Marine: Landeinsatz vom offenen Meer

Die Bundesregierung will die Marine zum Expeditionskorps machen und stattet sie mit neuen Fregatten aus. Vom Bau der Schiffe profitieren die Werften, von ihrem Einsatz auch Ölkonzerne.

Korvettenbesatzung: Demnächst als Beschützer der Ölkonzerne aktiv Bild: dpa

HAMBURG taz Sie versammelten sich zwar und konferierten einige Stunden nach parlamentarischem Brauch. Aber ebenso gut hätten die 45 Mitglieder im Haushaltsausschuss des Bundestages Schiffeversenken spielen können. Der Kauf von vier Fregatten des neuartigen Typs F 125 für die deutsche Marine stand am 20. Juni 2007 auf ihrer Tagesordnung. Realiter war die Entscheidung über das milliardenschwere Rüstungsprojekt längst gefallen. Der Führungsstab der Streitkräfte im Verteidigungsministerium konnte nicht an sich halten: Eine Pressemitteilung verkündete die Billigung des Bauvertrags über 2,6 Milliarden Euro, noch während die Abgeordneten tagten.

Die Bundesregierung strebt eine Konsolidierung der europäischen Rüstungsindustrie unter deutscher Führung an. So erhofft sie sich mehr Mitsprache in EU und Nato. Deshalb sollten auch die Fregatten des Typs F 125 ein rein nationales Projekt bleiben. "Mit dem Abschluss dieses Vertrags noch in 2007 könnte die Industrie Planungssicherheit erhalten und ihr Know-how mittelfristig sichern", schreibt Wolfgang Schneiderhan, Generalinspekteur der Bundeswehr, zum F-125-Projekt. Der Bund verpflichtet sich, schon beim Stapellauf der ersten Fregatte 81 Prozent des Gesamtpreises zu zahlen, obwohl drei weitere noch nicht gebaut sind. Zudem darf der Endpreis 83 Prozent über der Kalkulation liegen, obwohl laut BMVg höchstens 20 Prozent vorgesehen sind. Die Regierung schwäche dadurch unnötig ihre Verhandlungsposition zugunsten der Werften, bemängelte der Bundesrechnungshof.

Wie emphatisch die Realisierung des Kaufs der modernen Kriegsschiffe verfolgt wurde, offenbaren die industriefreundlichen Vertragsklauseln (siehe Kasten). Der Ausschuss billigte sie - mit Segen aus dem Kanzleramt. Denn bis dorthin sei über die Auftragsvergabe diskutiert worden, sagt der Grünen-Haushälter Alexander Bonde. Am 26. Juni unterschrieb das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung die Verträge mit dem Werftenverbund um Thyssen Krupp Marine Systems (TKMS) - öffentlich weitgehend unbeachtet.

Dabei handelt es sich keineswegs um einen Routine-Einkauf der Bundesmarine. Die vier georderten Fregatten ersetzen ab 2014 keine ausgemusterten Schiffe der Flotte, sondern ein ausgemustertes Aufgabenprofil. Die Zeiten, da Nord- und Ostsee den Horizont der maritimen Landesverteidigung bildeten, sind passé. Mit Großaufträgen ausgestattet, rüsten die deutschen Werften ihre "Parent Navy" für den weltweiten Einsatz.

Bis zu zwei Jahre wird jede F 125 im Einsatzgebiet verweilen können, ohne die Werft ansteuern zu müssen - ein Novum für deutsche Kriegsschiffe. Das erspart zum einen die ständigen und kostenintensiven Transitfahrten zwischen den Einsatzgewässern und dem Heimatstützpunkt. Andererseits ermöglicht es dauerhafte Operationen auf den Weltmeeren. Mit an Bord wird ein 50-köpfiges Kontingent von Spezialkräften sein. "Die Kooperation mit dem Heer wurde bisher improvisiert", sagt Lutz Feldt, Vizeadmiral und Inspekteur der Marine a. D. "Nun ist es möglich, Verbände mitzunehmen, die das Schiff als Plattform benutzen."

