Für einen Euro in die Grauzone

Wohlfahrtsverbände nutzen Hartz IV, um Personalnot zu lindern: Allein bei den Samaritern sollen 50 Arbeitslose Zivi-Lücke schließen und Pfleger entlasten. Doch der Grad zwischen Beschäftigungstherapie und Arbeitsplatzverdrängung ist schmal

Von Eva Weikert

Michael Koch ist nicht unzufrieden. Vorige Woche erhielt der Billstedter eine 50-prozentige Lohnerhöhung: Jetzt verdient er statt einen ganze 1,50 Euro die Stunde. Dafür geht der 47-Jährige, der Speditionskaufmann sowie Ver- und Entsorger gelernt hat, für Senioren Einkaufen oder schraubt ihnen Glühbirnen ein.

Koch ist einer von rund 45.000 Hamburger Langzeitarbeitslosen, für die sich der Gesetzgeber die „Zusatzjobs“ ausgedacht hat (siehe Kasten). 10.000 sollen es stadtweit werden. Und die Wohlfahrtsverbände reiben sich die Hände. Gestern kündigte der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB), für den Koch tätig ist, an, 50 Arbeitslose als Ersatz für Zivildienstleistende und zur Entlastung der Pflegekräfte in Kitas, Sozialstationen, Jugendzentren und Seniorenheimen einzusetzen. Denn Hartz IV rettet die Hilfsdienste aus der Personalnot.

Weil die Krankenkassen „vieles nicht mehr bezahlen“, so ASB-Chef Knut Fleckenstein, „haben wir das Gefühl, bei der Betreuung der Menschen unseren Ansprüchen nicht mehr genügen zu können.“ Die Pfleger seien „so überlastet, dass von vielen Patienten der Hauptkommunikationspartner ihr Hund ist“.

Zugleich schaffen es die Einrichtungen nicht mehr, ihre Zivi-Stellen zu besetzen, weil die Zahl der Wehrpflichtigen stark geschrumpft ist. Dem zuständigen Bundesamt zufolge sind in Hamburg nur 1.681 der 3.179 Plätze belegt. „Wir würden gern Zivis einstellen, aber es gibt sie nicht“, so Fleckenstein. Von den 63 Zivi-Stellen beim ASB hätten nur 38 besetzt werden können. Auch die „Seniorenresidenz Eichtalpark“ in Wandsbek, für die Koch arbeitet, hat keinen eigenen Zivi mehr. Weil die „Zivi-Zahlen enorm zurückgegangen sind“, sagt auch David Krähe, Vorstand des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, sähen „sämtliche“ Hilfsdienste Ein-Euro-Jobber als „adäquate Alternative“ an. Der Paritätische hätte 2004 noch 220 der 756 Stellen belegen können.

Die Ein-Euro-Jobber kommen die Wohlfahrtsverbände zudem viel billiger. Denn den Lohn von ein bis zwei Euro pro Stunde und Qualifizierung zahlen Stadt und Arbeitsagentur. Anders als die Zivis dürfen die Billigjobber aber keine Pflegearbeiten machen, betont Kerstin Barlach, beim ASB für deren Verteilung zuständig.

Koch, den der Beschäftigungsträger Hamburger Arbeit (HAB) auf eigenen Wunsch an den ASB vermittelt hat, mache „Alltagsbegleitung“ für Ältere etwa zum Arzt oder „an die Elbe“, so Barlach. „Das ist immer noch besser, als zu Hause zu sitzen und sein Elend zu beklagen“, findet Koch, der in einer Vorbereitungsphase, wo er unter anderem einen Erste-Hilfe-Kurs absolvierte und im Umgang mit Demenzkranken geschult wurde, nur einen Euro die Stunde erhielt.

Dass die Billigarbeit, wie gesetzlich vorgegeben, zusätzlich sein muss und keine regulären Stellen verdrängen darf, steht in einer Betriebsvereinbarung des ASB. Trotzdem hofft Jobber Koch, eine feste Stelle zu ergattern. So regelt die Vereinbarung auch, dass bei Kündigung nicht-examinierter Pfleger für diese Ein-Euro-Kräfte fest eingestellt werden dürfen, wenn „die fachliche Qualifikation dies ermöglicht“. Unklar ist indes, wie Koch solche beim Einkaufen beweisen kann. „Ich kann meinen Leuten nicht sagen, zeigt euch möglichst nur zusätzlich, sonst böte ich ihnen ja keine vernünftige Perspektive“, räumt denn auch HAB-Chef Detlef Scheele ein. Das Einspringen für fest angestellte Kollegen „wird sich nicht vermeiden lassen“, so Scheele, „die Ein-Euro-Jobber bewegen sich da in einer Grauzone.“