Prädikat: bedenklich

Der Gerichtstermin in Stralsund hätte für den NPD-Vorsitzenden Udo Voigt ein Wahlkampf-Highlight werden sollen. Stattdessen wurde er wegen Volksverhetzung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt

AUS STRALSUND ASTRID GEISLER

Der Parteivorsitzende rauscht in die Vorhalle des Stralsunder Landgerichts, als könne er es gar nicht abwarten. Er grinst breit unter seinem silbergrauen Schnauzer. Udo Voigt ist 14 Minuten zu früh und wird trotzdem schon erwartet. Sein Verteidiger springt von der Sitzbank auf, Fernsehleute knipsen die Scheinwerfer ihrer Kameras an, ein Tross Getreuer gruppiert sich um den NPD-Vorsitzenden. Keine Selbstverständlichkeit in diesen lausigen Zeiten, wo alle von der Linkspartei reden, aber kaum noch jemand von seiner rechtsextremen „Volksfront“.

Der eigentliche Wahlkampfauftritt in Stralsund ist erst für den Abend angesetzt. Bis dahin aber könnte sich Kandidat Voigt schon mal ein paar hübsche Positivschlagzeilen sichern, Wahlwerbung gratis. Ein Berufungsverfahren wegen öffentlichen Aufrufs zu einer Straftat steht gegen ihn an. Die erste Instanz hat Voigt mit einem Freispruch für sich entschieden, nun gilt es, Runde zwei zu sichern – und damit einen neuen staatlichen Unbedenklichkeitsstempel.

Um kurz nach halb eins ruft Richter Frank Bechlin die „Sache Udo Voigt“ auf. „Sind Sie Herr Voigt?“ „Ja“, sagt Voigt. Er trägt einen dunkelblauen Dreiteiler. Vor ihm liegen ein Aktenordner und eine NPD-Broschüre. „Vorname?“ „Udo.“ „Beruf: Parteivorsitzender?“ „Ja.“

Den Zuschauern im Saal GE 17 müsste man das nicht erklären. Außer der Presse ist nur Voigts Fanclub da: NPD-Bundestagskandidaten aus der Region, Kameraden, Kameradinnen, der Kreisvorsitzende der Partei mit NPD-Nadel am schwarzen Schlips. Vorne rechts sitzt Thomas Wulff, einer der bekanntesten deutschen Neonazis und NPD-Wahlkampfleiter in Mecklenburg-Vorpommern.

Während der Richter die Vorgeschichte des Verfahrens herunterleiert, lehnt sich der Angeklagte zurück, verschränkt die Arme breit vor dem Bauch, wie ein Fußballfan zum „Sportschau“-Gucken. Ab und an grinst er gut gelaunt ins Publikum.

Die „Sache Udo Voigt“ liegt inzwischen sieben Jahre zurück. Im Sommer 1998, es war Landtagswahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern, hielt Voigt in Greifswald vor jungen Aktivisten eine Rede. Zur Zeit des Kalten Krieges, rief der Parteichef den Kameraden zu, hätte er notfalls die Waffe in die Hand genommen, um Deutschland zu verteidigen: „Das erwarten wir von euch auch.“ Denn Deutschland sei in Gefahr, der Feind sei „in den Köpfen der etablierten Politiker“.

Ein öffentlicher Aufruf zu einer Straftat, befand die Staatsanwaltschaft – nicht aber das Amtsgericht Greifswald. Nun muss das Landgericht über die Berufung der Anklagebehörde urteilen.

„Halten Sie die Passage immer noch für gelungen?“, fragt Richter Bechlin. „Tja“, sagt der NPD-Chef. Dann legt er los. Es ist eine Nummer, die er seit Jahren geübt hat: Voigt, der zu Unrecht verfolgte, der Missverstandene, das Opfer von Denkverboten. Natürlich stehe er zu seiner Äußerung. Aber er habe die Greifswalder Jugend nur für „den geistigen Kampf“ gewinnen wollen: „Ich wusste“, sagt Voigt, „dass das jugendliche Publikum aktionistisch war und gerne mal zugelangt hätte. Aber genau das wollte ich ja unterbinden.“ Der Richter blättert in den Akten, während der Angeklagte sich in Fahrt redet, übergangslos seine Paradethemen durchrattert, mal herzieht über den „american way of life“, dann über das Dogma der „political correctness“, über den „Ausländerdruck“, über „Marokkaner, Schwarze, Gelbe und Türken“, darüber, dass die Grünen den Sex mit Kindern hätten freigeben wollen. Die Schöffinnen blicken ernst. Niemand unterbricht Voigt.

„Sie sprechen immer von geistigen Waffen“, sagt eine der Laienrichterinnen schließlich, als der Angeklagte fertig ist: „Warum lassen Sie das Wort Waffen nicht wenigstens weg?“ Voigt blickt sie ungläubig an. „Ich werde das“, sagt er artig, „natürlich als Empfehlung für die Zukunft aufnehmen.“ Dann holt er sich den Punkt: Spreche das Gericht nicht auch die ganze Zeit vom Wahlkampf? Schweigen auf der Richterbank.

Was muss Voigt nach diesem Kreuzverhör fürchten? Er selbst glaubt offenkundig: nichts. Noch vor dem Urteil vergibt der Angeklagte in seinem letzten Wort schon mal die B-Noten. Wenn der Staatsanwalt nicht inhaltlich so weit daneben gelegen hätte, lästert Voigt, dann hätte er einen solch brillanten Rhetoriker glatt als Parteiredner engagiert.

Es ist kurz vor drei als Richter Bechlin aus dem Nebenzimmer tritt, um das Urteil zu verkünden: „Der Angeklagte wird zu vier Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.“ Die Kammer habe sich vom Plädoyer des Staatsanwalts überzeugen lassen: Voigt sei der Volksverhetzung schuldig. Er habe in seiner Rede 1998 aufgestachelt zum Hass gegen bestimmte Politiker.

Der NPD-Chef starrt auf Bechlin. Bis heute war er nicht vorbestraft. Sein Verteidiger fuchtelt mit den Händen, fällt dem Richter ins Wort: „Das habe ich ja noch nie erlebt!“ In Reihe eins pumpt halblaut Neonazi Wulff: „Die Perversion der Rechtsprechung! Politische Justiz!“ Um kurz nach drei ist die Verhandlung zur „Sache Udo Voigt“ beendet. Der NPD-Vorsitzende hat sein Grinsen noch nicht wieder gefunden. „Natürlich“ werde er Revision beantragen, sagt er in die Mikrofone der Reporter. Erst mal muss der Wahlkämpfer aber seine Rede am Stralsunder Ostkreuz halten. Regen steht am Himmel. Die Schlagzeilen hat Voigt schon sicher.