Neben separaten Führungs- und Planungsräumen steht den Soldaten ausreichend Stauraum für Waffen und Munition zur Verfügung. Vier Speedboote und zwei Bordhubschrauber des nagelneuen Nato-Fregattentyps MH-90 können die Kommandos ins Kriegsgebiet transportieren. Eine 70 Kilometer weit feuernde Panzerhaubitze an Deck gibt ihnen noch im Binnenland die nötige Rückendeckung. Weiterhin unterscheidet die F 125 von ihren Vorgängermodellen der erhöhte Automatisierungsgrad. Die Hälfte der Besatzung wird dadurch eingespart. Zudem soll ein computergestütztes Waffensystem "asymmetrische Bedrohungen" aufspüren und bekämpfen. Was dem US-Zerstörer "USS Cole" im Jahr 2000 im Hafen von Aden widerfuhr, versprechen die automatisierten Zielerfassungssysteme der deutschen Fregatte zu verhindern. Damals hatte al-Qaida mit einem Motorboot und einer Sprengstoffladung das US-Schiff angegriffen und 17 Soldaten getötet; das Schiff war fast zwei Jahre seeuntüchtig.

Marine wird Expeditionskorps

Wohin die zukünftigen Reisen der Bundesmarine führen, versuchte die Bundesregierung im Oktober 2006 zu definieren. Sie veröffentlichte das "Weißbuch zur Sicherheit Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr". In der nationalen Verteidigungsfibel, die auf 149 Seiten die Weichen für eine weltweit einsatzfähige Eingreifarmee stellt, lautet das Fahnenwort: Transformation. Das Heer wird transformiert. Die Luftwaffe wird transformiert. Um den "seewärtigen Bedrohungen unserer Sicherheit entgegentreten zu können", so ist dort nachzulesen, "entwickelt sich die Marine im Zuge der Transformation der Bundeswehr zu einer 'Expeditionary Navy' ". Zu Deutsch: Expeditionsmarine.

Wenngleich das Verteidigungsministerium die Aufgabenfelder der Flotte mit "Friedensstabilisierung" und "Konfliktverhütung" umschreibt - mit tausenden Tonnen Krupp-Stahl und modernen Waffentechnologien -, materialisiert das Rüstungsprojekt F 125 vor allem eines: die expansive Auslegung des Artikels 87 a, Absatz 1 des Grundgesetzes: "Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf." Die Weißbuch-Doktrin verweist in dieser Frage auf die "herausragende Rolle" der nordatlantischen Allianz, "des stärksten Ankers der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik". In welchen Dimensionen die kollektive Sicherheit künftig durchgesetzt werden soll, daran lassen jüngste Aktivitäten im obersten Nato-Zirkel keinen Zweifel.

Ölindustrie verhandelt mit Nato

Jamie Shea ist im Nordatlantik-Bündnis der Direktor für politische Planung. Seine Premiere hierzulande feierte er während des Kosovokrieges 1999. Man müsse die deutsche Bevölkerung langsam wieder an Kriegsbeteiligungen gewöhnen, forderte er - damals noch PR-Manager der Nato -, als die Nation über Bombardements durch Bundeswehr-Tornados debattierte. Vor einigen Wochen definierte Shea auf einem Kongress in London die künftigen Aufgaben der Bündnis-Flotte: "In der Nato denken wir sehr aktiv darüber nach, wie wir unsere Marinekräfte mit Ölkonzernen verbinden können", teilte er im Privatbüro des Nato-Generalsekretärs Jaap de Hoop Scheffer mit, wie der österreichische Rundfunk ORF und die Zeitung The Scotsman berichten.

Geladen waren Vertreter der Ölindustrie aus den Nato-Staaten. Man befände sich bereits in Verhandlungen mit Shell, BP und den Ölförderländern Nigeria und Katar, gab die Nato-Führung zu Protokoll. Erörtert werde die Entsendung von Marine-Eingreifverbänden nach Afrika, Asien und in den Mittleren Osten zur Bekämpfung von Terrorangriffen auf Pipelines, Piraterie oder Geiselnahmen von Mitarbeitern der Konzerne. Eine Nato also, die zukünftig als weltweit operierende Schutztruppe der Erdölkonzerne auftritt. Neunzig Prozent der Welthandelsgüter finden ihr Ziel über den Seeweg - Energierohstoffe bilden da keine Ausnahme.

