Anklägerin auf der Anklagebank

Carla Del Ponte soll ihr Amt als Chefanklägerin des Ruanda-Tribunals der UNO verlieren. Der Grund: Ihre Beziehungen zu Ruandas Regierung sind auf dem Nullpunkt – und die Arbeit des Tribunals soll bald nach Ruanda verlegt werden

BERLIN taz ■ Die Tage von Carla Del Ponte als Chefanklägerin des UNO für Ruandas Völkermord scheinen gezählt. Eine Entscheidung ist noch nicht gefallen, aber zusammen mit mehreren UN-Sicherheitsratsmitgliedern ist einigen Berichten zufolge auch UN-Generalsekretär Kofi Annan der Meinung, dass Del Ponte nach dem Ablauf ihres vierjährigen Mandats als Chefanklägerin der UN-Tribunale zu Jugoslawien und Ruanda im September nur noch für das in Den Haag tagende Jugoslawien-Tribunal zuständig sein wird, aber nicht mehr für das im tansanischen Arusha tagende Ruanda-Tribunal. Ein Treffen dazu zwischen Annan und Del Ponte am Montag brachte keine Ergebnisse.

„Da sich die Tribunale ihrem Ende zuneigen und beide Tribunale gebeten worden sind, eine Abwicklungsstrategie zu entwickeln, könnte es nötig sein, zwei Ankläger zu haben“, sagte Annan vor diesem Treffen. Florence Hartmann, Sprecherin von Carla Del Ponte, betonte hingegen, es sei „wichtig, dass ein einziger Ankläger sich mit beiden Tribunalen beschäftigt“.

Von Seiten Del Pontes wird die drohende Ablösung mit dem Willen der Chefanklägerin in Verbindung gebracht, nicht nur den Völkermord an bis zu einer Million Menschen in Ruanda 1994 zu untersuchen, sondern auch Verbrechen der in Ruanda heute herrschenden RPF (Ruandische Patriotische Front), die nach dem Zusammenbruch des für den Völkermord verantwortlichen Regimes im Juli 1994 die Macht übernahm. Das vom UN-Sicherheitsrat am 8. November 1994 beschlossene und ein Jahr später gegründete Tribunal ist beauftragt, Völkermord und andere schwere Verletzungen des Völkerrechts zu untersuchen, die in Ruanda oder von Ruandern in Nachbarländern während des gesamten Jahres 1994 verübt wurden.

Niemand bestreitet, dass es in Ruanda nach dem Völkermord Kriegsverbrechen gab, als die Reste der Völkermordmilizen und ihre vermuteten Unterstützer gejagt wurden. Ruandas Regierung meint aber, diese Vorgänge sollten nicht Gegenstand eines Völkermordtribunals sein, sondern Sache der ruandischen Justiz, denn sonst würde Krieg gegen Völkermordmilizen mit Völkermord gleichgesetzt. „Man kann diese beiden Dinge nicht miteinander vergleichen“, unterstrich Tharcisse Karugurama, Präsident von Ruandas Oberstem Gericht. „Einmal benutzte ein Staat seinen Apparat, um Völkermord zu begehen, ein anderenmal verübten Einzelpersonen Verbrechen.“ Zu handfestem Streit – per Briefwechsel an die UNO – kam es im November 2002, als sich Del Ponte im Kongo mit Führern von Ruandas noch aktiven Völkermordmilizen traf, um Belastungsmaterial gegen Regierungsmitglieder zu sammeln.

Es gibt noch zahlreiche weitere Probleme zwischen Del Ponte und Ruandas Regierung, die das Tribunal schon bei seiner Gründung ablehnte, weil es die wichtigsten Täter des Völkermordes einem Prozess in Ruanda und der Todesstrafe entzieht. Nachdem vor zwei Jahren bekannt wurde, dass die Verteidiger des Tribunals zahlreiche Völkermordverdächtige als „Ermittler“ angestellt und damit auf die Gehaltsliste des Tribunals gesetzt haben, schränkte die Regierung die Zusammenarbeit mit dem Tribunal ein. Sie sagte, Zeugen würden vom Tribunal schlecht behandelt, zum Beispiel beim Kreuzverhör von Vergewaltigungsopfern durch Verteidiger. „Ibuka“, die Vereinigung von Ruandas Völkermordüberlebenden, verweigert deswegen schon seit Jahren die Kooperation mit dem UN-Tribunal. Erst vor wenigen Wochen kam es zu einem Treffen zwischen „Ibuka“ und der Tribunalleitung, um die Probleme auszuräumen.

Eine weitere Kritik am Tribunal betrifft Ineffizienz und wird nicht nur aus Ruanda vorgebracht. Das Tribunal hat seit seiner Gründung über 500 Millionen Dollar verschlungen, aber nur neun Urteile gefällt, davon ein Freispruch. Gegenwärtig stehen 22 Angeklagte in Sammelprozessen in Arusha vor Gericht, 29 weitere sind in Haft. Seit einiger Zeit ist bei der UNO klar, dass das Tribunal in wenigen Jahren, voraussichtlich 2005, abgewickelt und die restlichen Verfahren nach Ruanda verlagert werden sollen. Angesichts der Vorgeschichte ist dies mit Carla Del Ponte als Chefanklägerin schwer vorstellbar. DOMINIC JOHNSON