Langzeitarbeitslose beginnen mit Protesten

Seit gestern verschicken die Arbeitsämter die Formulare, mit denen das neue Arbeitslosengeld II beantragt werden kann. Erwerbsloseninitiativen starteten mit dezentralen Aktionen vor den Ämtern. Ihre Taktik: Verzögerung

BERLIN taz ■ Ungewöhnliches Gedränge gab es gestern Vormittag vor zahlreichen Arbeitsämtern. Erwerbslosengruppen hatten sich mit Transparenten und Flugblättern bewaffnet, um dort gegen die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zu protestieren. Denn seit gestern verschicken die Ämter die 17-seitigen Formulare, mit denen das neue Arbeitslosengeld II zu beantragen ist. Ab 1. Januar tritt das so genannte Hartz-IV-Gesetz in Kraft.

Die Erwerbsloseninitiativen verteilten vor den Ämtern gestern Tipps, wie die Anträge auszufüllen sind. Das vierseitige Flugblatt endet mit der Zusammenfassung: „Wir fragen lieber einmal zu viel als zu wenig“ und „Wir nehmen uns die nötige Zeit. Es reicht, dass wir den Antrag vor dem 3. Januar abgeben!“ Diese Verzögerungstaktik sei juristisch unschädlich, meinen die Initiativen. Sie hoffen, dass doch noch eine Diskussion über die Formulare in Gang kommt. Auf jeden Fall aber wollen sie verhindern, dass der Eindruck entsteht, die Langzeitarbeitslosen seien einverstanden mit der Hartz-Reform, nur weil sie ihre Anträge für das Arbeitslosengeld II zügig abgeben.

Umstritten ist etwa jener Passus in den Formularen, der nach dem Wert von eventuellen Besitzgegenständen wie Edelmetallen, Antiquitäten oder Gemälden fragt. Denn wer weiß schon, was die ererbte Kommode oder etwa Omas Halskette einlösen würde? Deshalb sollten Erwerbslose in den nächsten Wochen mit ihren „Antiquitäten“ und Erbstücken bei den Ämtern vorsprechen, raten die Initiativen.

Auch aus Datenschutzgründen sind die Anträge in die Kritik geraten. Der Vorsitzende des Erwerbslosenvereins Tacheles listete insgesamt 11 Verstöße gegen den Datenschutz in den Anträgen auf. So werde etwa gefragt, ob der Antragsteller schon früher einmal Sozialhilfe bezogen habe – obwohl dies für den aktuellen Antrag völlig unerheblich sei. Auch dürfe der Arbeitgeber nicht erfahren, dass ein Arbeitnehmer mit einem Arbeitslosengeld-II-Empfänger zusammenlebt. Diesen Verstoß bemängelt auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar.

Die Erwerbslosenverbände fordern eine Rücknahme der Reform, die Anne Seek von der Berliner „Initiative Anders Arbeiten“ mit den Stichworten Arbeitszwang und Verelendung charakterisiert. Viele Erwerbslosen werden ab Januar weniger Geld bekommen – doch ob sie sich aktiv wehren werden, ist auch für Seek noch völlig offen.

Im September soll es weitere Aktionstage geben. In Berlin, Hessen und Nordrhein-Westfalen sind die Vorbereitungen schon angelaufen. „Der Angriff auf die Erwerbslosen richtet sich auch gegen die Lohnabhängigen“, meint Gunnar Stache vom Anti-Hartz-Bündnis in NRW. Die AktivistInnen versuchen daher, den Kampf gegen die Erhöhung der Arbeitszeit mit dem Widerstand gegen Hatz IV zu verbinden. Für eine zentrale Anti-Hartz-Demonstration am 6. November vor dem Sitz der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg wird zurzeit bundesweit geworben. Sobald das Gesetzespaket in Kraft getreten ist, sind am 3. Januar unter dem Motto „Agenturschluss“ weitere dezentrale Aktionen vor den Arbeitsämtern geplant. PETER NOWAK

Informationen über die Proteste im Internet bundesweit: www.labournet.de/diskussion/arbeit/realpolitik/hilfe/proteste.html, www.bag-shi.de/sozialpolitikseite/sozialpoitischeopposition.htm, www.tacheles-sozialhilfe.de/