Kommentar Demokraten im US-Wahlkampf: Fesseln für den Freihandel

Die Demokraten fordern im US-Wahlkampf den Freihandel einzuschränken, um die amerikanische Wirtschaft zu stärken. Doch so einfach ist das nicht.

Der internationale Handel soll frei und fair sein, denn nur dann führt er zu größtmöglichen Wohlstandsgewinnen für alle. So würden die meisten Politiker dieser Welt wohl ihr Credo zum Austausch von Waren und Dienstleistungen in der globalisierten Wirtschaft zusammenfassen. Wehe, jemand macht da nicht mit und überlegt laut, dem freien Handel Fesseln anzulegen oder Abgaben auf Einfuhren zu erheben oder die eigenen Ausfuhren zu subventionieren. Zeter und Mordio schreien da all die guten Freihändler und dass die Freihandelsgegner die Totengräber des globalen Wohlstands seien. Dazu zählen offenbar auch die Präsidentschaftskandidaten der Demokraten in den USA, weil sie ernsthaft in die Debatte werfen, dass der Freihandel angesichts der Überlegenheit mancher Länder auf den Weltmärkten und angesichts der massiven und steigenden Verschuldung Amerikas gegenüber dem Rest der Welt kein ewiges Dogma sein müsse.

Das ist allerdings wieder eine der Auseinandersetzungen, wo beide Seiten vor ihrem Lieblingsspiegel fechten, statt sich mit den eigentlichen Ursachen von Handelsungleichgewichten zu befassen. Die Freihändler vertreten eine wirklichkeitsfremde Doktrin - und die Freihandelsskeptiker wehren sich gegen diese Doktrin, ohne zu begreifen, dass sie etwas ganz anderes anpacken müssten.

Nur wenn der internationale Austausch von Waren und Dienstleistungen unbeeinflusst von den Staaten stattfindet, so die klassische Lehre, stellen sich überall die gleichen Preise für die gehandelten Güter ein. Genau dann kann jeder Anbieter seine spezifischen Produktionsvorteile uneingeschränkt zur Geltung bringen, was insgesamt zu einem optimalen Güterangebot führt, weil es jeden Produzenten für seine spezifische Überlegenheit belohnt: Der eine produziert dies, weil er in dieser Sparte die Nase vorn hat, der andere jenes, weil er dort technisch überlegen ist. Ob ein Produkt in einem Entwicklungsland oder in einem hoch entwickelten Industrieland erzeugt wird, ist nach dieser Theorie nicht entscheidend. Denn immer sorgt der effiziente Handel dafür, dass die Preise des Produktes überall gleich sind und die Arbeiter im Entwicklungsland ihren fairen Anteil ebenso erhalten wie die Arbeiter im Industrieland. Auch zwischen gleich starken Ländern hat keiner einen dauerhaften Vorteil, weil der Ausgleich des Marktes ja dafür sorgt, dass die Bäume auf keiner Seite in den Himmel wachsen.

Dieses wunderbar harmonische Bild wird schon dadurch gestört, dass man in Deutschland offen zur Schau getragene Freude darüber erleben kann, dass ein Land mit 80 Millionen Einwohnern "Exportweltmeister" in absoluten Größen ist und damit ein 1,3-Milliarden-Volk wie die Chinesen auf den zweiten Rang verweist. Was hat das mit der von der Freihandelsdoktrin vorgegaukelten Harmonie zwischen allen Anbietern auf dem Weltmarkt zu tun? Noch schlimmer ist, dass einige Länder versuchen, nur zu exportieren und nicht zu importieren. Globale Ungleichgewichte heißt dieses Phänomen seit einigen Jahren. China, Deutschland, Japan und die Schweiz, um die wichtigsten zu nennen, tun so, als könnten sie auf die Dauer die Welt mit ihren Produkten beglücken, ohne selbst jemals so viel mehr importieren zu müssen, dass die defizitären Handelspartner irgendwann einmal ihre Schulden zurückzahlen können. Woher stammen die riesigen Leistungsbilanzüberschüsse der einen, woher die immensen Leistungsbilanzdefizite der Amerikaner und viele kleiner Länder, wenn doch die Preise überall immer gleich sind? Offenbar können Überschussländer auf den Weltmärkten viel preiswerter anbieten als die Konkurrenz aus anderen Ländern. Die Preise sind also nicht gleich oder nicht gleich geblieben: Haben die Firmen in den Defizitländern den technologischen Wandel vollkommen verschlafen, während in den Überschussländern so viel intelligenter investiert wurde, und wie ist das mit der Freihandelsdoktrin in Einklang zu bringen?

