Die Anklage geht baden

Der Sturm aufs Prinzenbad im Sommer 2002 war doch kein schwerer Landfriedensbruch. Verfahren gegen Zahlung von 600 Euro eingestellt. Der Angeklagte verteidigte sich mit literarischer Raffinesse

von Christoph Villinger

Viel zu lachen gab es gestern im Amtsgericht Tiergarten. Eine Staatsanwältin warf dem Autoschlosser und Doktor der Politologie Markus M. (43) schweren Landfriedensbruch vor, weil er am 6. Juli 2002 gemeinsam „mit etwa 20 weiteren Personen“ das Prinzenbad in Kreuzberg „ohne zu bezahlen“ gestürmt habe. Über 200 Menschen hatten vor dem Bad gegen die Erhöhung der Eintrittspreise protestiert.

Den Vorwürfen von „Gewalt aus einer Menschenmenge heraus“, „Wasserbomben“ und einem „Megafon als Waffe“ hielt der Angeklagte lange Ausführungen zur Geschichte und sozialen Bedeutung dieses „multikulturellsten Bades der Welt“ entgegen. Am Ende stellte Richter Frigge im Einvernehmen mit allen Verfahrensbeteiligten das Verfahren ein. Einzige Auflage: Markus M. muss der Forschungsgesellschaft für Flucht und Migration 600 Euro zahlen. Außerdem verzichtete M. auf Entschädigung für 13 Tage Untersuchungshaft seit Ende April.

Die gestrige Verhandlung war bereits der dritte Anlauf zum Prozess. Der erste Versuch Anfang März scheiterte, weil sich viele Zuschauer ebenfalls angeklagt fühlten und auf die Anklagebank drängten. Richter Frigge ließ den Saal räumen. Damit war allerdings auch der Angeklagte entschwunden.

Um eine Wiederholung zu verhindern, setzte das Landgericht M. Ende April per Haftbefehl in der JVA Moabit fest. Und Richter Frigge hatte beim zweiten Anlauf am Mittwoch letzter Woche die praktische Idee, alle Zuschauerplätze mit einer Schulklasse zu besetzen. M.s Verteidiger Sven Lindemann stellte einen Befangenheitsantrag wegen dieser „gezielte Manipulation der Öffentlichkeit“. Der Angeklagte nutzte eine Sitzungspause, um 22 Neuntklässlern aus Wittenau seine Sicht der Welt zu schildern, während seine ausgesperrten Freunde „1, 2, 3, lasst die Klasse frei“ forderten. Richter Frigge verschob den Prozess um eine weitere Woche.

Gestern nun konnte der Angeklagte endlich nach seinen Personalien gefragt werden. Vielleicht heiße er Michael Wildenhain oder Sven Regener, orakelte der Angeklagte und erging sich in langen Ausführungen zur Bedeutung des Prinzenbads in den Romanen der beiden Schriftsteller. Am Ende outete er sich als Markus M., „1962 kurz nach der großen Sturmflut an der Nordseeküste geboren“, Inhaber des „Jugendschwimmers“. „Statt mitzuschwimmen und abzusaufen, gilt es gegen den Strom zu schwimmen und damit sich frei zu schwimmen“, sagte M. und ließ unter Szenenapplaus des Publikums die Geschichte des Prinzenbads seit seiner Eröffnung 1953 Revue passieren. Auch der Richter und die Staatsanwältin konnten oft ein Schmunzeln nicht verbergen. Entschieden wandte sich der absichtlich in seiner blauen Gefängniskluft vor Gericht erschienene Angeklagte gegen die üblichen Ausreden, „nur zufällig vorbeigekommen, reingerissen worden usw.“. Warum solle er sich dafür schämen, umsonst in das Prinzenbad zu wollen. An diesem Tag griffen Leute „mit Wasserbomben und Wasserpistolen“ den Kassenbereich an, „völlig egal, ob ich nun als konkrete Person dabei war oder nicht“.

Diese Frage interessierte mehr den Richter und die Staatsanwältin, aber auch in der anschließenden Beweisaufnahme konnte sie nicht geklärt werden. Wirklich gesehen hatte der einzige Belastungszeuge, ein 50-jähriger Badebetriebsleiter wenig. Zwei ebenfalls als Zeugen geladene Polizisten stellten den „Sturm aufs Prinzenbad“ in einem realistischen Rahmen dar. Dagegen hatte der Badebetriebsleiter richtig erkannt, „die wollten alles, BVG, Strom, Freibad, alles umsonst, bloß nicht arbeiten“.