Dass die Aufrüstung der deutschen Marine die "Stabilität der Handelsschifffahrt" weltweit zum Ziel hat, untermauert die Wehretatberichterstatterin Susanne Jaffke (CDU) gegenüber der taz und erklärt zu den Fregatten: "In Regionen, wo Schmuggler und Anarchisten unterwegs sind, muss für Abschreckung und Disziplinierung gesorgt werden." Die Versicherungspolicen der Reedereien würden ohne diesen Schutz in Höhen steigen, die den freien Seehandel gefährden. "Im Verbund von Nato und UN sind das unsere künftigen Aufgaben", sagt Jaffke. Als neuartiger Kommandostand auf See verleihe die F 125 der Marine die dafür notwendige Kompetenz. Und im Falle von Geiselnahmen könnten Evakuierungsmissionen in Kriegsgebieten endlich eigenständig durchgeführt werden.

Während der außenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Paul Schäfer, die Rückkehr zur "Kanonenbootpolitik" der Kolonialzeit konstatiert, verlangen die Grünen eine Novellierung des Weißbuchs: "Im Weißbuch wird mit Friedensfloskeln die Entgrenzung des Verteidigungsbegriffs übertüncht", sagt Winfried Nachtwei, Grünen-Sprecher für Sicherheitspolitik. Es müsse sichergestellt werden, dass kollektive Sicherheit nur im Rahmen des UN-Völkerrechts durchgesetzt wird. Und obgleich die Grünen die F 125 nicht kategorisch ablehnten, gibt Nachtwei zu bedenken: "Waffensysteme wie die Fregatten sind dual-use-fähig. Sie können beliebig eingesetzt werden - im schlimmsten Fall zur Durchsetzung partikularer Machtinteressen."

Leider koordiniere die Nato maßgeblich die Ausrichtung der deutschen Streitkräfte, sagt Jürgen Groß, ehemaliger Offizier und Vorsitzender der Bundeswehr-Kommission im Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH). "Wir fordern, dass die UN die Richtung vorgibt." Um die inflationäre Zunahme von Auslandseinsätzen zu beenden, schlägt die Kommission vor, dass militärische Engagements künftig nur mit einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag beschlossen werden können.

Korvetten lösen Küstenkonflikte

Im Weißbuch beschlossen wurde hingegen die Maxime: "Nur Nationen mit einer leistungsfähigen Rüstungsindustrie haben ein entsprechendes Gewicht bei Bündnisentscheidungen." Die TKMS-Werften profitieren davon: Nicht allein die Fregatte F 125 treibt die Metamorphose der Marine voran.

Vor drei Wochen lief bei der Hamburger Werft Blohm + Voss eine dockfrische Korvette der Klasse K 130 - die vierte von insgesamt fünf bestellten Einheiten. Bereits 2008 nimmt die Marine ihr erstes Korvettengeschwader in Betrieb. "Das Kriegsschiff ist eine Weiterentwicklung der Küstenboote", erklärt Vizeadmiral a. D. Lutz Feldt. Mit einer Reichweite von rund 4.000 Seemeilen wurde die Korvette jedoch für den weltweiten Einsatz konzipiert.

Die Waffensysteme der K 130 sind darauf ausgelegt, auch Landziele anzugreifen: Vier je 200 Kilogramm schwere Marschflugkörper befinden sich an Bord. Die Raketen fliegen über 200 Kilometer weit. Auch Spezialkräfte sollen auf den Schiffen Platz finden. Zugeteilt werden die Korvetten den Eingreifkräften der Bundeswehr. Laut der vagen Weißbuch-Terminologie sind diese vorrangig für multinationale Operationen "hoher Intensität" vorgesehen. Und aus diesem "Kräftedispositiv", heißt es weiter, werden die deutschen Beiträge zur Nato-Eingreiftruppe, "zu sonstigen Nato- oder EU-Operationen oder weiteren multinationalen Operationen im oberen Intensitätsspektrum generiert".

"Analysen ergeben, dass in Zukunft viele Konflikte in Küstenregionen entstehen", sagt Lutz Feldt und fügt hinzu: "Dort kann die K 130 Einfluss nehmen -im positiven Sinne natürlich."

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