Man muss sich einmal vorstellen: Ein beliebiges weltmarktgängiges Produkt, egal ob es von einer deutschen oder einer amerikanischen Firma hergestellt wurde, das im Jahr 1999 für durchschnittlich 100 Dollar gehandelt wurde, war drei Jahre später von einer deutschen Firma für nur 66 Dollar zu haben, von einem amerikanischen Anbieter hingegen für satte 115 Dollar. Kein Wunder, dass die deutschen Produzenten erhebliche Marktanteile zu Lasten der amerikanischen Wettbewerber gewannen. An dieser dramatischen Auseinanderentwicklung war aber keineswegs, wie man auf der Basis der Freihandelslehre glauben könnte, die Handelspolitik beteiligt, Grund waren allein der damals fallende Wechselkurs des Euro und die in Deutschland unter erheblichem politischem Druck zustande gekommene Lohnzurückhaltung. Beides aber, Wechselkursänderungen und Lohndumping eines Landes, hat nach offiziellen Bekundungen auf beiden Seiten des Atlantiks gar nichts mit Handelspolitik zu tun, obwohl beide Phänomene für die Handelsströme tausendmal wichtiger sind als alles, was man in einer ähnlich kurzen Zeit in der Handelspolitik veranstalten könnte.

Im Gegensatz zu handelspolitischen Maßnahmen oder dem Drohen mit denselben sind aber weder gewaltige Wechselkursänderungen noch Lohndumping Gegenstand der Freihandelsideologie noch irgendeiner internationalen Verhandlung über fairen Handelsaustausch. Deswegen ist weder die amerikanische Drohung mit Maßnahmen der Handelspolitik noch die deutsche Aufregung darüber gerechtfertigt. Vergessen wird auch, dass sich bei dem gegenwärtig erreichten Eurokurs von 1,55 Dollar die Preise wieder angeglichen haben. Die Produkte beider Länder kosten jetzt auf dem Weltmarkt 150 Dollar, und der deutsche Preisvorteil ist wieder verschwunden, auch wenn selbst bei diesem allseits beklagten "extrem" niedrigen Dollarkurs die Marktanteilsgewinne, die Deutschland seit 1999 gegenüber den USA erzielt hat, noch immer nicht gefährdet sind.

Im Klartext: Heute mit der Handelspolitik die Handelsströme steuern zu wollen ist so, als ob man mit Uhrmacherwerkzeug ein Auto reparieren wollte. Über die eigentlich relevanten Fragen wird überhaupt nicht gesprochen. Was die globalisierte Wirtschaft viel dringender braucht als eine doktrinäre Auseinandersetzung über Handelspolitik, ist ein Wechselkurssystem, das verhindert, dass sich einzelne Länder über Lohndumping oder ähnliche Maßnahmen über lange Zeit ungerechtfertigte Vorteile verschaffen. Vermieden werden muss auch - das ist die andere Seite derselben Medaille -, dass von Spekulanten am Kapitalmarkt getriebene Wechselkurse wie zurzeit in vielen Ländern Osteuropas die Wettbewerbsfähigkeit ganzer Volkswirtschaften auf eine Weise zerstören, dass die Dinge nur durch eine große Finanzkrise und eine massive Abwertung wieder ins Lot zu bringen sind.

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