bücher für randgruppen
: Typografie-Duden

Die Reise des Priesters Dietmar Blefken nach Island gilt als der erste Bericht einer Island- und Grönlandfahrt nach eigener Anschauung. Ob Blefken wirklich dort war, gilt als zweifelhaft. Das Bild, das er von den Bewohnern in seiner Schrift zeichnet, ist jedenfalls so negativ, dass der isländische Humanist Arngrímur Jónsson umgehend eine Gegenpolemik verfasste: „Keinesfalls liebten die Isländer Hurerei, das Saufen, den Aberglauben und Zauberey.“ Die Widersprüchlichkeit der beiden Werke und das magere Wissen über die polaren Gegenden veranlasste im Jahr 1613 den heute fast vergessenen Universalgelehrten Hieronymus Megiser, einen Sammelband über die unbekannte „Neue NortWelt“ in Leipzig herauszugeben.

In diesem werden Blefken und Arngrímur gleichermaßen präsentiert – aber auch erstmals deutschsprachig die Reise der italienischen Brüder Zeni auf die Phantominsel Frisland, ein früher Hoax mit jahrhundertelangen Folgen für die Kartografie. Der einflussreiche Kartograf Mercator verbreitete um 1600 die Zeni-Karte mit der Insel Frisland, gelegen zwischen Grönland und Island – und erst um 1770 versinkt die „Entdeckung“ als „versunkenes Eyland Bus, vormals Frisland“ kleinlaut als Schraffur im Eismeer einer hübschen Karte von Laurent.

Die „Neue NortWelt“, deren Wiederauflage ich derzeit für den Verbrecher Verlag vorbereite, ist ein Büchlein, das bei der Transkription Typografen und Gestalter vor schwierige Aufgaben stellt. Auf den dünnen, gelben Seiten finden sich zwischen einem Wurmloch allerlei seltsame Zeichen, deren Bedeutung manche Rätsel aufgeben. Beglückt aber reagierte Verbrecher-Grafikerin Sarah Lamparter vom Büro Otto Sauhaus auf diese Herausforderung. Ihr zur Hilfe und mir zur Rezension liegt nun je ein schön gestaltetes Buch vor uns, eine Art Duden für Typografen. Es ist den Eigenheiten und Problemfällen der Buchstaben, des Satzes und des Satzbildes gewidmet. Und den Fragen nach den Feinheiten der Typografie, die bei angemessener Berücksichtigung das Lesen schließlich ungemein erleichtern. Basierend auf dem 200-jährigen typografischen Maßsystem ist „Detail-Typografie“ dennoch kein dogmatisches Regelbuch. Es hilft bei Entscheidungen, die diskutiert werden müssen. Anhand praktischer Beispiele auf cremefarbenem Grund wird die Welt der Wortzwischenräume, der Zeilen- und Seitenumbrüche und Schrifttypen erfahrbar. Und diese ist – wer hätte das gedacht – ziemlich aufregend. Welche Fußnotennotation unterstützt, welche stört? Was ist ein Kerning und warum gilt die Frakturschrift seit sechzig Jahren als Nazischrift, obwohl sie im Dritten Reich als „Schwabacher Judenletter“ diffamiert wurde?

Wir lernen korrekte Korrekturzeichen kennen, hässliche und schöne Trennungen, mit dem f zusammengeflutschte – und selbst die typografischen Regeln der Blindenschrift. Es finden sich Sonderzeichen der europäischen Schriften. Runen allerdings nicht, diese werden in Hieronymus Megisers Werk als „Die alten Ißländischen vnd Gothischen Buchstaben“ präsentiert. Das wäre eventuell eine kleine Beigabe für die nächste Auflage: schicke Runenschriften. Nachdem jedenfalls Megisers schrägstrichartige Virgeln als Vorläufer des Kommas enttarnt sind, erfreuen wir uns an dem hemmungslosen, wilden Einsatz von großen, kleinen und fetten Zeilen, die zum Barock gehören wie die Kunst der Fuge von Bach.

„Detail-Typografie“ hat, was bei Nachschlagewerken und Sachbüchern ja nicht unbedingt häufig zu finden ist: einen angenehmen, geistreichen Humor. Es verführt zum Stöbern, regt an und könnte schon wegen der lesenswerten Blindtexte beinahe ein literarisches Werk genannt werden. Nach erfolgter Lektüre entscheiden wir uns für lutherische Fraktur, schweren Herzens für „erzwungenen Blocksatz“ bei den Marginalien am Rande des Haupttextes von Megiser, und hoffen auf ein gnädiges Urteil von Forssmann und de Jong. WOLFGANG MÜLLER

Friedrich Forssman, Ralf de Jong: „Detail-Typografie“, Verlag Hermann Schmidt, Mainz 2004, 376 Seiten, 98 Euro