„Ich gebe alles zu, was ihr wollt“

Als der Rückkehrer seinen Anwalt anrief, sagte der: „Die Geschichte glaubt Ihnen keiner“

AUS NEU-ULM RÜDIGER BÄSSLER

Sein Autohandel lief nicht gut, seine Ehe seit einiger Zeit auch nicht mehr. Vor gut anderthalb Jahren, Ende Dezember 2003, beschloss Khaled el-Masri, er brauche Abstand zu seinem Alltag in Neu-Ulm. Er setzte sich in einen Reisebus der Deutschen Touring und fuhr mit dem Ziel Skopje Richtung Mazedonien. Als er fünf Monate später nach Deutschland zurückkehrte, abgemagert und verstört, brachte er eine Geschichte mit, die seither die Justiz sowie Kanzleramt und Auswärtiges Amt beschäftigt.

An der Grenze zu Mazedonien, schildert Masri der taz, endete die geplante Urlaubsfahrt. Er habe den Bus verlassen müssen, sein deutscher Pass sei ihm abgenommen worden. Ein Mitreisender, der an der mazedonischen Grenze Übersetzungsdienste geleistet hat, kann das heute bezeugen. In Zivil gekleidete Männer begannen in der Grenzstation angeblich, den Neu-Ulmer zu verhören, ihn nach Verbindungen zu al-Qaida zu befragen. Sie sollen ihn in ein Hotelzimmer geschleppt und verlangt haben, er möge unterschreiben, Mitglied der Terrororganisation zu sein. Masri will sich standhaft geweigert haben.

Nach 23 Tagen wurde der widerspenstige Gefangene, wie er weiter erzählt, mit verbundenen Augen zu einem Flughafen gefahren und in einen Flieger gesetzt. Seine Kleidung, erinnert sich der im Libanon geborene Neu-Ulmer, wurde ihm mit Scheren vom Leib geschnitten. Ihm sei eine Art Overall angezogen worden, seine Hände habe man an einen Gürtel gefesselt, der ihm umgelegt worden war. Kurz vor dem Start sei ihm etwas in den Oberarm injiziert worden. Er sei in einen Dämmerzustand versunken.

Als er später wieder zu Bewusstsein gekommen sei, sei das Flugzeug gerade gelandet. Das nächste Bild, an das er sich heute erinnert, sind die Wände eines Zellentrakts. Mitgefangene hätten ihm zugeflüstert, er befinde sich in Kabul.

Über Monate sollte Masri aus diesem Kerker nicht mehr herauskommen, wie er berichtet. Freunde machten sich Sorgen, doch niemand schaltete die Polizei in Deutschland ein. Masris Ehefrau, eine Libanesin, nahm im Januar 2004 die gemeinsamen vier Kinder und reiste von Neu-Ulm zurück in ihre Heimat. „Sie hat geglaubt, ich hätte eine andere Frau“, erklärt Masri der taz. „Sie hatte Angst, in Deutschland würden ihr die Kinder weggenommen werden, wenn sie allein dabliebe.“

Die Folter, so geht Masris Geschichte weiter, begann schon mit der Einkleidung des Häftlings: Jacke und Hose aus dünner Baumwolle, dazu eine dünne Wolldecke. Es sei bitterkalt gewesen, geheizt wurde nicht. „Zweimal habe ich es schneien sehen“, erinnert sich Masri an den afghanischen Winter. Zu essen habe es meist erbärmliche Reste von gekochtem Huhn gegeben, dazu trübes Wasser, das oft Brechreiz ausgelöst habe. Dann hätten die Verhöre begonnen. Offenbar ein Amerikaner soll mit Hilfe eines arabischen Dolmetschers immer wieder gezielt nach Masris Verbindungen zum Multi-Kultur-Haus in Neu-Ulm und zu dem Terrorverdächtigen Reda S. gefragt haben.

Reda S., ein Deutscher ägyptischer Herkunft, gegen den die Bundesanwaltschaft bis heute wegen des Sprengstoffanschlags auf Bali im Oktober 2002 ermittelt, war nach seiner Auslieferung durch die indonesischen Behörden zunächst in Neu-Ulm untergekommen. „Ich habe ihn in der Moschee kennen gelernt“, berichtet Masri. Man habe sich gemocht. „In dieser Zeit hat Reda eine Wohnung gesucht, und ich habe auch eine Wohnung gesucht.“ Masri besorgte dem Terrorverdächtigen einen Gebrauchtwagen, der auf den Namen seiner Frau angemeldet war. Manchmal gingen sie zusammen zum Einkaufen – alles unter den Augen deutscher Geheimdienstleute. Masri will das nicht geahnt haben. „Reda hatte mir von sich erzählt, es gab ja auch Artikel über ihn in Spiegel und Focus. Aber ich dachte: Er ist schließlich in Freiheit, also kann es nicht so schlimm sein.“

Es dauerte nicht lange, bis Masri in Afghanistan durch die Haftumstände gebrochen war, wie er mit leiser Stimme weitererzählt. „Ich habe denen gesagt: Ich gebe alles zu, was ihr wollt. Aber sie sagten: Nein, denn dann ist es gelogen.“ Schließlich, es war mittlerweile März 2004, habe er sich aus Verzweiflung geweigert, weiter zu essen oder zu trinken. Das Bild von einem einsamen, qualvollen Tod, das sich in den Köpfen aller vierzehn Gefangenen in diesem Trakt aufgebaut hatte, habe an Schrecken verloren, so legt es Masris Erzählung nahe. Dieser Tod schien die bessere Wahl zu sein.

Der Hungerstreik führte angeblich zu einer Reaktion. Über mehrere Tage hinweg will der abgemagerte Häftling nun nahrhaftes Essen bekommen haben. Eines Morgens sei er von einem Mann abgeholt worden, der sich „Sam“ nannte und von dem Masri glaubt, dass es sich um einen Deutschen gehandelt hat. Dieser Mann habe ihn, wieder mit verbundenen Augen, zu einem Flugzeug gebracht. Nach mehrstündigem Flug sei er dann in einen Bus verfrachtet worden, aus dem er nach Stunden habe aussteigen dürfen. Ohne Orientierung, habe er sich an einer Grenzstation in Nordalbanien unweit der mazedonischen Grenze wiedergefunden. Es war, wie der Stempel im Pass es belegt, der 29. Mai 2004.

Seine Kleider, erinnert sich der im Libanon geborene Neu-Ulmer, wurden ihm vom Leib geschnitten

Die Eintragungen in Masris Pass gehören zu den wenigen harten Indizien dieser Geschichte. Als der Rückkehrer den Ulmer Anwalt Manfred Gnjidic anrief, alles schilderte und ihm sagte, er wolle Anzeige erstatten, war dessen erste Reaktion: „Die Geschichte glaubt Ihnen keiner.“ Doch dann sagte er: „Sie müssen jedes kleinste Detail aufschreiben, das Ihnen einfällt.“ Der Anwalt, der sich sonst vornehmlich mit Angelegenheiten des Baurechts beschäftigt, wandte sich ans Auswärtige Amt. Von dort aus wurde die Münchner Staatsanwaltschaft mit Ermittlungen gegen unbekannt beauftragt. Der Fall bekam ein Aktenzeichen: 111 U Js 715051/04.

Geleitet werden die Ermittlungen nun von dem Münchner Staatsanwalt Martin Hoffmann. Auf seine Veranlassung wurde Masri medizinisch untersucht. Im Blut wurde nach Rückständen toxischer Stoffe gesucht, doch vergeblich. Dennoch sagt Hoffmann: „Wir haben keine Anhaltspunkte, dass sich das alles nicht so zugetragen haben könnte.“ Der von Masri vorgetragene Detailreichtum lasse eine Reihe weiterer Ermittlungsansätze zu. So werde derzeit im Internet geprüft, ob die von Masri gemachten Orts- und Temperaturangaben stimmen können. Unter anderem will der Neu-Ulmer während seiner Haft ein Erdbeben gespürt haben. An die Behörden in Afghanistan und in Mazedonien ist ein Rechtshilfeersuchen gerichtet worden. Auch das amerikanische FBI ist aufgefordert worden, Stellung zu nehmen – Antworten stehen bisher noch aus. Auch eine nochmalige Nachfrage der taz bei FBI, CIA und US-Außenamt blieb ohne Reaktion.

Khalid el-Masri hat seit seiner Rückkehr zwei psychisch bedingte Zusammenbrüche gehabt, sagt Anwalt Gnjidic. Vergeblich habe er bisher seinen Mandanten gedrängt, sich in psychologische Behandlung zu begeben. „Vielleicht mache ich das“, sagt Masri. Wenn er sich eine Zukunft wünschen könne, dann würde er seinen Exporthandel mit deutschen Gebrauchtwagen wieder in Schwung bringen. Aber mehr noch wünsche er sich die Freiheit für seine Mitgefangenen in Kabul. Während des Eingesperrtseins habe er oft seinen Zellennachbarn, einen Mann aus Tansania, getröstet, schildert der Neu-Ulmer.

Ob er wütend ist, ob sein Glauben an die Rechtsstaatlichkeit erschüttert ist – darüber schweigt Masri. Am Mittwoch vergangener Woche ist im Zuge mehrerer Polizeirazzien gegen vermeintliche Islamisten auch das Multi-Kultur-Haus in Neu-Ulm durchsucht worden. Gleich am Freitag war Masri wieder dort, zum Gebet. „Es waren diesmal nur noch ganz wenige da“, sagt er und fügt vorsichtig hinzu: „Der Zorn ist größer geworden.“