Kommentar: Erstaunliche Statistik

Laut Prognose des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung soll die Zahl der Arbeitslosen sinken: Doch der Boom bremst den Stellenschwund nur leicht.

Statistiken sind doch immer wieder erstaunlich. Zum Beispiel beim Arbeitsmarkt: Die Zahl der Arbeitslosen dürfte nächstes Jahr um weitere 360.000 sinken, hat das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) gestern prognostiziert. Gleichzeitig geht das Institut aber davon aus, dass nur 310.000 neue Stellen entstehen. Wo also bleiben die restlichen 50.000 Arbeitslosen? Zwischen den Zeilen ergibt sich: Sie gehen in Rente. Angeblich ist die Überalterung der Gesellschaft ja unser größtes Problem, doch tatsächlich ist sie der einzige Weg, um sich der Vollbeschäftigung wenigstens zu nähern.

Bemerkenswert ist auch eine andere Rechnung, die das IAB gestern aufmachte. Die Beschäftigung sei 2006 und 2007 deutlich stärker gestiegen als beim letzten Boom 1999/2000. Mit aller Vorsicht, aber ideologisch doch deutlich, wird eine Erklärung gleich mitgeliefert. Möglicherweise seien Stellen jetzt einfacher zu besetzen, weil sich die Arbeitslosen intensiver um einen Job bemühten. Übersetzt: Den Hartz-Reformen sei Dank. Sie haben den Arbeitslosen endlich Beine gemacht, die vorher faul in der sozialen Hängematte lagen.

Hartz IV sorgt für ein Jobwunder - auf diese Nachricht haben die Politiker von Union bis Grün schon lange gewartet. Endlich ist der Beweis erbracht, dass Fordern gleich Fördern ist. Und wie zur Bestätigung liefert das IAB noch eine weitere Prognose: 2008 werde die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten auf rund 27,17 Millionen steigen!

Was das IAB jedoch vergisst zu erwähnen und was allen Optimismus zunichte macht: 2001 lag die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten noch bei 28,2 Millionen. Selbst der jetzige Boom hat den Schwund der regulären Stellen zwar abgemildert, aber nicht gebremst. Was immer die "aktivierten" Exarbeitslosen jetzt treiben - ihre Chancen stehen stets schlechter, einen normalen Job zu finden. Aber es dauert bestimmt nicht lange, bis eine weitere erstaunliche Statistik erläutert, dass in Deutschland eigentlich schon Vollbeschäftigung herrscht.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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