleiten zu müssen.

Die von manchen geführte Diskussion um „Anpassung statt Vermeidung“ erweist sich bei näherem Hinsehen rasch als Scheinalternative. In Wahrheit ist beides unerlässlich. Erhebliche Anpassung an den Klimawandel wird auch bei einer Erwärmung um global „nur“ 2 Grad notwendig sein. Und ohne eine Begrenzung des Klimawandels auf 2 Grad wäre eine erfolgreiche Anpassung an den Klimawandel kaum möglich. Würde es global 3, 4 oder gar 5 Grad Celsius wärmer, würden wir Temperaturen erreichen, wie sie es seit mehreren Jahrmillionen auf der Erde nicht gegeben hat. Die Grenzen der Anpassungsfähigkeit würden nicht nur für viele Ökosysteme überschritten. Im Pliozän, vor drei Millionen Jahren, war die globale Temperatur 2 bis 3 Grad höher als heute – und der Meeresspiegel wegen der kleineren Eisschilde 15 bis 25 Meter höher als derzeit. Um das Grönlandeis zu erhalten und einen Anstieg des Meeresspiegels um mehrere Meter zu verhindern (und damit unsere historisch gewachsenen Küstenstädte zu retten), müsste man vermutlich die Temperatur langfristig – im nächsten Jahrhundert – sogar wieder deutlich unter die 2-Grad-Grenze absinken lassen.

Wie kann das 2-Grad-Ziel erreicht werden? Der Anstieg der CO2-Konzentration in der Atmosphäre muss dazu bei etwa 450 ppm gestoppt werden. Bislang haben wir sie bereits um 100 ppm auf 380 ppm erhöht. Bei einem ungebremsten „Weiter so“ würde schon in 25 bis 30 Jahren der Wert von 450 ppm überschritten. Um dies zu verhindern, müssen wir weltweit die Emissionen in den kommenden 50 Jahren um rund die Hälfte senken, also jedes Jahr um etwa einen Prozentpunkt. Das Umweltbundesamt hat dies gerade nochmals bekräftigt und begründet.[9]Technisch-wirtschaftlich ist dies ein nicht unbedingt leichtes, aber doch ohne größere Probleme erreichbares Ziel.

Schwieriger ist es allerdings, ein gemeinsames Vorgehen zum Klimaschutz politisch zu organisieren. Die größten Verursacher und Nutznießer der Kohlendioxidemissionen bekämpfen vehement die notwendigen Maßnahmen. Auf Wirtschaftsebene sind dies maßgebliche Teile der fossilen Energiewirtschaft, die eine Energiewende hin zu dezentralen, erneuerbaren Energiequellen zu verhindern suchen. Auf Länderebene sind dies die Vereinigten Staaten, die sowohl pro Kopf als auch absolut die höchsten Emissionen verursachen und sich nicht an internationale Vereinbarungen wie das Kiotoprotokoll halten wollen. Hier sollte eine „Koalition der Freiwilligen“ um die Europäische Union nicht auf Einsicht der USA warten sondern konsequent voranschreiten, denn Zeit für weiteres Abwarten gibt es nicht. Zumindest die jüngere Generation in den USA wird uns eines Tages dankbar dafür sein.

[1]www.metoffice.com/sec2/sec2cyclone/catarina.html [2]www.nasa.gov/centers/goddard/news/topstory/2005/arcticice_declin e.html [3]www.ipcc.ch [4]www.cru.uea.ac.uk/cru/projects/mice/FINAL_VERSION_MICE_REPORT.pdf [5]Schär, C. and Jendritzky G.,„Hot news from summer 2003.Nature, 2004. 432: S. 559–560. [6]Emanuel, K., „IncreasingDestructiveness of TropicalCyclones Over the Past 30 Years“,Nature, 2005.[7]Knutson, T. R. and Tuleya R. E.,„Impact of CO2-Induced Warmingon Simulated Hurricane Intensityand Precipitation. Journal ofClimate, 2004, 17, S. 3477–3495. [8]www.wbgu.de [9]www.umweltbundesamt.org/fpdf-k/2962.pdf

Fußnoten: