Rassismus ist salonfähig

Die repräsentative Langzeitstudie „Deutsche Zustände“ ergibt: Die Ausländerfeindlichkeit wächst stetig. Der Anstieg geht besonders auf Personen zurück, die sich der politischen Mitte zuordnen

BERLIN taz/epd ■ Die Feindseligkeit gegenüber Ausländern in Deutschland steigt einer neuen Untersuchung zufolge deutlich an – insbesondere auch in der politischen Mitte. 60 Prozent der Deutschen sind inzwischen der Auffassung, dass hier zu viele Ausländer leben. Vor einem Jahr waren es noch 55 Prozent. Gleichzeitig wachse die Wahrnehmung von sozialen Spaltungen und dies verstärke wiederum fremdenfeindliche Tendenzen, erklärte der Bielefelder Soziologe Wilhelm Heitmeyer gestern bei der Vorstellung seiner Studie „Deutsche Zustände 2004“.

Fast 70 Prozent der Deutschen sind demnach der Meinung, die muslimische Kultur passe nicht in die westliche Welt. Vor einem Jahr glaubten dies 66 Prozent. Auch gegenüber Obdachlosen, Homosexuellen und Behinderten herrscht zunehmend Ablehnung. Dies ergab eine Befragung von 2.600 Personen durch das Sozialforschungsinstitut tns-Infratest München im Sommer.

Der Anstieg der Feindseligkeit gegenüber Minderheiten geht Heitmeyer zufolge besonders auf Personen zurück, die sich selbst der politischen Mitte zuordnen. Rund 65 Prozent dieser Personengruppe halten den Ausländeranteil im Land für zu hoch (2002: knapp 58 Prozent). Neben der Ausländerfeindlichkeit wachse die Unsicherheit über die eigene Lage: 40 Prozent erwarten mittlerweile eine Verschlechterung ihrer eigenen wirtschaftlichen Situation (2002: 24 Prozent). Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) zeigte sich von der Studie alarmiert. Angesichts dieser teilweise „erschreckenden Mentalitätsänderungen“ müsse sich jetzt zeigen, ob die Deutschen nur in einer „Schönwetterdemokratie“ lebten oder sich die Grundwerte auch in schwierigen Zeiten behaupten könnten. Gerade der deutliche Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Situation und zunehmender Feindseligkeit müsse ein „starkes Argument für mehr Gerechtigkeitspolitik sein“. Im Bundestag stritten die Vertreter von Regierung und Opposition über die Integrationspolitik. Während Rot-Grün das Grundgesetz als wichtigste Grundlage für das Zusammenleben bezeichnete, beharrte die Union darauf, nötig sei darüber hinaus die Orientierung an einer „freiheitlich-demokratischen Leitkultur“. SPD-Fraktionschef Franz Müntefering warf der Union vor, sie wolle die Eingliederung von Zuwanderern offenbar als Wahlkampfthema nutzen. „Wir sind so gute Patrioten wie Sie“, sagte der SPD-Fraktionschef an die Union gewandt. LKW

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