ein buchpreis für die charts
: Mit guten Chancen für den Deutschen Buchpreis 2006: Thomas Hürlimann und Bernd Schroeder

Es ist wieder an der Zeit, Ungewohntes an dieser Stelle zu platzieren, aber nicht allzu Fernliegendes. Vergangene Woche verkündete die Jury für den dieses Jahr zum zweiten Mal verliehenen Deutschen Buchpreis ihre aus 21 Titeln bestehende Longlist, aus der Mitte September sechs Shortlist-Titel gewählt werden. Ziel dieses Preises, der 2004 nach dem Reinfall mit dem „Butt“ erdacht wurde: Bücher deutschsprachiger Autoren ins Gespräch zu bringen, sie lange rotieren zu lassen, daher die lange Liste, und darüber hinaus, so verkündete es das damalige Jurymitglied Bodo Kirchhoff enthusiasmiert, Bücher in die Bestsellerlisten zu bringen, wenigstens den Preisträger. Mit Arno Geigers Familienroman „Es geht uns gut“ gelang das sehr gut, der Roman stand viele Wochen in den Büchercharts.

Nun kann man an der langen Liste manches aussetzen: Es sind etwas viel Frühjahrstitel vertreten, hochkarätige, klar, auch solche, die schon für den Preis der Leipziger Buchmesse in der engeren Wahl standen, mit Ilijas Trojanows „Weltensammler“ gar der Preisträger. Doch gar nicht meckern möchte man darüber, dass jetzt dieser Roman fehlt oder jener Roman. Dazu lässt sich nur sagen: Das ist ja immer so. Und: Hat ein Ernst-Wilhelm Händler das nötig? Ein guter Roman setzt sich immer durch. Solche Kritik ist kleinlich und hat bestenfalls etwas von „Wir wollen auch mitspielen“. Ja, also spielen wir doch auch mit und fragen: Warum nicht Dietmar Dath mit „Dirac“? Warum nicht Jörg-Uwe Albig mit „Land voller Liebe“?

Abgesehen von diesen kritischen Einschüben bietet die lange Liste Gelegenheit, den zukünftigen Bestseller aus dem deutschsprachigen Roman nach Kehlmann und Geiger (und jenseits von Grass und Walser, obwohl: Walsers „Angstblüte“ steht mit auf der Liste) herauszufiltern. Die zehn (!) Frühjahrstitel dürften guten Gewissens ignoriert werden, das wird die Jury nicht wagen, einen solchen zu küren. Ingo Schulze auch nicht, dessen durchaus zu favorisierender Roman „Neue Leben“ stammt gar aus dem Herbst 2005. Martin Walser ebenfalls nicht, dessen „Angstblüte“ ist schon Bestseller.

Bleiben neun Titel, von denen hier ganz spielerisch mal zwei als höchst preisverdächtig eingestuft werden sollen: Zum einen Bernd Schroeders „Hau“ (Hanser), ein Roman oder besser: ein erzählendes Sachbuch über einen Mordfall aus dem Jahr 1906. Der Fall des Karl Hau, der seine Schwiegermutter umgebracht haben soll, war höchst umstritten, der Prozess zweifelhaft, das Urteil wurde eher empört aufgenommen als als gerecht empfunden („lebenslänglich“ statt Todesstrafe). Schroeder hat für sein Buch viel Brief- und Aktenmaterial gesichtet und macht das sehr geschickt: Auf drei Strängen erzählt er das Leben des Karl Hau, und zwar bis zur Tat, dann von Haus Verhaftung in London an, als Prozessbericht gewissermaßen, und schließlich den Verlauf seiner Haftzeit bis zur Begnadigung, das aber als Rücklauf. Ein Kriminalfall, ein historischer dazu, auch eine Liebesgeschichte: Die Bestselleringredienzen sind vorhanden.

Auch bei Thomas Hürlimanns Roman „Vierzig Rosen“ (Amman) findet sich da einiges: Liebe, Alter, Krieg, das osteuropäische Judentum, der Antisemitismus in der Schweiz, die strebsamen Fünfzigerjahre, die Provinz und ihre Eigenheiten. Im Mittelpunkt eine Frau, die einerseits fest an der Seite ihres Mannes steht und seine Karriere vorantreibt. Andererseits ist sie eine überaus talentierte Klavierspielerin, war sie von ihrem Vater für eine große musikalische Karriere vorgesehen. Der Schweizer Autor Hürlimann erzählt die Lebensgeschichte dieser Marie, die 1926 geboren wird, bis in eine nur ungefähre Gegenwart, und zwar weil Marie von ihrem Mann jedes Jahr zum Geburtstag vierzig Rosen bekommt: Für immer vierzig soll sie für ihn sein, für immer jung. Hürlimanns „Vierzig Rosen“ hat viel Walserhaftes, gerade auch weil Hürlimann seine Geschichte immer auf der Grenzlinie zwischen verhaltener Komik, gar Lächerlichkeit, und ernsthafter Tragik erzählt. GERRIT BARTELS