Grüner Finanzexperte Schick kritisiert EU: "Nicht vorbereitet auf Bankenkrise"

Wenn es in Europa zum Bankencrash wie in den USA kommt, werden die Folgen noch drastischer sein, befürchtet der Grünen-Finanzexperte Gerhard Schick - wegen fehlender Instrumente.

"Im Endeffekt muss immer die Politik geradestehen": Börse in Frankfurt

taz: Herr Schick, Sie wollen Kleinanleger vor den Gefahren der Finanzmärkte schützen. Welche Produkte können gefährlich werden?

Gerhard Schick: Etwa die sogenannten Zertifikate. Das ist ein 140-Milliarden-Euro-Markt mit 300.000 verschiedenen Produkten für normale Verbraucher: Bei diesen Schuldverschreibungen können Kleinanleger zum Beispiel auf die Entwicklung bestimmter Aktienwerte wetten. Dieser Markt wächst explosionsartig mit zweistelligen Wachstumsraten.

Wo ist das Problem?

Bei diesen Zertifikaten können Anleger kaum erkennen, worum es geht und welche Kosten auf sie zukommen. Kunden werden häufig über den Tisch gezogen, weil sie oft doppelt und dreifach Gebühren bezahlen.

Kleinanleger müssen sich doch der Gefahr bewusst sein, wenn sie in spekulative, komplexe Papiere investieren?

Natürlich, aber sie müssen auch die Chance haben, die Risiken einzuschätzen. Wir wollen deshalb eine gesetzliche Regulierung, die den Verbrauchern hilft, Fallstricke zu erkennen. Ein Beispiel ist der Verkaufsprospekt: Da muss auf zwei Seiten stehen, um was es geht, und nicht auf 200 Seiten in Englisch. Das Ziel ist, Verbraucher und Anbieter auf Augenhöhe zu bringen.

Hätte sich mit einer strengeren Aufsicht auch die globale Finanzkrise weniger schlimm entwickelt?

Ja, denn manche Ursachen der US-Hypothekenkrise waren schon lange bekannt. Etwa, dass große Summen außerhalb der Bilanz eines Unternehmens verwaltet werden. Solche Zweckgesellschaften haben sich bereits im Skandal um den US-Energiekonzern Enron im Jahr 2001 katastrophal ausgewirkt. Schon damals war auch klar, dass es Interessenkonflikte bei den Ratingagenturen und Wirtschaftsprüfern gibt. Noch im vergangenen Jahr haben einzelne Hedgefonds Renditen von bis zu 590 Prozent erzielt. Die sind nur möglich, wenn Grundprinzipien der Märkte außer Kraft gesetzt sind. Doch die Regulierung ist die nötigen Antworten schuldig geblieben. Wir brauchen eine international verbindliche Vereinbarung zur Regulierung.

Wie soll die aussehen?

Auf der internationalen Ebene brauchen wir eine lückenlose Kontrolle überall, wo sich Risiken sammeln können. Das heißt, dass neben Banken Hedgefonds und Zweckgesellschaften in die Aufsicht mit einbezogen werden. Auch auf nationaler Ebene gilt: Die Bundesanstalt für Finanzaufsicht Bafin hat zwar viele Informationen, aber sie schützt die Menschen nicht vor betrügerischen Angeboten und leistet auch keinen Beitrag zur Transparenz und Fairness auf dem Finanzplatz.

Die Bankenaufsicht ist in Deutschland zersplittert. Für die Banken sind sowohl die Bundesbank als auch die Bafin zuständig. Wie lässt sich das verbessern?

Die Finanzaufsicht muss den gesamten Markt im Blick haben. Das bedeutet, dass die Aufsicht über Wertpapiere, Banken und Versicherungen unter einem Dach vereint sind, weil sich diese Bereiche bei einer Krise gegenseitig anstecken. Wir schlagen vor, diese Aufsicht bei der Bafin anzusiedeln und gleichzeitig von der Bundesbank die dezentrale Struktur mit Präsenz in den Bundesländern zu übernehmen. Dafür brauchen wir in beiden Institutionen eine Strukturreform, damit sich die deutsche Finanzaufsicht in ein europäisches System der Finanzaufsicht einfügt.

Also eine europäische Finanzaufsicht?

Ja, aber keine europäische Superbehörde, sondern schnelle Mechanismen und klare Zuständigkeiten. Zurzeit sind wir in Europa auf eine Krise, wie es sie in den USA um die Bear-Stearns-Bank gab, überhaupt nicht vorbereitet.

Das sehen auch Teile der SPD so. Wird der Bundestag beim Thema Finanzmarktregulierung geschlossen handeln?

Kaum. Denn schärfere Regeln beim Anlegerschutz und bei der Regulierung würden dafür sorgen, dass auf den Finanzmärkten nicht mehr astronomische Renditen zu erzielen sind. Leute, die schnell hohe Profite machen wollen, werden dem nicht zustimmen - und auch nicht die FDP.

Wie wollen Sie den Widerstand der Finanzbranche überwinden, die mehr staatliche Regulierung eher ablehnt?

Die Krise zeigt doch: Im Endeffekt muss immer die Politik geradestehen. Sie trägt die letzten Risiken. Nur der Staat, in Form von Notenbanken und Steuerzahlern, kann die großen Risiken auffangen. Deshalb darf es die Gesellschaft nicht den "Finanzmarktexperten" überlassen, sich selber zu regulieren. Die Politik muss die Regeln setzen.

INTERVIEW: TARIK AHMIA

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