Gedruckter Hühnerhaufen

Heiteres Beruferaten bei der „Bild“-Zeitung: Wer ist eigentlich wofür verantwortlich? Bei einem Prozess in Berlin wurde das Impressums-Chaos bei Springers Boulevardblatt verhandelt

AUS BERLIN STEFFEN GRIMBERG

Wer die vermeintlich simple Frage „Wer ist für den Inhalt einer Zeitung verantwortlich?“ rundheraus mit „Der Chefredakteur!“ beantwortet, konnte sich in diesen Tagen vor Gericht eines Besseren belehren lassen: Kai Diekmann beispielsweise ist unstrittig Chefredakteur, ja sogar Herausgeber von Bild. Für das Blatt verantwortlich im Sinne des Pressegesetzes (V. i. S. d.P.) ist er aber nicht. So gab der Angeklagte Diekmann im Prozess vor dem Strafrichter beim Amtsgericht Berlin-Tiergarten eher unfreiwillig den Statisten – und wurde schließlich freigesprochen.

Angefangen hatte alles mit einer Bockwurst. Genauer gesagt: dem Foto einer Dame beim Essen einer solchen, aufgenommen Anfang 2003 vor ihrer Wohnung in Berlin. Die Dame ist Richterin und war damals befasst mit dem Fall eines 20-jährigen Palästinensers, der als Serienstraftäter galt und, so klagte die Polizei, von der Justiz zu lasch angefasst werde. Die Lokalnachrichten des Senders Freies Berlin hatten berichtet, dann folgte die Regionalausgabe Berlin-Brandenburg von Bild – „Warum hat ihn diese Richterin nie weggesperrt?“, fragte das Blatt – garniert mit Richterin und Bockwurst.

Zivilrechtlich ist die Sache längst aus der Welt – es kam zu Vergleich und Schmerzensgeld für die geschmähte Richterin. Strafrechtlich sollte sich nun der Chefredakteur als Verantwortlicher im Sinne des Pressegesetzes nochmals für das gegen das Kunsturhebergesetz verstoßende Foto verantworten. Doch Bild-Verlagsgruppenchef Christian Nienhaus und Springer-Chef Mathias Döpfner hatten ja schon am ersten Verhandlungstag erklärt, Diekmann sei gar nicht der V. i. S. d. P. Wer verantwortlicher Redakteur sei, so Nienhaus, werde schließlich in den Arbeitsverträgen geregelt. Genau diese Auskunft, begründete auch der Vorsitzende Richter sein Urteil, führe zum Freispruch. Und der Frage: Wer ist es dann?

TV-Gerichtsshow-Format

Solche Fragen hat nach den Pressegesetzen der einzelnen Bundesländer das Impressum zu beantworten. Und hier wurde vor allem der zweite Prozesstag zum Lehrstück, das zwischenzeitlich TV-Gerichtsshow-Format erreichte: Da fertigte eine seit rund 14 Jahren in Diensten der Axel Springer AG stehende Justiziarin just am Erscheinungstag des Bockwurst-Fotos ein kürzeres „Notimpressum“ für die Bild-Ausgabe Berlin-Brandenburg an, weil für die übliche Langfassung kein Platz war. Kleiner Schönheitsfehler: Es weist Diekmann als presserechtlich Verantwortlichen aus. So steht es auch noch in den ersten zwei Schriftsätzen an das Gericht. Geschrieben hatte sie dieselbe Justiziarin, die parallel als Anwältin Diekmann zunächst im Verfahren vertritt – vom Gesichtspunkt des anwaltlichen Standesrechts aus zumindest eine fragwürdige Doppelfunktion. Nach Springer-Sicht aber völlig in Ordnung: „In der Regel führen wir Zivilprozesse, wenn es sein muss, bis zum Bundesverfassungsgericht“, sagt die Justiziarin. „Ich bin beeindruckt“, brummt der Staatsanwalt.

Bei der Hauptverhandlung ist sie aber nur Zeugin, der Bild-Chefredakteur hat mittlerweile einen anderen Verteidiger: Otmar Kury kassiert die Argumentation seiner Vorgängerin und schwenkt auf die letztlich erfolgreiche Linie ein: Diekmann ist also nicht Verantwortlicher im Sinne des Pressegesetzes, dazu bedürfe es ja auch eines „konstitutiven Bestellungsaktes“.

Wie man dazu im Zweifel wird beziehungsweise jener „konstitutive Bestellungsakt“ aussieht, vermag aber auch der ebenfalls als Zeuge geladene Berliner Lokalchef Karsten Witzmann dem Gericht nicht umfassend zu erklären: Er sei jedenfalls verantwortlich für die Berlin-Brandenburger Regionalseiten, auf denen das besagte Foto erschien, sagt Witzmann. Das sei ihm bei Vertragsabschluss mündlich mitgeteilt worden. Und im Übrigen „ist die Rechtsabteilung von Springer rund um die Uhr erreichbar“. Witzmann steht auch tatsächlich im normalen, langen Bild-Impressum. Aber wie Diekmann ohne den Zusatz „verantwortlich“. Verantwortlich für Lokales im Berliner Regionalteil ist dagegen laut der Bild-Ausgaben dieser Woche der Redakteur Claus Frömming. Auch das passt nicht ganz: Frömming arbeitet schon seit „gut sechs Monaten probeweise“ (Witzmann) bei Bild Leipzig.

„Camouflage-Strategie“

Johannes Eisenberg, Vertreter der Richterin, die als Nebenklägerin im Prozess auftritt, und taz-Anwalt, sieht in dem Impressums-Wirrwarr eine „Camouflage-Strategie“ des Springer-Konzerns: „So kann man nie aus dem Impressum der Bild-Zeitung den V. i. S. d. P. ermitteln. Es sei denn, Springer ist so nett und erklärt es uns hinterher.“ Der Staatsanwalt spart nicht mit Kritik: „Von außen betrachtet ist das ein Hühnerhaufen, wie es für einen so großen Konzern nicht nachzuvollziehen ist“ – plädiert wegen der Sachlage „mit Staunen über die Verhältnisse bei Springer“ dann aber doch auf Freispruch.

Dem Gericht drängte sich ebenfalls der „Eindruck auf, bei Springer werde das Impressum etwas lax gehandhabt“. Die dahinter stehenden Strukturen blieben auch nach zwei Prozesstagen „weitestgehend im Unklaren“, sagte der Vorsitzende: „Das ist so nicht zulässig.“ Denn die Chance, aus dem Impressum die wirklichen Verantwortlichen herauszulesen, habe am fraglichen 27. Februar 2003 niemand gehabt, und: „Die Chance hat man auch heute nicht.“ Sollten Bild jetzt Klagen wegen der problematischen Impressen drohen, stellt sich eine neue Frage mit ähnlicher Brisanz: Wer ist eigentlich dafür verantwortlich?